Das Bundesverwaltungsgericht hat Ende Februar entschieden, dass Fahrverbote in Städten zur Beschränkung der Emissionen im Straßenverkehr rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen sind. Das bedeutet für die Städte jedoch nicht, dass sie jetzt umgehend Fahrverbote erlassen und die Einfahrt für bestimmte Fahrzeuge untersagen müssen. Vielmehr machte das Gericht deutlich, dass Verbote – wenn sie denn zum Einsatz kommen sollten – verhältnismäßig ausgestaltet werden müssen.
Darunter wird auch verstanden, dass Euro-5-Fahrzeuge nicht vor dem 1. September 2019, also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6, mit Verkehrsverboten belegt werden dürfen. Darüber hinaus seien Ausnahmen, zum Beispiel für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen, notwendig. Das zeigt: Die Umsetzung des Urteils verlangt viel Augenmaß.
Übergeordnetes Ziel muss es sein, die Ultima Ratio Fahrverbote und das Aussperren von Diesel-Pkw aus den Städten zu vermeiden. Ein solcher Bann ist unsozial, schränkt die Mobilität ein, ist wirtschaftsfeindlich und verursacht enorme finanzielle Schäden. Zudem zeichnen sich die Herausforderungen bei Umsetzung und Kontrolle schon heute ab: Hierzu würden bei Polizei und städtischen Ordnungsämtern die ohnehin strapazierten personellen Ressourcen gebunden, die dann an anderer Stelle wie zum Beispiel bei der Kriminalitätsbekämpfung fehlen.
Es ist unstrittig, dass der Ausstoß von Stickoxiden weiter reduziert werden muss. Wir sind hier schon auf einem guten Weg: Nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes war zwischen 1990 und 2015 eine Reduktion der Emissionsbelastung durch Stickoxide um über 1,7 Millionen Tonnen beziehungsweise rund 60 Prozent zu verzeichnen gewesen. Dieser Rückgang erfolgte in allen Bereichen, am deutlichsten jedoch im Verkehr mit einem Minus von einer Million Tonnen – trotz einer deutlich gesteigerten Verkehrsleistung. So sank auch am Hotspot Stuttgart-Neckartor die Anzahl der Stunden, in denen der erlaubte Ein-Stunden-Grenzwert für Stickstoffdioxid von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten wurde, von 853 im Jahr 2006 auf lediglich drei in 2017. Dieser Rückgang kommt nicht von ungefähr: Er ist das Ergebnis politischer und technologischer Weichenstellungen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es höchst unverantwortlich, dass Schreckgespenster an die Wand gemalt und Ängste geschürt werden – allen voran von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und den Grünen. Sie behaupten immer und immer wieder, jährlich würden mehrere tausend Menschen durch Verkehrsemissionen sterben. Wissenschaftler und Mathematiker bestätigen, dass diese Behauptung jeglicher Grundlage entbehrt. Es gibt keine wissenschaftlich erwiesenen Daten darüber, wie viele Menschen aufgrund grenzwertüberschreitender Stickstoffdioxid-Expositionen erkrankt oder gar gestorben sind. Überschreitungen von Stickstoffdioxid-Grenzwerten an bestimmten Orten allein haben relativ wenig Aussagekraft. Es kommt vielmehr auf die an einem Ort bestehende Komposition beziehungsweise das Zusammentreffen mit anderen Faktoren an. Die Wirkung von bestimmten Gasgemischen auf den menschlichen Körper steht auch in Abhängigkeit zum Beispiel mit dem Wetter, der Aufenthaltsdauer, dem Alter oder dem Gesundheitszustand. Im Übrigen: Die Lebenserwartung im vermeintlich hochbelasteten Stuttgart ist bis zu eineinhalb Jahre höher als die im beschaulichen Kurort Baden-Baden. Eine bemerkenswerte Situation. Vor dieser Realität verschließen DUH und Grüne bei ihrem ideologischen Kampf gegen individuelle Mobilität jedoch die Augen.
Dass dabei offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird, macht ein Beispiel ganz besonders gut deutlich: Gleich nach der Verkündung des Urteils durch das Bundesverwaltungsgerichts preschte Hamburgs grüner Umweltsenator Jens Kerstan vor und kündigte an, Fahrverbote rasch umsetzen zu wollen. Und das in einer Stadt, die in diesem Jahr von rund 220 Kreuzfahrtschiffen angelaufen werden soll. Nach Berechnungen von Umweltorganisationen stoße ein einziges Kreuzfahrtschiff bis zu fünf Tonnen Stickoxide aus – an einem einzigen Tag.
Um den positiven Trend fortzusetzen und die Emission weiter zu senken, ist ein kluger Ansatz ohne Verbote und Diskriminierungen notwendig. Der Abgasstandard Euro 6d-TEMP in Kombination mit einem transparenten Real-Driving-Emissions-Verfahren (RDE) zwingt die Automobilindustrie dazu, Technologien für saubere, schadstoffarme Fahrzeuge zu entwickeln. Ergänzt durch Softwarenachrüstungen, intelligente Verkehrssteuerung sowie einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr wird dies zu einer besseren Luftqualität führen. Richtige Schritte sind es auch, dass Diesel-Busse nachgerüstet und emissionsarme Antriebe – von Elektromobilität über Gasantriebe bis hin zur Brennstoffzelle – von der Bundesregierung gefördert werden. Im neuen Koalitionsvertrag wurde zudem vereinbart, dass die Anstrengungen für eine Verbesserung der Luftqualität erheblich verstärkt werden. Die Kommunen sollen dabei unterstützt werden, die Emissionsgrenzwerte im Rahmen ihrer Luftreinhaltepläne mit anderen Maßnahmen als mit pauschalen Fahrverboten einzuhalten. Das ist genau der richtige Ansatz!
Wer hingegen Fahrverbote fordert, legt die Axt an eine Schlüsselindustrie der deutschen und europäischen Wirtschaft in einer Zeit, in der sich die Automobilbranche selbst verschuldet in einer schweren Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise befindet. Fahrverbote gefährden hunderttausende Arbeitsplätze und damit die Grundlage für Wohlstand und sozialen Ausgleich. Und: Mit Fahrverboten werden Menschen bevormundet und ihrer Mobilität beraubt.
Autor: Carsten Müller MdB ist Mitglied im Bundestags-Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Der Beitrag ist erschienen in der April-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO).