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Kommunen am langen Arm verhungern lassen?

Finanzen, Integration

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition ist noch kein Jahr alt – und schon ist seitens der Bundesregierung alles vergessen, was an „kooperativem Miteinander“ zwischen Bund und Kommunen versprochen worden ist. In Zeile 253 des Koalitionsvertrages wird eine „engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ angestrebt. Und was geschieht in der Realität? Man lässt die Landkreise und kreisfreien Städte – anders als seit Beginn der Flüchtlingskrise bis einschließlich 2021 – hinsichtlich der vollständigen Übernahme der flüchtlingsbedingten Unterkunfts- und Heizkosten für 2022 ff. schlicht „am langen Arm verhungern“, geht auf keinen einzigen der kreisseitig mehrfach deutlich artikulierten Gesprächswünsche ein – und die Länder schauen diesem Agieren untätig zu.

Zur Erinnerung: Die durchschnittliche Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung im SGB II betrug zunächst 28,3 v.H. Hinzu traten aus dem 5 Milliarden Euro-Entlastungspaket eine dauerhafte Erhöhung um 10,2 Prozentpunkte und sodann ab 2020 verbunden mit einer Verfassungsänderung in Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG eine von der Union erstrittene Erhöhung um weitere 25 Prozentpunkte, so dass sich der Bund seither grundsätzlich mit 63,5 % an den Kosten der Kreise und kreisfreien Städte für Unterkunft und Heizung nach § 46 SGB II beteiligt.

Foto: © Mitch Shark – stock.adobe.com

Hinzu kam eine Übernahme der gesamten flüchtlingsbedingten Unterkunftskosten, die insoweit also auch den von den Kreisen und kreisfreien Städten grundsätzlich selbst zu tragenden Anteil von 36,5 % abdecken. Dieser KdUAnteil wurde in den Jahren 2016 bis 2021 in eine weitere, länderspezifisch ermittelte Beteiligungsquote umgerechnet, die bundesdurchschnittlich zu Beginn 2,9 v.H. und im vergangenen Jahr 10,5 v.H. betragen hat. Diese Regelung ist Ende 2021 ausgelaufen, obwohl sich die Zahl der Flüchtlinge im SGB II 2022 deutlich erhöht hat, was neben dem aus den Jahren 2015 ff. resultierenden Altbestand im Wesentlichen auf die ab dem 1.6.2022 unmittelbar SGB II-Leistungen beziehenden ukrainischen Geflüchteten zurückzuführen ist.

Gespräch mit dem Bundeskanzler und seine Folgen


Im Gespräch des Bundeskanzlers und weiterer Mitglieder der Bundesregierung mit den kommunalen
Spitzenverbänden am 1.4.2022 ist aufgrund der Darlegungen insbesondere von Bundesfinanzminister Lindner richtigerweise sehr deutlich hervorgehoben worden, dass insoweit keine vollständige Interessenidentität zwischen Ländern und Kommunen besteht, da für die Finanzierungsverantwortung zunächst an die Verwaltungsverantwortung angeknüpft wird und diese weitgehend bei den Kreisen und kreisfreien Städten liegt.

Von Seiten des Deutschen Landkreistages wurde in diesem Gespräch am 1.4.2022 unmissverständlich herausgestellt, dass Finanzierungsfragen nicht nur bezogen auf ukrainische Geflüchtete klärungsbedürftig seien, sondern auch darüber hinaus bezogen auf die Fortsetzung der Flüchtlingsfinanzierung im Übrigen, aber auch bezogen auf die Finanzierung von neuen bzw. erweiterten Leistungen im SGB II. Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister erwiderten insoweit sehr deutlich, dass sie zunächst nur bereit seien, ausschließlich über die Ukraine-bezogenen Finanzierungsfragen zu verhandeln.

Insoweit wurde vom Deutschen Landkreistag deutlich gemacht, eine möglichst schnelle Überführung der aus der Ukraine Geflüchteten in das SGB II nicht zu präferieren. Dies habe erhebliche Auswirkungen für das auch im Übrigen zu erbringende Sozialleistungsniveau, führe zu Ungleichbehandlungen mit Geflüchteten aus anderen Ländern und zu Problemen bei der Einschränkung der Freizügigkeit. Die Finanzierungsverantwortung liege dann zudem ausschließlich beim Bund einerseits und den Kreisen und kreisfreien Städten andererseits, so dass eine solche Lösung zwar günstig für die Länder, nicht jedoch für die Kreise und kreisfreien Städte sei.

Im Weiteren haben wir zu bedenken gegeben, dass der Bund den Kommunen keine gesicherte Finanzierung zukommen lassen könne. In diesem Sinne beendete der Bundeskanzler dann auch diese Diskussion mit dem Satz: “Vorrangig ist die Integration in den Arbeitsmarkt und nicht die in das Sozialleistungssystem. Der Bund trägt für alles das Hauptrisiko. Länder und Kommunen müssen schon sehr tapfer sein, um dieses Angebot abzulehnen.“

Und so ist es dann auch gekommen. Bund und Länder haben sich am 7.4.2022 darauf verständigt, dass der Bund den Ländern im Jahr 2022 insgesamt 2 Milliarden Euro bei ihren Mehraufwendungen für die Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung stellt (500 Millionen Euro zur Unterstützung bei den kommunalen Kosten der Unterkunft, 500 Millionen Euro zur Abgeltung der bisherigen Flüchtlingskosten, 1 Milliarde Euro Beteiligung an übrigen Kosten wie Kita, Schule oder Gesundheitsversorgung).

