In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden zwei schwer prognostizierbare Rahmenbedingungen unsere Mobilität maßgeblich beeinflussen: Erstens, restriktive Maßnahmen, die ergriffen werden (müssen), um im Verkehrssektor den angestrebten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, und zweitens die technologische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung, insbesondere beim autonomen Fahren. Beide Punkte werden sich vor allem auf Autofahrerinnen und Autofahrer auswirken und damit für die Bevölkerung im ländlichen Raum besonders spürbar sein.
Die Mobilitätswende findet bisher nicht auf dem Land statt
Die Mobilitätsdaten der vergangenen Jahre zeigen, dass der viel diskutierte Trend weg vom Auto nicht auf dem Land stattfindet. Im Gegensatz zu Metropolen und Großstädten hat die Zahl der Haushalte ohne Pkw in ländlichen Regionen abgenommen, bei jungen Haushalten überproportional. Die Pkw-Nutzung nahm in sehr ländlichen Regionen über alle Distanzklassen deutlich zu, während sie zumindest in Metropolen bei Wegen unter 10 km Länge vor allem zugunsten des Radverkehrs zurückging. Umso ländlicher die Gebiete, umso stärker sind diese Entwicklungen zu beobachten.
Gleichzeitig zeichnet sich immer deutlich ab, dass die Klimaziele im Verkehrssektor bis 2030 ohne restriktive Maßnahmen verfehlt werden. Werden die Ziele ernst genommen, ist es notwendig, die Nutzung konventionell angetriebener Pkw spürbar zu reduzieren. Damit könnte der ländliche Raum in einen schwierigen Spagat zwischen Klimaschutz und Erreichbarkeitssicherung geraten, da hier die zurückzulegenden Distanzen groß sind und alternative Angebote zum Pkw fehlen.
Autonomes Fahren als große Unbekannte
Autonome Fahrzeuge, die in der Lage sind, sich vollständig ohne Fahrer fortzubewegen, werden häufig als Lösung der Erreichbarkeitsprobleme im ländlichen Raum angesehen. Dass die Technologie dazu beitragen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Bei einer breiten Verfügbarkeit wäre ihr Einfluss aber so vielschichtig, dass die Wirkungen stark von der Ausgestaltung des gesamten veränderten Verkehrssystems abhängen würden. Stellt man sich das heutige System mit autonomen Fahrzeugen vor, würden die zurückgelegten Pkw-Kilometer stark zunehmen. Ein solches System wäre somit kontraproduktiv zur Erreichung der erwähnten Klimaziele. Unabhängig davon scheint es derzeit unmöglich, vorherzusagen, wann autonome Fahrzeuge wirklich verfügbar sein werden. Sehr wahrscheinlich ist, dass ihre verkehrliche Bedeutung bis zum Jahr 2030 vernachlässigbar sein wird. Bei Entscheidungen über Infrastrukturinvestitionen müssen jedoch deutlich längere Planungshorizonte berücksichtigt werden.
Grundlagen für Vergleichbarkeit
Vor dem Hintergrund dieser zukünftigen Entwicklungen ist der derzeit häufig zu vernehmende Ruf nach einem massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs im ländlichen Raum zu sehen. Einerseits soll eine Alternative zum Pkw geschaffen werden, anderseits wird erwartet, dass durch kleinere Fahrzeuge und On-Demand-Verkehre Lösungen für schwer erschließbare Gebiete gefunden werden, die, sobald ein autonomer Fahrbetrieb möglich ist, wirtschaftlich werden. Doch ein solcher Ausbau dient keinem Selbstzweck. Es gilt zu prüfen, ob die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase wirklich sinkt und ob die Angebote tatsächlich dazu beitragen, die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren. Dabei geht es weniger um die Frage, ob ein Ausbau stattfinden soll, sondern darum, wo Investitionen am effizientesten eingesetzt werden können. Deshalb gilt es, vergleichbare Maßstäbe und Kriterien anzuwenden.
Modelle, mit deren Unterstützung die beschriebenen Wirkungen abgeschätzt werden können, sind datenintensiv. Während viele Großstädte und Stadtregionen über solche Werkzeuge verfügen, sind die damit verbundenen Aufwendungen für einzelne Kommunen oder Kreise im ländlichen Raum häufig unverhältnismäßig hoch. Aus diesem Grund ist gerade für die Verkehrsplanung im ländlichen Raum die wachsende Zahl von Landesverkehrsmodellen in Deutschland begrüßenswert. Die Flughöhe der Bundesländer erlaubt eine ausreichend feine Granularität und bietet gleichzeitig eine überregional einheitliche Datengrundlage. Neben der klassischen Anwendung der Bewertung von ÖPNV-Ausbauprojekten können damit beispielsweise die Auswirkungen großräumiger politischer Maßnahmen und technologischer Entwicklungen auf urbane und ländliche Räume gegenübergestellt werden. Anhand von Erreichbarkeitsindikatoren kann untersucht werden, welche Gebiete auf welche Weise betroffen sind und entsprechend reagiert werden. Die bevorstehenden Veränderungen machen die Möglichkeit einer solchen systematischen Planung ganz besonders für den ländlichen Raum wertvoll.
Fotos: Universität Stuttgart
Autoren: Dr.-Ing. Matthias Schmaus und M. Sc. Yannik Wohnsdorf, Universität Stuttgart, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik
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