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Innenstädte stärken

Städtebau

Unsere Innenstädte sind in der Krise. Das ist nicht neu. Die Corona-Pandemie und der massiv zugenommene Onlinehandel wirken aber als Brandbeschleuniger. Beim stationären Handel gibt es eine Spaltung: Speziell Textil-, Schuhgeschäfte und große Warenhäuser leiden unter der Krise massiv. Demgegenüber zählen Supermärkte, Discounter und Drogerien zu den Gewinnern.

Bild: © Ingo Bartussek_AdobeStock

Die Krise der Innenstädte geht über wirtschaftliche Aspekte hinaus. Sie beinhaltet auch eine kulturelle und soziale Herausforderung. Diese gehört ins Zentrum politischen Handelns. Zehn Thesen und Forderungen:

  1. Innenstädte und Ortskerne sind das Gesicht einer Gemeinde. Sie sind für die Menschen Identifikationsfaktor und Heimat. Öffentliche (Innenstadt-)Plätze und ihre Bauten prägen Kommunen. Innenstädte und Ortskerne sind auch Orte der Begegnung und der Kommunikation sowohl für Einheimische als auch für Touristen. Sie bestimmen die Lebensqualität einer Stadt. Innenstädte sichern auch die Versorgung mit Waren. Diese Versorgung erfolgt im Vergleich zum Onlineeinkauf und dem Einkauf auf der „Grünen Wiese“ oft viel umweltschonender.
  2. Der durch die Pandemie nochmals um 20 Prozent auf circa 70 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2020 gestiegene Onlinehandel schadet dem stationären Handel zunehmend. Der Onlinehandel ist aber ebenso wenig umkehrbar wie das Anwachsen von Heimarbeitsplätzen und die sich ändernden Arbeitswelten. Eine Folge ist, dass auch Büros und Hotels Verlierer der Pandemie und der jüngeren Entwicklung sind. Sie beschleunigen den Innenstadtwandel noch.
  3. Die Krise der Ortskerne ist gerade für strukturschwache Gemeinden nicht neu. Hier gibt es schon lange keine Läden und Ärzte mehr. Besucherfrequenzen in den Ortskernen haben ab- und Leerstände zugenommen. Neu ist die Dynamik der Negativspirale: 50.000 zu erwartende Schließungen vorwiegend im stationären Handel und weitere Nutzungsverluste (Büros, Hotels etc.) machen den Strukturwandel großräumiger. Orte außerhalb der Innenstadt sind immer mehr betroffen. Der stationäre Handel ist trotz Öffnungsmöglichkeit vom neuen Teil-Lockdown wegen ausbleibender Kunden betroffen. Hier müssen Bund und Länder finanzielle Hilfen leisten.
  4. Mehr Leerstand führt zu einem Rückgang der oft überteuerten Mieten und (Immobilien-)Preise. Die Immobilieneigentümer sind in der Pflicht, für faire Mieten zu sorgen. Sinkende Preise bieten Chancen für neue Nutzungen wie kleine Läden, Handwerks-, Bildungs- und Kultureinrichtungen (Kitas, Theater) sowie für bezahlbares Wohnen und neues Arbeiten. Wenn die prägende Rolle des Handels für Innenstädte zurückgeht, kann mehr Nutzungsmischung diese nach Ladenschluss neu beleben. Dazu muss das „Quartier Innenstadt“ gute Angebote beim Wohnen, der Kultur, Gastronomie und Freizeit aufweisen und attraktive Plätze haben. Kreative Gesamtkonzepte für Innenstädte müssen mehr Mischung erzeugen. Um diese zu ermöglichen, bedarf es auch einer Anpassung der Immissionsrichtwerte der TA Lärm. Nur so lassen sich Nutzungskonflikte zwischen Gewerbe und Wohnen lösen.
  5. Ziel muss sein, Innenstädte als Orte für Nutzungsvielfalt, Kommunikation und Lebensqualität zu stärken. Das liegt im Interesse der Bürger und Bürgerinnen. Wir brauchen lebendige Innenstädte mit Wohlfühlatmosphäre. Dazu bedarf es Nutzungsvielfalt und Lebendigkeit statt Monotonie und ständig wiederkehrender Filialen. Nötig ist eine attraktiv-individuelle Gestaltung statt eines billigen Einheitsbreis. Zur Stärkung des örtlichen Handels muss dieser die emotionale Seite der Kunden stärker ansprechen. Freundliche und kompetente Mitarbeiter mit guten Service, ein attraktiv präsentiertes Warensortiment, Kinderbetreuung und integrierte Cafés in Geschäften sind nur einige Beispiele für ein Mehr an Erlebniseinkauf. Auch lokale online Marktplätze, Produktinformationen, mobile Bezahlsysteme, Lieferdienste und die stärkere Nutzung der Digitalisierung gehören dazu. Denn auch für den örtlichen Handel gilt: Es geht nur mit und nicht ohne das Internet. Dafür muss der Glasfaserausbau flächendeckend und auch mit Unterstützung des Bundes forciert werden.