Weiterhin wurde verabredet, einvernehmlich mit den Ländern in diesem Jahr eine Regelung zur Verstetigung der Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten sowie den Aufwendungen für Integration der Länder und Kommunen zu finden, und zwar rückwirkend ab dem 1.1.2022.

Das bedeutet konkret:

  1. Es sind Vereinbarungen ausschließlich für Geflüchtete aus der Ukraine getroffen worden.

  2. Sonderfinanzierungsquoten sind für den Übergang Kriegsgeflüchteter aus der Ukraine in das SGB II nicht vereinbart worden. Es gilt für jeden Kreis/jede Stadt also die „normale“ Quote.

  3. Vom Bund erhalten die Kommunen keinerlei unmittelbare Unterstützung über einen Umsatzsteuerfestbetrag, der mit sofortiger Wirkung ohne Weiteres zu regeln möglich gewesen wäre.

  4. Stattdessen haben die Länder nach dem horizontalen Umsatzsteuerverteilungsmodus, der mit der Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine nichts zu tun hat, einen erhöhten Anteil erhalten.

2016:2,9 v.H.,
2017:7,7 v.H.,
2018:10,5 v.H.,
2019:10,9 v.H.,
2020:11,0 v.H. und
2021:10,5 v.H.
Tab.: Erhöhungsanteil wegen flüchtlingsbedingter Kosten

Geschehen seit 22.9.2022


Daran anknüpfend haben sich die Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit einem Schreiben an den Bundeskanzler gewandt und um die Fortsetzung des Gesprächs („Flüchtlingsgipfel“) gebeten.

Stattdessen fand am 11.10.2022 auf deren Einladung ein Gespräch zwischen der Bundesinnenministerin und den kommunalen Spitzenverbänden statt, bei dem Finanzierungsfragen von vornherein mangels BMI-Zuständigkeit ausgeklammert wurden.

Am 13.10.2022, also zwei Tage nach dem Gespräch mit der Bundesinnenministerin, erhielt der Deutsche Landkreistag von Kanzleramtsminister Schmidt ein Antwortschreiben auf das an den Bundeskanzler gerichtete Schreiben vom 22.9.2022, in dem es u.a. hieß, dass mit den Ländern eine Regelung zur Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten gefunden werden solle. Außerdem wurde – bezeichnenderweise verspätet – auf das bereits abgeschlossene Gespräch mit der Bundesinnenministerin verwiesen, in dem Finanzierungsfragen aber ausgeklammert worden sind.

Bemerkenswert an diesem Brief ist vor allem, was darin nicht steht:


Zum einen wird mit keinem einzigen Wort in Aussicht gestellt, die Kommunen an den Finanzverhandlungen zu beteiligen. Und zum anderen wird die Gesprächsebene vom Bundeskanzler auf die Bundesinnenministerin verlagert und dabei zugleich der Gesprächsgegenstand im Vergleich zu den Erörterungen vom 1. April 2022 deutlich verengt. Daraufhin hat der DLT erneut und umso vehementer eingefordert, in die entsprechenden Gespräche zur Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten eingebunden zu werden.

Geschehen ist daraufhin in der Folgezeit bis zur Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder am 2.11.2022 erneut nichts. Beschlossen wurde, dass man sich „darüber einig ist, dass ihre Vereinbarung die Gesamtregelung der finanziellen Lastenverteilung… der aufgeführten Flüchtlingskosten beinhaltet.“

Da hinsichtlich der allein im Verhältnis von Bund und Ländern geregelten Flüchtlingskosten nur allgemein auf „Ausgaben der Länder im Zusammenhang mit Geflüchteten“, und zwar „Geflüchteten aus der Ukraine“ sowie „denjenigen, die aus anderen Staaten nach Deutschland kommen“ abgestellt und insoweit hinzugefügt wird, dass „die finanzielle Unterstützung des Bundes auch den Kommunen zugutekommen“ soll, mochte man noch die leise Hoffnung haben, dass die unmittelbar bezogen auf Bund und Kommunen zu regelnde KdU Bundesbeteiligungsquote und die kommunale Umsatzsteuerbeteiligung einer gesonderten Regelung offensteht.

Dass dies allerdings mitnichten vorgesehen ist, wird aus der am 14.11.2022 eingegangenen Antwort der Staatsministerin beim Bundeskanzler deutlich, in dem erneut ganz bewusst ausdrücklich nicht auf das eingegangen wird, was von Seiten des Deutschen Landkreistages eingefordert worden ist, sondern stattdessen ausgeführt wird: „Die finanzielle Unterstützung des Bundes ist vor allen Dingen auch dazu gedacht, dass die Arbeit in den Kommunen unterstützt werden kann.“

Ohne dass auch nur ein Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt wurde, bleiben die Kreise und kreisfreien Städte also auf 36,5 % der flüchtlingsbedingten Unterkunftskosten sitzen und sind im Übrigen auf das Wohlwollen der Länder angewiesen. Der Bund hat sich demgegenüber insoweit jeglichen Finanzierungsrisikos entledigt.

Foto: © Landkreistag

Autor: Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages

Dieser Beitrag ist in der Dezember-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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