Es ist zu begrüßen, dass es dem Vermittlungsausschuss gelungen ist, beim Bürgergeld zu einer Einigung zu gelangen, die dem Prinzip von „Fördern und Fordern“ wieder mehr Geltung verschafft. Sonst hätten deutlich zu wenig Anreize bestanden, eine Arbeit anzunehmen. Es muss klar sein: Wer Bürgergeld bekommt, muss sich auch selbst bemühen. Das sind wir auch all denjenigen schuldig, die arbeiten und mit ihren Steuern das Bürgergeld finanzieren.
Auch wenn der Deutsche Landkreistag bei seiner sehr grundsätzlichen Kritik am Bürgergeld bleibt, sind im Rahmen des politisch Möglichen im Vermittlungsausschuss am 23.11.2022 viele Verbesserungen erreicht worden. Vor allem der Wegfall der „Vertrauenszeit“ ist gut und richtig, um die Verbindlichkeit im Integrationsprozess zu erhalten und nicht aufzuweichen. Auch dass die Karenzzeiten halbiert wurden und das Schonvermögen um fast die Hälfte abgesenkt wurde, bewirkt eine wesentliche Korrektur des Bürgergeld-Gesetzes: Durch diese Änderungen werden die Anreize erhöht, die Integration in Arbeit nach Kräften voranzutreiben. Dies ist richtig und wichtig. Im Rahmen dessen, was erreichbar war, ist das Vermittlungsergebnis ein guter Erfolg, das wesentliche Forderungen des Deutschen Landkreistages berücksichtigt.
Noch in der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Fassung hätte das Gesetz wichtige Arbeitsanreize in einer Zeit redubestandenziert, in der es sehr viele freie Stellen gibt und der Arbeitsmarkt dringend Arbeitskräfte benötigt. In den Tagen vor dem Vermittlungsausschuss ist in den wesentlichen Knackpunkten viel Bewegung in die richtige Richtung gekommen. Anderenfalls wäre das Gleichgewicht zwischen „Fördern und Fordern“ in eine deutliche Schieflage geraten.
Positiv ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass das Sanktionsmoratorium Teil der gefundenen Verhandlungslösung ist. Wir haben das Moratorium im seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahren abgelehnt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Sanktionsurteil festgestellt, dass das Grundgesetz keine voraussetzungslosen Sozialleistungen fordert und Mitwirkungspflichten auch mithilfe finanziellen Drucks durchgesetzt werden können.
Gerade zu Beginn des Prozesses konsequent unterstützen
Das Bürgergeld-Gesetz sah in der vom Deutschen Bundestag am 10.11.2022 beschlossenen Fassung eine halbjährige „Vertrauenszeit“ vor, in der das Jobcenter kaum Handlungsmöglichkeiten gehabt hätte, wenn der Betroffene die Verabredungen nicht einhält. Nur wenn er mehrfach vereinbarte Termine beim Jobcenter versäumt, könnte das Jobcenter mit einer zehnprozentigen Leistungskürzung reagieren. Bei Pflichtverletzungen hätte es diese Möglichkeit nicht gegeben.
Wir haben daher stark darauf gedrungen, diese ersten sechs Monate verbindlich auszugestalten. Andernfalls hätte die Gefahr redubestanden, dass während der ersten sechs Monate ein gewisser Gewöhnungseffekt eintritt und es dann umso schwieriger wird, erfolgreiche Integrationsmaßnahmen durchzuführen. Gerade die erste Zeit des Leistungsbezugs ist entscheidend, da bei einer frisch eingetretenen Notlage bzw. einer kurzen Zeit des Leistungsbezugs eher noch die Bereitschaft besteht, möglichst schnell aus dem Leistungsbezug auszuscheiden.
