Seit dem 1. Januar 2024 ist Dr. André Berghegger neuer Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Wir haben mit ihm über die Herausforderungen in seiner neuen Position gesprochen, seine Einschätzung zur prekären Haushaltslage vieler Städte und Gemeinden sowie über die immensen Herausforderungen durch die hohe Anzahl geflüchteter Menschen in Deutschland.
KOPO: Herzlichen Glückwunsch Herr Dr. Berghegger zu Ihrer neuen Position als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Kommunale Anliegen haben Sie auch als Bundestagsabgeordneter vertreten – zuletzt als Sprecher der AG Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe? Und wie unterscheidet sie sich von Ihrer
vorherigen Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter?
Dr. André Berghegger: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist aus meiner bisherigen Wahrnehmung heraus die prägendste Interessenvertretung der Kommunen in Deutschland. Daher ist es für mich Ehre und Verantwortung zugleich, diesen Verband in den kommenden Jahren zu führen. Meine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter hat mir, ebenso wie meine vorherigen Aufgaben als Dezernent und
Bürgermeister der Stadt Melle, sehr viele wertvolle Erfahrungen beschert. Für rund zehn Jahre die Bürgerinnen und Bürger in meiner Heimat als direkt gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag vertreten zu dürfen, hat mir viel Freude bereitet. Natürlich können Sie dort eine Menge gestalten, auch wenn es in den vergangenen beiden Jahren leider die Oppositionsbank war. Jetzt steht erneut ein Perspektivwechsel an: Raus aus der Parteipolitik und hin zur Vertretung der Interessen von rund 11.000 Städten und Gemeinden in der Bundespolitik.
KOPO: Wir haben drei kommunale Spitzenverbände mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Wie organisieren Sie Absprachen untereinander? Welche Alleinstellungsmerkmale hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund?
Dr. André Berghegger: Ja, die Schwerpunkte sind unterschiedlich, auch wenn uns die kommunale Interessenvertretung natürlich auf ganz vielen Feldern eint und gemeinsam auftreten lässt. Ich glaube, wir sind dann besonders stark, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Wie sich das in der Praxis gut organisieren lässt, werden wir sehen. Auf jeden Fall liegt mir viel an einem regelmäßigen Austausch auf unterschiedlichen Ebenen. Was den Deutschen Städte- und Gemeindebund so besonders macht, ist seine Vielfalt. Über unsere 17 Mitgliedsverbände repräsentieren wir die gesamte Bandbreite der Kommunen – von der Metropole bis zum Dorf. Das bildet umfassend die Lebenswirklichkeit in unserem Land ab. Darauf können wir immer bauen.
KOPO: Die föderale Struktur ist die DNA der Kommunalpolitik. Wie organsiert der Städte- und Gemeindebund die Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Landesverbänden?
Dr. André Berghegger: Wir haben etablierte Strukturen, etwa unser Präsidium, die verschiedenen Fachausschüsse, Arbeitskreise und Erfahrungsaustausche sowie nicht zuletzt den Deutschen Kommunalkongress, der im Jahr 2025 wieder stattfinden wird. Insgesamt ist ein intensiver Austausch mit
unseren Mitgliedsverbänden für mich von großer Bedeutung.
KOPO: Ende 2023 hat das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichtes für große Aufregung gesorgt. Über die prekäre Haushaltslage vieler Städte und Gemeinden berichten überwiegend Lokalzeitungen, in die bundesweiten Schlagzeilen schaffte es die Gemeinde Freisbach. Dort
trat der Bürgermeister und der gesamte Gemeinderat aus Protest zurück, weil sie nicht wie gefordert einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen konnten. Wie schwierig ist die Haushaltslage in den Kommunen?
Dr. André Berghegger: Die Haushaltslage in sehr vielen Kommunen ist bereits seit Jahren angespannt und hat sich in der letzten Zeit nochmals verschärft. Die Straßen und Schulen sind in einem schlechten Zustand, für wichtige Investitionen fehlt das Geld. Vielfach bestehen kaum noch Spielräume für die kommunale Selbstverwaltung, große Teile unserer Finanzmittel sind für Pflichtaufgaben, etwa für soziale Leistungen, gebunden. Ehrenamtliche Kommunalpolitik lebt davon, dass das Zusammenleben vor Ort gestaltet werden kann. Dazu brauchen wir auch eine auskömmliche Finanzausstattung, sonst wird es immer schwerer, Menschen für ein Engagement in der lokalen Politik zu gewinnen.
KOPO: Wie lässt sich die finanzielle Situation in den Städten und Gemeinden verbessern? Müssen wir Leistungen und Angebote streichen?
Dr. André Berghegger: Leider tun das viele Kommunen bereits heute notgedrungen. Das lässt sich aber nicht ewig fortsetzen, denn Städte und Gemeinden wollen ja gute Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort bieten. Ich bin davon überzeugt, dass wir vor Ort zwar auch genau schauen müssen, was wir uns noch leisten können und wollen. Das wird aber nicht ausreichen. Wir brauchen eine Entlastung von den
immer stärker wachsenden Aufgaben und wir brauchen eine bessere Finanzausstattung. Das können wir etwa über Umsatzsteueranteile, über gezieltere Unterstützung und Förderung oder eine bessere Finanzierung der uns übertragenen Aufgaben erreichen. Hier sehen wir Bund und Länder klar in der Pflicht.
KOPO: Ende 2023 wurden das Heizungsgesetz und die kommunale Wärmeplanung auf den Weg gebracht. Wie bewerten Sie die Vorhaben? Wo sollte nachgebessert werden?
Dr. André Berghegger: Diese Gesetzesvorhaben haben in der Tat für eine Menge an Diskussionen gesorgt. Es ist gut, dass die kommunale Wärmeplanung jetzt mit dem Gebäudeenergiegesetz verzahnt wurde, denn diese Informationen sind essenziell für die weiteren Schritte. Kommunen, Stadtwerke und nicht zuletzt die Gebäudeeigentümer brauchen Planungssicherheit für ihre Entscheidungen. Wichtig ist nun, dass die Erstellung der Wärmepläne durch die Städte und Gemeinden auch vernünftig durch den Bund finanziert wird. Die bisher zugesagten Gelder werden nicht ausreichen. Hinzu kommt, dass die nun festgelegten Fristen für die Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung zu ambitioniert sind und flächendeckend kaum umsetzbar sein werden.
KOPO: Viele Verantwortliche vor Ort beschreiben die hohen Migrationszahlen als größte Herausforderung. Wie schätzen Sie die Entwicklung in 2024 ein und welche Forderungen haben Sie an die Bundesregierung?
Dr. André Berghegger: Städte und Gemeinden sind durch die große Zahl an Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine und die stark steigenden Flüchtlingszahlen an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Wir haben im Jahr 2022 mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Im Jahr 2023 sind außerdem noch mehr als 300.000 Asylsuchende aus anderen Staaten nach Deutschland gekommen. Diese Entwicklung darf so nicht weitergehen, denn es fehlt an Unterbringungsmöglichkeiten, an Plätzen in Kitas und Schulen und nicht zuletzt auch an Integrationskursen. Wir müssen den Zuzug nach Deutschland daher steuern, ordnen und begrenzen. Gleichzeitig erwarten wir von Bund und Ländern, dass sie den Kommunen alle für Unterbringung, Versorgung und Integration entstehenden Kosten ersetzen.
KOPO: Welche Themenschwerpunkte sehen Sie 2024?
Dr. André Berghegger: Es muss uns gelingen, den Menschen nach den vielen aufeinander folgenden Krisen wieder Zuversicht zu vermitteln. Hier sehe ich die Städte und Gemeinden in einer Schlüsselrolle, denn die Bürgerinnen und Bürger erleben ihren Staat vor Ort in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Es muss daher darum gehen, die Kommunen zu stärken und den Menschen Sicherheit zu geben. Ziel sollte
es sein, den wachsenden Populismus zurückzudrängen und durch kleine, aber spürbare Fortschritte Vertrauen in unseren Staat zurückzugewinnen. Wir dürfen nicht vergessen, dass in diesem Jahr mit der Europawahl und zahlreichen Kommunalwahlen wichtige politische Entscheidungen anstehen. Hier müssen wir alles daransetzen, die Demokratie und die demokratischen Parteien zu stärken und zu verdeutlichen, dass Politik auch Lösungen anbieten kann. Dies gelingt am besten vor Ort in den Kommunen.
KOPO: Lieber Herr Dr. Berghegger, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview erschien in der KOPO-Ausgabe 1/2024.
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