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Die Ohnmacht vor der Eingliederungshilfe

Finanzen, Soziales

Immer mehr Menschen mit Behinderung beziehen Eingliederungshilfe. Nicht nur die Fallzahlen steigen, auch die Fallkosten nehmen zu. Ein Blick auf die Finanzierung, die insbesondere in NRW für die Kommunen zur Belastung wird.

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit wesentlichen Behinderungen fristet seit Jahren ein finanzpolitisches Schattendasein. Angesichts des betroffenen Personenkreises mag das auch nicht verwundern, gilt doch die Eingliederungshilfe als wichtigste Fürsorgeleistung für diejenigen in unserer Gesellschaft, die am stärksten der Unterstützung und Betreuung bedürfen. Hinzu kommt, dass dieses System maßgeblich von verhandlungsmächtigen Unternehmen der Sozialwirtschaft getragen wird, deren Tätigwerden eben nicht ausschließlich altruistisch motiviert ist. Wer dann doch den Mut aufbringt, den Kostenaufwuchs in der Eingliederungshilfe in der Fachöffentlichkeit oder in der Zivilgesellschaft zu thematisieren, sieht sich dem Vorwurf der Hartherzigkeit ausgesetzt, selbst wenn gar nicht auf den Leistungsumfang, sondern vorrangig auf Fragen der Finanzierungsverteilung im föderalen Bundesstaat abgestellt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Eingliederungshilfe in den Ländern von unterschiedlichen Behörden ausgeführt wird und auch die Finanzierungsregelungen stark auseinanderlaufen.

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Die Ausgabenentwicklung in der Eingliederungshilfe


Die Bruttoausgaben der Eingliederungshilfe sind 2021 auf einen Betrag von knapp 23 Milliarden Euro angewachsen und bilden damit den größten Kostenblock innerhalb der sozialen Leistungen in Deutschland (zur Einordnung: die ebenfalls sehr dynamisch aufwachsende Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat im Vergleichszeitraum Bruttoausgaben von weniger als 8,5 Milliarden Euro). Der rasante Ausgabenaufwuchs ist sowohl fallzahlen- als auch fallkostenbedingt:

  • Die Fallzahlen steigen, weil die Menschen mit Behinderungen immer mehr werden, sie glücklicherweise immer länger leben und ältere Menschen systematisch höhere Pflegebedarfe entwickeln.
  • Die Fallkosten steigen, weil die Hilfebedarfe immer größer werden, die Ansprüche an ein gutes Leben wachsen und die Tariflöhne der Beschäftigten in der Eingliederungshilfe immer weiter steigen.


Und deren Finanzierung?


Die Eingliederungshilfe wird im Bundesgebiet derzeit durch die Länder und die Kommunen finanziert, wobei die Mehrzahl der deutschen Flächenländer mindestens die Hälfte der Ausgaben trägt. Der Bund beteiligt sich im Rechtsregime der Eingliederungshilfe nicht, obwohl in Berlin die rechtlichen Grundlagen im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz im Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) beziehungsweise im Bundesteilhabegesetz (BTHG) gesetzt werden. Allerdings hat sich der Bund in den zurückliegenden Jahren bei der Finanzierung der Sozialleistungen sehr kommunalfreundlich verhalten. So erhalten die Kommunen vom Bund unter anderem seit dem Jahr 2018 eine allgemeine Kommunalentlastung im Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich, die ursprünglich (2013) dafür gedacht war, die Eingliederungshilfe zu einem Drittel der Gesamtausgaben mitzufinanzieren – damals lagen die Bruttoausgaben der Eingliederungshilfe bundesweit noch bei rund 15 Milliarden. Allein diese Entwicklung mag verdeutlichen, dass das heutige Finanzierungssystem der Eingliederungshilfe den Anschluss an deren demografische, gesellschaftliche, tarifliche und leistungsrechtliche Entwicklung längst verloren hat.

Situation in NRW


Das Land NRW hat die hauptsächliche Trägerschaft der Eingliederungshilfe auf die beiden Landschaftsverbände übertragen, die deren Ausgaben (2021: rund 5,7 Milliarden Euro) im „Mantel“ der Landschaftsumlagen an die Kreise und kreisfreien Städte weitergeben. Insoweit sind Aufgabenträgerschaft und Finanzierungsverantwortung der Eingliederungshilfe in NRW ausschließlich auf der kommunalen Ebene verortet. Das Land NRW beteiligt sich außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs nicht, obwohl

  • hier nicht nur deren Ausgaben am höchsten, sondern auch die Fallzahlen im Bundesländervergleich weit überdurchschnittlich hoch sind, und
  • die Kommunen im Bereich der sozialen Sicherung insgesamt rund 85 Prozent der Ist-Ausgaben (sogenannter „Kommunalisierungsgrad“) tragen und damit etwa 14 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der deutschen Flächenländer liegen.


Diese über alle Regierungswechsel hinweg fortgesetzte Ungleichverteilung in der Finanzierung sozialer Leistungen sorgt besonders in NRW dafür, dass die kommunale Ebene bei der Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlich so wichtigen Aufgabe längst am Ende ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angekommen ist.

Es braucht eine Finanzierung nach dem Veranlassungsprinzip


Die Finanzierung der Eingliederungshilfe muss wieder in den Blick genommen werden, dem Prinzip der Veranlassung folgend und fernab von parteipolitischen Einfärbungen. Im zweistufigen Bundesstaat braucht es eine langfristig tragfähige und zielgerichtete Finanzierungslösung in Form von „Interessensquoten“, in deren Rahmen der Bund im Wege einer dynamischen Bundesbeteiligung mindestens für die durch ihn im Wege des BTHG ausgelösten Kostenfolgen und die Bundesländer für länderspezifische Streubreiten im Ausgabeverhalten in die Finanzierungsverantwortung genommen werden.

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Autoren: Dr. André Jethon, Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Lünen und Lars Martin Klieve, Bundesschatzmeister der KPV von CDU und CSU

Dieser Beitrag ist in der KOPO-Ausgabe 10/2023 erschienen.
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