Lebenswerte Städte für die Menschen – das ist immer das Ziel guter Kommunalpolitik. Um das zu erreichen, braucht die Kommunalpolitik aber auch genug Handlungsspielraum, man könnte auch sagen: die notwendige Beinfreiheit. Das gilt vor allem für die Verkehrspolitik. Ein erheblicher Teil des öffentlichen Raums in unseren Städten sind Verkehrsflächen. Wie wir den Verkehr dort steuern, welchen Verkehrsmix wir haben und wie wir unterschiedliche Mobilitätsansprüche miteinander in Einklang bringen – all das hat wesentlichen Einfluss darauf, wie die Menschen ihre Stadt wahrnehmen. Es hat Einfluss auf die Lebensqualität und das Miteinander in der Stadt.
Lebenswerte Städte gehen die Verkehrspolitik aktiv an und gestalten öffentliche Räume für alle. Das können die Städte heute aber nur bedingt. Das Straßenverkehrsrecht hat mit den Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger an eine zeitgemäße lokale Verkehrspolitik nicht Schritt gehalten. Heute geht es nicht mehr nur darum, Autos flüssig durch die Stadt zu leiten. Das Mobilitätsverhalten hat sich verändert. Der Verkehrsmix in den Städten ist bunter geworden. Neben Fußgängern, Radfahrern, Autos, Bussen und Bahnen sind längst auch E-Scooter, E-Bikes und Lastenräder unterwegs. Allein das ändert auch die Anforderungen an die Verkehrssteuerung vor Ort. Außerdem ist die Verkehrswende ein wichtiger Baustein für Klimaschutz und Klimaanpassung in den Städten. Mehr ÖPNV statt Individualverkehr und angepasste Geschwindigkeiten auf den Straßen sorgen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr, ruhigere Straßen, saubere Luft – mit Klimaschutz als positivem Nebeneffekt.
Mehr Handlungsspielraum für die Städte in der Verkehrsplanung und -steuerung
Wie wir die Mobilität von morgen in unseren Städten gestalten, dafür gibt es keine Blaupause. Die Lösungen sind individuell und von Stadt zu Stadt, ja sogar von Quartier zu Quartier unterschiedlich. Wo Tempo 30 zur Stadtentwicklung passt und wo nicht, welches Parkraummanagement in welchem Stadtquartier gelten soll – diese Fragen können nicht auf Bundes- oder Landesebene entschieden werden, sondern nur vor Ort. Genau das sollte die geplante Novelle des Straßenverkehrsgesetzes ermöglichen: mehr Handlungsspielraum für die Städte in der Verkehrsplanung und -steuerung. Der Entwurf, den das Bundesverkehrsministerium im vergangenen Sommer vorgelegt hat, war zwar noch nicht der große Wurf, den die Städte sich gewünscht hatten. Aber es war ein erster Schritt, den Städten mehr Entscheidungsspielraum zu geben bei der Verkehrsplanung und Verkehrssteuerung vor Ort. Den Bundestag hat das Gesetz noch passiert, den Bundesrat bislang nicht. Die Länderkammer hat den Reformentwurf im vergangenen November abgelehnt.
Über den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat könnte die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes wieder in die Spur gebracht werden. Die Forderung der Städte an die Bundesregierung ist klar: Sie muss den Vermittlungsausschuss anrufen. Denn ohne ein modernes Straßenverkehrsrecht liegt die Verkehrswende in den Städten weitgehend auf Eis. Das will niemand, der kommunalpolitisch aktiv ist. Und die Frage, ob die Städte mehr Handlungsspielraum in der Verkehrspolitik brauchen, ist auch keine Frage der Farbe des Parteibuchs. Ein Beispiel: In der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ haben sich inzwischen mehr als 1.000 Kommunen zusammengefunden – über alle Parteigrenzen hinweg. Ihr gemeinsames Ziel: Die Städte sollen selbst entscheiden können, wo sie Tempo 30 einrichten. Dabei geht es nicht um die flächendeckende Einführung im ganzen Stadtgebiet. Es geht lediglich darum, reduzierte Geschwindigkeiten überall dort einsetzen zu dürfen, wo sie aus Sicht der Verantwortlichen vor Ort sinnvoll sind und gebraucht werden. Denn noch nicht einmal das ist mit dem heutigen Straßenverkehrsgesetz möglich. Heute müssen Städte für jeden noch so kleinen Tempo-30-Abschnitt den doppelten und dreifachen Nachweis für das Naheliegende führen: Dass reduzierte Geschwindigkeit die Sicherheit im Verkehr verbessert.
Tempo 30: Wir würden gerne, können aber nicht
Die Frage der Geschwindigkeitsvorgaben ist aber nur eines von vielen Beispielen, bei denen den Städten in der Verkehrspolitik qua Gesetz aktuell die Hände gebunden sind. Die Ansprüche an unterschiedliche Mobilitätsangebote und Mobilitätsformen wachsen. Die Bürgerinnen und Bürger in den Städten erwarten von uns zurecht eine moderne Verkehrspolitik. Eine Verkehrspolitik, die die Belange aller Menschen im öffentlichen Raum berücksichtigt. Für uns in der Kommunalpolitik ist es deshalb immer wieder frustrierend, wenn wir sagen müssen: Wir würden gerne, können aber nicht. Deshalb ist unser Plädoyer zur Novelle des Straßenverkehrsgesetzes klar: Die Bundesregierung darf dieses für die Kommunen zentrale Vorhaben nicht aufgeben. Bundesregierung und Bundestag müssen nach dem „Nein“ des Bundesrats den Vermittlungsausschuss anrufen. Der Bundesrat hatte in einer ersten Stellungnahme zur Reform verschiedene Nachbesserungen gefordert. Aus Sicht der Städte würden diese Vorschläge das Gesetz durchaus verbessern. Es geht zum Beispiel um die Weiterentwicklung des Bewohnerparkens zum Quartiersparken oder die Möglichkeit, soziale Kriterien bei Bewohnerparkgebühren einführen zu können. Die Städte begrüßen das – und auch der Bund sollte damit keine inhaltlichen Probleme haben. Die vermeintliche Kluft zwischen den Positionen der Länder und der Position des Bundes ist also gar nicht so groß, wie sie manchen scheint. Die Bundesregierung muss sich jetzt nur einen Ruck geben.
Autor: Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Münster
Dieser Beitrag erschien in der KOPO-Ausgabe 3/2024.
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