Armut ist in Deutschland nach wie vor ungleich verteilt. Besonders in den deutschen Großstädten ist die Armutsquote höher als im Bundesdurchschnitt und die Bevölkerung in diesen Städten nimmt Armut verstärkt wahr. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung der Bertelsmann Stiftung.
Die Armutsquote in den deutschen Großstädten liegt danach auf einem deutlich höheren Niveau als in Deutschland insgesamt. So betrug der Anteil der Sozialleistungsempfänger an der Bevölkerung 2016 deutschlandweit 10,1 Prozent. In den Großstädten, also den Städten über 100.000 Einwohnern, lag er dagegen bei 14,0 Prozent, also knapp vier Prozentpunkte höher.
Die Armutsquote hat sich dabei in den einzelnen Großstädten im Zehn-Jahres-Vergleich unterschiedlich entwickelt: In 37 Kommunen (46 Prozent) ist die Quote der Sozialleistungsempfänger gestiegen, in 27 (34 Prozent) ist sie gesunken und in 16 (20 Prozent) ist sie in etwa gleichgeblieben. Das sind die Ergebnisse des Monitors Nachhaltige Kommune, für dessen aktuellen Bericht die Bertelsmann Stiftung sich mit dem ersten Nachhaltigkeitsziel („Keine Armut“) der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen beschäftigt hat.
Unter den Großstädten, in denen die Armut zugenommen hat, befinden sich alle 13 Ruhrgebietskommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern; demgegenüber zählen alle zehn ostdeutschen Großstädte zu den Kommunen mit einer geringeren Armutsquote als noch vor zehn Jahren. Der Anstieg der Armut im Ruhrgebiet lässt sich vor allem auf den noch nicht vollständig bewältigten Strukturwandel zurückführen.
In den ostdeutschen Großstädten haben sich die Lebensverhältnisse im Laufe der Jahre weiter an das Westniveau angeglichen. Da aktuell nur Daten bis 2016 vorliegen, konnten wir die Auswirkungen der starken Zuwanderung ab 2015 auf die Armutssituation in den Großstädten nur zum Teil erfassen.
Die Bevölkerung der deutschen Großstädte nimmt Armut vor Ort größtenteils als steigend wahr: 46 Prozent der Großstädter waren im Jahr 2018 der Meinung, dass die Armut in ihrer Stadt in den vergangenen zehn Jahren gestiegen sei. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid in unserem Auftrag. Von allen Bürgern in Deutschland meint dies nur gut ein Drittel (34 Prozent).
Dabei fällt auf: Das Armutsproblem wird für umso dringlicher gehalten, je mehr Einwohner der Wohnort hat. Für 27 Prozent aller Befragten ist die Armut vor Ort „ein großes“ oder „sehr großes Problem“. Bei den Befragten aus Großstädten liegt dieser Wert bei 51 Prozent und damit ungefähr doppelt so hoch wie im Durchschnitt.
Die Verwaltungschefs der 80 deutschen Großstädte haben das Problem Armut ebenfalls erkannt und Maßnahmen ergriffen. Das hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in unserem Auftrag anhand einer weiteren Befragung ermittelt. Während über alle Kommunen betrachtet die Armut vor Ort nur für sechs Prozent der Verwaltungschefs „ein großes“ oder „sehr großes Problem“ darstellt, ist dies in Großstädten über 100.000 Einwohner für fast jeden Vierten der Fall (22 Prozent).
Alle befragten Verwaltungschefs von Großstädten geben an, dass sie bereits vielfältige Maßnahmen ergriffen haben, um Armut zu bekämpfen und zu vermeiden. Hierzu gehören Pflichtaufgaben, wie vor allem die Umsetzung der Sozialgesetze des Bundes und der Länder, aber auch freiwillige Aufgaben, wie zum Beispiel die Förderung von Kinder- und Jugendeinrichtungen oder von Sport-, Kultur- und Verkehrsangeboten. Allerdings sehen die Verwaltungschefs noch weiteren Verbesserungsbedarf: bei der Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung sowie bei freiwilligen sozialen Leistungen, die vielfältig, gut zugänglich und gezielt auf einzelne Stadtteile angepasst sind.
Was sollten Großstädte tun?
„Großstädte sollten vor allem für mehr Transparenz darüber sorgen, wie Armut in der jeweiligen Kommune verteilt ist. Dies kann in Form von kleinräumigen Armutsberichten geschehen“, sagt Kommunal-Expertin Dr. Kirsten Witte von der Bertelsmann Stiftung. So zeige sich immer öfter, dass es in Ballungsräumen einzelne Quartiere gibt, in denen sich soziale, aber auch wirtschaftliche und umweltbezogene Problemlagen bündeln.
Transparenz über die Gesamtsituation in einzelnen Stadtteilen sei eine Grundvoraussetzung dafür, dass Großstädte eine integrierte Strategie für die nachhaltige Bekämpfung und Vermeidung von Armut entwickeln könnten. Hierzu biete sich vor allem der Aufbau eines kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements an, das auf die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen ausgerichtet sei, zumal das SDG 1 auf „Armut“ bezogen und eng mit den übrigen SDGs verknüpft sei. So könnten Kommunen die Chancen der Menschen auf Bildung, Gesundheit, Wohnungsversorgung, Freizeitangebote, soziale Gemeinschaft und berufliche Entwicklung systematisch verbessern.