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Gibt Corona den Innen­städten den Todesstoß?

Corona, Städtebau

Die Innenstädte bluten aus: Einst attraktive Zentren veröden, die Kaufkraft wandert zu den Einkaufscentren im Gewerbegebiet. Der Online-Handel und die Corona-Pandemie wirken als Brandbeschleuniger. Die KPV möchte diese Entwicklung nicht hinnehmen und hat ein eigenes Diskussionspapier mit Lösungsvorschlägen erarbeitet.

Schon 2007 wurde die „LEIPZIG CHARTA zur nachhaltigen europäischen Stadt“ beschlossen, mit dem Ziel, die Stadtfunktionen Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Städten wieder stärker miteinander zu verbinden. Seit diesem Beschluss hat sich viel geändert, doch nicht zum Besseren.

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Anfang Dezember 2020 haben nun die für die Stadtentwicklung zuständigen EU-Minister die „Neue Leipzig Charta“ verabschiedet, in der die Rolle der europäischen Stadt definiert wird und in die nationale Gesetzgebung einfließen soll. Der hohe Abstraktionsgrad, der auch damit eine gemeinsame Beschlussfassung von allen EU-Staaten ermöglichte, hilft unseren Innenstädten in keiner Weise, da zum Beispiel Aussagen zu konkreten Instrumenten der Steuerungsmöglichkeiten und zur Gestaltungskraft der Städte fehlen.

Die strukturellen Probleme der in den 1960er-Jahren entstandenen Innenstädte werden nicht gelöst, die Besucher-/Kundenzahlen sind weiter rückläufig, die Immobilien sind oft im Unterhaltungsstau gefangen, der gesellschaftliche Umgang und die Erwartung an Innenstädte hat sich geändert – und der jährlich zulegende Online-Handel ist ein Problem, aber vor allem Symptom!

Planungsrecht ist ein stumpfes Schwert

Bei Betrachtung dieser komplexen Problemlage muss heute gefragt werden, was zur Problemlösung bisher veranlasst wurde und vor allem was mit diesen Entscheidungen tatsächlich vor Ort erfolgreich erreicht wurde beziehungsweise erreicht werden konnte. Insbesondere bietet das Planungsrecht keine effektive Hilfe, solange Rechtsfolgen anderer Regelungen – zum Beispiel TA-Lärm – das urbane Neben- und Miteinander in der Innenstadt verhindert.

Aufgrund der unterschiedlichen Probleme und Herausforderungen, denen die Innenstädte ausgesetzt sind, kommt einer breit angelegten Strategie zur Belebung eine immer größere Bedeutung zu. Die Entwicklung der Innenstadt bedarf einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den vorhandenen Strukturen und Potenzialen. Dabei sind neben weiteren Aspekten die Bedingungen des stationären und des digitalen Einzelhandels zu betrachten.

In besonderem Maße ist aber ernsthaft zu hinterfragen, ob der zurzeit zur Verfügung stehende „Werkzeugkasten“ mit seinen rechtlichen Möglichkeiten und Wegen, wenn man sie dann beschreitet, erfolgreich ist und sein kann. Hier bestehen erhebliche Zweifel! Das Rechtsumfeld ist für die erforderlichen Rettungsmaßnahmen anzupassen.

Die Positionspapiere des DStGB „Rettet unsere Innenstädte“ und des DST „Zukunft von Stadt und Handel“ zeigen bereits umfangreiche Ansatzpunkte auf.

Ausbluten der Innenstädte

Die Innenstädte leiden zusehends an einem Bedeutungsverlust in ökonomischer, sozialer, funktionaler und politischer Hinsicht. Angesichts dieser Situation der Städte sind Maßnahmen umzusetzen, die die Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Innenstädten stärken. Die Schaffung der Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“ in der Baurechtsnovelle, welches gemäß BauNVO dem Wohnen, der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen dient, scheitert, da die weitere Anpassung der TA Lärm gerade in Bezug auf die Nachwerte zwingend erforderlich ist, aber nicht erfolgt. In der TA Lärm werden Immissionsrichtwerte von 63dB(A) tagsüber und 45 dB(A) nachts zugelassen. Somit ist tagsüber gegenüber Misch- oder Kerngebieten zwar eine höhere Lärmbelastung möglich, nachts müssen hingegen die gleichen Standards eingehalten werden, die aus Mischgebieten bekannt sind. Dies ist für eine lebendige Innenstadt mit Außengastronomie, Kultur und flexiblen Öffnungszeiten nicht gerade zuträglich und zu ändern.

