Zum Flüchtlingsgipfel am 10. Mai wurde bereits viel geschrieben. In der Juni-Ausgabe lesen Sie eine ausführliche Analyse der Ergebnisse von Dr. André Berghegger, Vorsitzender der AG Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sein Fazit: DIe Vreinbarungen zum weiteren Beratungsverfahren lassen darauf schließen, dass auch weiterhin seitens der Bundesregierung nicht beabsichtigt ist, einen echten Flüchtlingsgipfel, wie sie in den Jahren 2015/16 sich bewährt hatten, durchzuführen. Die Kommunen sitzen in einer Situation, die sie an die Grenzen der Leistungsfähigkeit bringt, weiterhin nur am Katzentisch und müssen hoffen, dass die Länder es richten werden.
Dabei ist nicht alles schlecht, was Bund und Länder bei dem Treffen am 10. Mai 2023 zur Asyl- und Flüchtlingspolitik vereinbart haben. Aber die Ergebnisse reichen bei weitem nicht aus. Die beschlossenen Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren, zur effektiveren Rückführung und zur Reduzierung irregulärer Migration müssen schnell umgesetzt werden und dürfen jetzt nicht an Zuständigkeitsfragen hängen bleiben. Gleiches gilt für die baurechtlichen und vergaberechtlichen Vereinfachungen und die Bereitstellung von Liegenschaften durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Der Bund hat durch Verzögern des Bund-Länder-Treffens ausreichend Zeit vergeudet – die pragmatischen Beschlüsse der Sonder-MPK müssen jetzt schnell umgesetzt werden.
Die finanzielle Unterstützung der Kommunen bleibt weiter perspektivisch unklar. Die Kommunen brauchen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage, die sich an der Zahl der Schutzsuchenden orientiert. Die angekündigte Erhöhung der Flüchtlingspauschale um eine Milliarde Euro ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, mit dem die Bundesregierung weiterhin die Lage vor Ort ignoriert. Die Kommunen im Stich zu lassen, gefährdet die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft und wird auch den betroffenen Asylbewerbern und Flüchtlingen nicht gerecht.
Gemeinsame finanzielle Lastentragung
Bemerkenswert ist, dass bei den vorrangig anzugehenden Aspekten, die in der Bund-Länder-Vereinbarung ausgeführt werden, die verlässliche Finanzierung flüchtlingsbedingter Mehraufwendungen keine Rolle spielt. Von einer „gemeinsamen finanziellen Lastentragung“ kann im Ergebnis keine Rede sein. Denn der Bund verschiebt die finanzielle Belastung flüchtlingsbedingter Mehrkosten weitgehend auf Länder und Kommunen.
Die Erhöhung der Bundespauschale um eine Milliarde Euro im Jahr 2023 reicht bei weitem nicht aus. In dieser Pauschale steht nur ein Teil zur Deckung tatsächlich flüchtlingsbedingter Mehraufwendungen jenseits ukrainischer Flüchtlinge (für diese sind 1,5 Milliarden Euro laut Beschluss vom November 2022 „reserviert“) bereit. Von dem verbleibenden Rest muss die zwischenzeitlich entfallene Pauschale für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ebenso finanziert werden wie – jetzt neu hinzugekommen – die Digitalisierung der Ausländerbehörden sowie die personelle Aufstockung der Ausländer- und Sozialbehörden. Für die Unterbringung, Betreuung und Integration von Asylbewerbern aus Staaten jenseits der Ukraine verbleiben den Kommunen nicht ansatzweise ausreichend Finanzmittel.
Die Haltung der Bundesregierung ignoriert weiterhin die Situation vor Ort. Es fehlt das Engagement des Bundes, den steten Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Die Kommunen stehen ohnehin vor großen finanziellen Herausforderungen und werden in dieser elementaren Frage erneut von der Bundesregierung im Stich gelassen.
Der Beschluss des Bund-Länder-Treffens wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht. Die Länder Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kritisieren dies in ihren Protokollerklärungen zurecht. Die Zustimmung der Länder dürfte aus der Not heraus erfolgt sein, weil ein Scheitern der Gespräche die Situation noch weiter verschlechtert hätte. Die Bundesregierung sitzt eine angemessene Finanzierung flüchtlingsbedingter Kosten aus.
Umsetzbare Vorschläge für eine verlässliche und langfristig tragfähige Finanzierung, die die Finanzverantwortung nicht allein beim Bund abladen würden, liegen mit dem bewährten 4-Säulen-Modell vor. Statt die Entscheidung zu vertagen, hätten Bund und Länder am 10. Mai zu einem Ergebnis finden können. Allein dafür fehlte der Bundesregierung der erforderliche Wille.
Für die Kommunen bedeutet die Vertagung der Finanzierungsentscheidung, dass sie weiterhin keine verlässliche Planung vornehmen können und weiterhin von MPK zu MPK hoffen müssen. Den Kommunen dürften mittelfristig kaum Alternativen verbleiben, als fehlende Finanzmittel über Anhebung kommunaler Steuereinnahmen zu kompensieren.
Die gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Situation und die Sorge über das Kippen der Stimmung sowie die steigende Staatsverdrossenheit werden nicht thematisiert. Durch ihre Haltung trägt die Bundesregierung leider dazu bei, eben diese Stimmung zu befördern. Das bereitet uns große Sorge.