Karenzzeiten wurden halbiert
Auch bei der Freistellung hoher Vermögen und jedweder Wohnungen und Häuser während der ersten beiden Jahre des Leistungsbezugs gab es im Wege der Kompromissfindung wichtige Korrekturen. Die Karenzzeiten zu Beginn des Leistungsbezuges dauern nun nur noch ein statt zwei Jahre. Für uns ist dabei folgende Überlegung wichtig, weshalb wir die Karenzzeiten komplett abgelehnt haben: Jeder erwerbstätige Bürger muss sehen, welche Miete er sich leisten kann. Da kann es nicht sein, dass das bei arbeitsuchenden Bürgern keine Rolle spielen soll.Auch konnte die vorherige Regelung, dass eine vierköpfige Familie mit einem hohen Vermögen von 150.000 Euro auf dem Konto die Unterstützung des Jobcenters beanspruchen kann, nicht richtig sein. Ein solches Vermögen sollte erst einmal eigenverantwortlich für den Lebensunterhalt genutzt werden. Die Vermögensgrenze wurde nun gleichfalls deutlich reduziert. Aber auch mit den einjährigen Karenzzeiten sendet sie noch immer das völlig falsche Signal an all diejenigen, die mit ihren Steuern das Bürgergeld finanzieren.
Positiv zu bewerten sind demgegenüber die Einführung einer verwaltungsvereinfachenden Bagatellgrenze von 50 Euro, der Verzicht auf Sonderregelungen bei der Sanktionierung von Personen unter 25 Jahren sowie die Entfristung des Instruments der Teilhabe am Arbeitsmarkt. Diese Punkte greifen sämtlich Forderungen des Deutschen Landkreistages auf.
Mehr Wertschätzung gegenüber den Jobcentern
Das Bürgergeld-Gesetz wird generell als wenig wertschätzend gegenüber der Arbeit in den Jobcentern verstanden, die ihre Arbeit mit hohem Engagement erfüllen. Sanktionsvermeidende Beratung, Potenzialanalyse, zugewandte Beratung, Lebenshilfe auf Augenhöhe – all das machen vor allem die kommunalen Jobcenter seit jeher. Ihnen mit dem Bürgergeld nun zu unterstellen, erst ab 1.1.2023 könne alles besser werden, ist problematisch.
Das Gesetz trifft die Landkreise und kreisfreien Städte als verantwortliche Träger darüber hinaus zur Unzeit, da die Jobcenter mit den aktuellen Integrationsbemühungen für ukrainische Flüchtlinge sowie dem Umgang mit absehbar drastisch steigenden Energiekosten ohnehin inmitten der Krisenbewältigung stehen. In dieser für die Jobcenter bewegten und herausfordernden Zeit tritt nun das Bürgergeld-Gesetz hinzu. Von daher ist es zumindest zu begrüßen, dass die wesentlichen Teile erst zum 1.7.2023 in Kraft treten werden. Zum 1.1.2023 tritt als wesentlichster Aspekt die Regelsatzerhöhung in Kraft, für die auch wir uns eingesetzt hatten.
Das Bürgergeld erfordert zusätzliche Ressourcen
Weiterhin brauchen die Jobcenter auskömmliche Finanzmittel. Mit dem Bürgergeld-Gesetz wird der gesetzliche Auftrag der Jobcenter, der gerade erst um die Betreuung der Ukraine-Vertriebenen erweitert worden ist, erneut deutlich verändert und ausgeweitet. Damit die Jobcenter langzeitarbeitslose Menschen entsprechend betreuen können, benötigen sie sowohl im Verwaltungskosten- als auch im Eingliederungsmittelbudget entsprechende finanzielle Ressourcen.