  6. Eine qualitätsvolle Planungs- und Baukultur ist ein wichtiger Baustein für vitale Innenstädte. Eine gute Baukultur bringt nicht nur für die Bewohner einen Mehrwert. Im Ergebnis profitieren gerade die örtliche Wirtschaft und der Handel, auch durch höhere Touristenzahlen und steigende Kaufkraft. Der Erhalt und die Schaffung einer guten Baukultur, die eine qualitätsvolle Freiraumgestaltung einschließt, ist eine Gemeinschaftsaufgabe der Städte und Gemeinden, der örtlichen Wirtschaft und des Handels sowie der Architekten und der Immobilienwirtschaft. Städte und Gemeinden stehen als Planungsträger und Baugenehmigungsbehörden, als Gebäudebesitzer sowie als Vorbild für ihre Bürger und Bürgerinnen in einer besonderen Verantwortung. Sie können mittels Planungs- und Gestaltungswettbewerben, die Einsetzung kommunaler Gestaltungsbeiräte sowie durch den Erlass und die Umsetzung von Erhaltungs-, Gestaltungs- und Denkmalschutzsatzungen gute Voraussetzungen zur Gewährleistung einer qualitätsvollen Baukultur schaffen.
  7. Städte und Gemeinden spielen mit ihrer Wirtschaftsförderung sowie ihrem Stadtmarketing („Kümmerer“) bei der Gestaltung des Innenstadtwandels eine Schlüsselrolle. Zur Schaffung attraktiver Innenstädte mit Erlebnischarakter gehören eine gute Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur, eine gute ÖPNV-Anbindung, aber auch eine gute Erreichbarkeit mit einem möglichst emissionsarmen Individualverkehr. Auch attraktive, sichere und saubere öffentliche Wege und Plätze stärken die Innenstädte. Zu einer lebendigen Innenstadt zählen auch ein ansprechendes Gastronomieangebot mit Außenbestuhlung in den warmen Monaten, (Wochen-)Märkte mit einem Angebot regionaler Produkte, Kulturveranstaltungen sowie ausreichend Sitzgelegenheiten als Treffpunkte der Kommunikation und genügend Spielmöglichkeiten für Kinder. Wichtig sind auch integrierte und ständig aktualisierte interkommunale Einzelhandelskonzepte als Voraussetzung eines starken Innenstadthandels. Begleitet werden muss die kommunale Steuerung des großflächigen Einzelhandels durch die konsequente Anwendung des § 11 Abs. 3 BauNVO.
  8. Kommunen brauchen in Abstimmung mit dem örtlichen Handel zudem mehr Spielraum bei der Gestaltung der Ladenöffnungszeiten. Auch müssen alle Innenstadtakteure einschließlich der neuen Nachbarschaften (Wohnen, Arbeiten, Kultur etc.) eng zusammenarbeiten. Zur Gestaltung des Innenstadtwandels sollten Kommunen bei Schlüsselimmobilien wie leeren Karstadt/Kaufhof-Häusern einen verbesserten Zugriff bekommen und auch temporär in den Grunderwerb oder in Vermietungen gehen können. Ein von Bund und Ländern geförderter Innenstadtfonds kann hier helfen. Diesen Ansatz verfolgt das Sofortprogramm zur Stärkung der Innenstädte NRW 2020. Mit dem 70-Millionen-Euro- Programm können Kommunen vorübergehend leere Handelsimmobilien anmieten oder erwerben, um die Innenstädte zu stärken.
  9. Der Krise der Innenstädte können Kommunen nicht alleine begegnen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) arbeitet daher seit langem mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) in der „Allianz für Innenstädte“ zusammen. Das BMI hat zudem aktuell einen „Beirat Innenstadt“ gegründet, in dem der DStGB und der Deutsche Städtetag (DST) mitwirken. Er soll unter anderem eine Innenstadtstrategie entwickeln. Es bedarf aber auch einer Antwort auf die Frage, wie mehr Gleichbehandlung zwischen dem örtlich und zeitlich gebundenen stationären Handel und dem zeit- wie örtlich grenzenlos agierenden Onlinehandel erfolgen kann. Dabei ist auch ein – finanzieller Ausgleich für das Mehr der beim Online-Einkauf entstehenden Retourfahrten (Rücksendungen) zu prüfen. Diese Retourfahrten lösen zusätzliche Verkehrs- und Klimabelastungen in den Kommunen aus.
  10. Innenstädte stehen vor großen Herausforderungen. Vitale Ortskerne brauchen mehr Nutzungsmischung und bezahlbare Wohnungen, auch im leerstehenden Bestand, etwa durch Programme wie „Jung kauft alt“. Zum besseren Klimaschutz bedarf es mehr Grün und Blau (Wasser) in unseren Innenstädten. Die Bewältigung all dieser kommunalen Herausforderungen erfordert auch eine finanzielle Unterstützung durch den Bund und die Länder. Nötig ist eine Erhöhung der Städtebauförderung des Bundes auf 1,5 Milliarden Euro (Aktuell: 790 Millionen Euro). Damit einhergehen muss eine Ko-Finanzierung der Länder sowie, wo nötig, eine Ersetzung kommunaler Eigenanteile. Die Mittel müssen den Kommunen in einfachen Förderverfahren zukommen. Das beinhaltet ein Mehr an eigener Gestaltung durch die Kommunen selbst.

Die Rettung unserer Innenstädte liegt im Allgemeinwohl. Die Kommunen sind in einer Schlüsselrolle. Daneben sind viele weitere Akteure gefordert. Auch die Politik muss handeln: Rechtlich, tatsächlich und finanziell. Und zwar schnell und effizient.

Weitere Vorschläge für attraktive Innenstädte finden Sie auf einzelhandel.de und beim Deutschen Städte und Gemeindebund auf www.dstgb.de.

Autor: Norbert Portz, Leiter des Städtebaudezernats beim Deutschen Städte- und Gemeindebund

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