Steuerung des Zugangs
Die Reduzierung irregulärer Migration greift kommunale Forderungen auf und kann dazu beitragen, die Kommunen langfristig zu entlasten. Voraussetzung dafür: Es kann tatsächlich erreicht werden, dass künftig weniger Menschen in Deutschland einen Asylantrag stellen, weil sich die EU konsequent nach außen zeigt bzw. Deutschland an der Binnengrenze stärker kontrolliert und zurückweisen kann. Innerhalb der EU muss ein solidarisches Verteilsystem greifen und das Dublin-Verfahren tatsächlich funktionieren. Eine EU-weite Anpassung von Sozialstandards, wie sie nicht im Papier vereinbart worden ist, hätte ebenfalls dazu beitragen können, irreguläre Migration nach Deutschland zu reduzieren. Gleiches gilt für die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten und den Stopp freiwilliger Aufnahmeprogramme, wozu sich die Bundesregierung ebenfalls nicht durchringen konnte.
Verteilung und Registrierung von neu ankommenden Geflüchteten
Die Vereinbarungen vom 10. Mai 2023 enthalten keine Zusage dahingehend, dass einer Überforderung der Kommunen bei der Verteilung der Asylbewerber und Flüchtlinge entgegengewirkt wird. Immerhin kann der vereinbarte bedarfsgerechte Ausbau der Erstaufnahmekapazitäten der Länder dazu beitragen, die Belastung der Kommunen in einem ersten Schritt abzufedern. Allerdings ist fraglich, inwieweit die Erstaufnahmekapazitäten der Länder überhaupt noch steigerbar sind. Die Vereinbarung, dass Antragsteller eine Mindestverweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen bis zur Anhörung beim BAMF haben, lässt zudem erwarten, dass es sich lediglich um eine kurze „Verschnaufpause“ handeln wird und auch weiterhin Antragsteller, bei denen die Bleibeperspektive noch nicht abschließend geklärt ist, auf die Kommunen verteilt werden.
Beschleunigung und Digitalisierung von Verfahren
Die Vereinfachungen zur Entlastung der Ausländerbehörden sind richtig. Allerdings muss in der Wirkungsweise berücksichtigt werden, dass es sich hierbei nur um Verbesserungen im „Maschinenraum“ handelt. Schnelle Auswirkungen auf die aktuelle Situation werden sich nur bedingt ergeben. Zielführend wäre gewesen, diese Maßnahmen bereits spätestens im vergangenen Jahr umzusetzen, als sich die Dramatisierung der Lage abzeichnete.
Dabei muss sich an beschleunigte Verfahren notwendigerweise auch eine konsequente Rückführung abgelehnter Antragsteller anschließen. Bemerkenswert ist die Erwartung, dass die Kommunen Ausländer- und Sozialbehörden personell aufstocken sollen. Hier stellt sich nicht nur die Frage, mit welchem (nicht vorhandenen) Personal dies erfolgen soll, sondern auch mit welchen Finanzmitteln die Kommunen zusätzliche Stellen bezahlen sollen. Wenn hier auch auf die Aufstockung der Bundespauschale um eine Milliarde zurückgegriffen werden muss, wird zur Aufnahme, Betreuung und Integration noch weniger Geld zur Verfügung stehen als dies ohnehin schon der Fall ist.
Unterbringung, Betreuung und Integration von Geflüchteten
Die angestrebten gesetzlichen Änderungen im Bau- und Vergaberecht entsprechen kommunalen Forderungen. Zielführend ist, dass bau- und vergaberechtliche Erleichterungen sowohl für Flüchtlingsunterkünfte als auch darüber hinaus für soziale Einrichtungen, Schulen und Kindertagesstätten angekündigt werden. Das entspricht Unions-Forderungen. Diese können zur Beschleunigung und Verfahrenserleichterungen beitragen. Bei der konkreten Umsetzung muss darauf geachtet werden, dass die erforderlichen gesetzlichen Regelungen tatsächlich auch soziale Einrichtungen, Schulen und Kindertagesstätten einbeziehen. Im Beschluss der Sonder-MPK liegt noch Potenzial für Missverständnisse. Denn bei der Konkretisierung zu § 246 BauGB und der Anhebung von Wertgrenzen im Vergaberecht werden nur noch die Flüchtlingsunterbringung und Bauaufträge im Wohnungsbau konkret genannt.
Inwieweit weitere BImA-Liegenschaften wirklich weiterhelfen, bleibt abzuwarten. Häufig liegen die BImA-Immobilien falsch oder sie sind nicht kurzfristig nutzbar. Bei kurzfristigem Wohnraumbedarf hilft auch die Übernahme der Herrichtungskosten nur bedingt, so dass über die BImA eher mit mittelfristiger bis längerfristiger Entlastung gerechnet werden sollte.
Konsequente Rückführung
Verbesserungen bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht und bei freiwilliger Rückkehr sind aus kommunaler Sicht zu begrüßen. Ein Problem der Kommunen bei der Unterbringung neuer Asylbewerber und Flüchtlinge ist, dass Plätze auch von denen belegt werden, die keine Bleibeperspektive haben und seit längerer Zeit ausreisepflichtig sind. Die vereinbarten Maßnahmen entsprechen weitgehend kommunalen Forderungen und sind bei konsequenter Anwendung ein zielführender Beitrag zur Entlastung der Kommunen.