Daher ist die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, die Ausstattung der Jobcenter im Jahr 2023 um 400 Millionen Euro zu verbessern, richtig. Allerdings bewirken auch diese Zusatzmittel noch keine auskömmliche Finanzausstattung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die neuen Aufgaben im Rahmen des Bürgergeldes, Tarifsteigerungen und die allgemeine Inflation erhöhte Aufwendungen nach sich ziehen werden. Wir haben uns zudem dafür eingesetzt, dass zusätzliche Mittel in Relation zu der Anzahl an ukrainischen Flüchtlingen pro Jobcenter verteilt werden. Ein solcher Maßstab hatte bereits während der letzten Flüchtlingswelle bei der Verteilung von Zusatzmitteln in Bezug auf vor allem syrische Flüchtlinge Anwendung gefunden. Dieser Forderung hat sich der Bund aber nicht angeschlossen.
Der deutsche Sozialstaat ist sehr attraktiv
Vom Bürgergeld geht über die Grenzen Deutschlands hinaus ein Signal aus, das Migrationsbewegungen eher noch verstärken dürfte. Dieser Punkt sollte nicht unterschätzt werden und ist als Besorgnis längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Das aktuelle Fluchtgeschehen stellt die Landkreise vor enorme Herausforderungen. In Deutschland halten sich derzeit schon mehr als 1 Million Flüchtlinge aus der Ukraine auf. Es ist absehbar, dass wieder verstärkt auch auf Notunterkünfte, zum Teil auch auf Zelte zurückgegriffen werden muss. Das ist gerade im Winter selbstverständlich keine gute Lösung. Der Bund hat zwar auf dem letzten Flüchtlingstreffen bei der Bundesinnenministerin angekündigt, weitere Plätze in bundeseigenen Immobilien zur Verfügung zu stellen. Wie viele Plätze davon tatsächlich von den Landkreisen belegt werden können, steht aber noch nicht fest.
Verschärft wird die Lage dadurch, dass auch die Zahl der Asylsuchenden in den letzten Monaten wieder deutlich angestiegen ist. Ende Oktober hat das BAMF rund 160.000 Asylsuchende registriert; das sind 40 % mehr als im Vorjahr. Addiert man beide Flüchtlingsgruppen zusammen, befinden wir uns heute in einer Situation, die die Situation von 2015/2016 bereits übersteigt. Hinzukommt, dass völlig ungewiss ist, wie sich die Zahlen in den nächsten Monaten entwickeln. Neben dem Krieg in der Ukraine kann auch die Entwicklung in Ländern wie der Türkei dazu führen, dass die Fluchtmigration – nicht zuletzt über die Balkanroute – deutlich an Dynamik gewinnt.
Dabei ist schon heute klar, dass trotz aller Anstrengungen, die die Landkreise auch in dieser Hinsicht unternehmen, die Integration der vielen Neuankömmlinge sehr schwierig ist. Wer – mangels Alternativen – über Wochen und Monate in einer Sammelunterkunft untergebracht ist, hat kaum eine Chance, an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen. Im Übrigen müssen wir dringend verhindern, dass das gesellschaftliche Klima kippt. Es geht jetzt darum, einerseits unsere Bemühungen um eine angemessene Unterbringung von Geflüchteten nochmals zu verstärken. Andererseits müssen Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer deutlichen Reduktion der Flüchtlingszahlen führen.
Deutschland ist als Zielland für Geflüchtete aus der Ukraine offenbar attraktiver als andere große EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Spanien. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein Grund dafür ist, dass die Sozialleistungen hierzulande hoch sind. Dazu dürfte fraglos auch der Rechtskreiswechsel ukrainischer Geflüchteter in das SGB II beitragen. Nicht nur die Höhe der Regelsätze, sondern auch die Tatsache, dass Ukraine-Flüchtlinge freien Zugang zum Wohnungsmarkt sowie zu anderen Leistungen (etwa der Gesundheitsversorgung sowie für Bildung und Teilhabe) haben, legt es nahe, dass sich diese Entscheidung als Pull-Faktor auswirkt. Das gilt umso mehr, als nach jetzigem Stand die Ukrainer auch von der Einführung des Bürgergeldes profitieren werden.
Autor: Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages
Dieser Beitrag ist in der Dezember-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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