Erlebnisraum Innenstadt

Der Erlebnisraum „Innenstadt“ muss durch gemeinsame Maßnahmen von Handel, Kultur, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen gestärkt und durch ein gemeinsames Management und Marketing professionell inszeniert werden. Die Einrichtung von „Runden Tischen“ ist zwingend erforderlich, um die innenstadtrelevanten Akteure in Arbeitsgruppen zielgerichtet zusammenzuführen, um Maßnahmenpläne zu erarbeiten und umzusetzen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Herausbildung des einzigartigen Charakters, der eigenen Identität und Tradition der jeweiligen Stadt. Alleinstellungsmerkmale einer Stadt und insbesondere einer Innenstadt sind herauszubilden. Eine qualitätsvolle Planungs- und Baukultur ist eine Gemeinschaftsaufgabe der innenstadtrelevanten Akteure. Wettbewerbe, Gestaltungsbeiräte, Erhaltungs-, Gestaltungs- und Denkmalschutzsatzungen können eine qualitätsvolle Baukultur sicherstellen.

Ob das gerade beschlossene Baulandmobilisierungsgesetz die Instrumente der Erhaltungssatzungen und der städtebaulichen Gebote im BauGB (§§ 172-179 BauGB) geeignet sind, die Rechte der Kommunen zu stärken und das finanzielle Risiko zu minimieren, wird sich in der Praxis zeigen.

Erforderlich sind auch erweiterte Zugriffsmöglichkeiten der Kommunen auf Problemimmobilien. Bund und Länder müssen die Kommunen mit Finanzmitteln und gesetzlichen Instrumenten ausstatten. Ein ausreichend dotierter Innenstadtfonds könnte die Kommunen in die Lage versetzen, leere Handelsimmobilien vorübergehend anzumieten oder zu erwerben und Innenstadt stärkende Nutzungen zu etablieren.

Nicht gegen – sondern miteinander

Die Verschiebung des Einkaufverhaltens von stationärem Handel zum Internethandel ist unumkehrbar. Der Lehrsatz „Handel ist Wandel“ gilt auch hier. Es erinnert an eine vergleichbare Situation: Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Kaufhäuser, wie Wertheim oder Tietz, die Innenstädte eroberten, ging dies unwiderruflich zu Lasten des damaligen Einzelhandels. Deshalb muss die Symbiose zwischen stationärem Handel und digitaler Welt endlich gelingen.

Lokale Online-Marktplätze sind zu etablieren. Digitale Produktinformationen, Navigation und Einkaufswelten verbunden mit mobilen Bezahlsystemen aufbauend auf dem Einzelhandel vor Ort können Kunden über die digitale Welt zurückgewinnen. Ein kostenfreies WLAN-Netz in den Innenstädten verbunden mit einem Breitbandausbau sind selbstverständlich. Die Beteiligung der Immobilieneigentümer ist zwingend er­forderlich und muss von den Kommunen für die betroffenen Are­ale einforderbar werden. Steuerliche Erleichterungen, Mietzu­schüsse oder vom Umsatz abhängige Mietmodelle könnten für „prekäre Innerstädtische Lagen“ ermöglicht werden. Entspre­chende Ermächtigungsgrundlagen wären durch den Gesetzge­ber zu schaffen. Die gesetzlichen Regelungen zu Business Impro­vement Districts (BID), Immobilien- und Standortgemeinschaf­ten (ISG) oder vergleichbaren Gesetzesvorhaben in den unter­schiedlichen Bundesländern zu Kooperationen zwischen Gewer­betreiben und Grundstückseigentümern sollten nach der Regel 50+1 fortgeschrieben werden und bei einfacher Mehrheit Pflichtabgaben aller im Geltungsbereich liegender Grundeigen­tümer über entsprechende kommunale Satzungen ermöglichen.

Förderlich wären Sonderbedingungen bei der steuerlichen Berücksichtigung wie beispielsweise Sonderabschreibungen von entsprechenden baulichen Aktivitäten der Eigentümer.

Im Rahmen der „Verkehrswende“ sind eine gute Infrastruktur des ÖPNV, der Fahrrad- und Fussgängerverkehre, eine digitale Vernetzung der Verkeh­re, neue Mobilitätsformen wie Elektromobilität, Lastenfahrräder bei Kunden- und Lieferverkehren sowie die Errichtung von Sammeldepots für Liefer­dienste, Konzepte zur Nachtlogistik und zum Ein­satz von Drohnen umzusetzen. Hier müssen För­derprogramme durch Bund und Länder entspre­chend ausgerichtet und kommunale Modellprojek­te gefördert werden.

Für alle Maßnahmen zur Aktivierung der Innen­städte und Ortskerne brauchen die Kommunen zu­sätzliche Mittel; Andreas Jung MdB und Christian Haase MdB haben eine Paketabgabe und die Aus­stockung der Städtebauförderung vorgeschlagen – mehr dazu finden Sie auf KOPO.de.

Autor: Ekkehard Grunwald ist Kämmerer der Stadt Recklinghausen und stellvertretender KPV-Bundesvorsitzender

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