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Omnichannel-Handel: Die Rettung unserer Innenstädte?

Allgemein, Forschung, Strukturpolitik

Für Kunden ist der Omnichannel Handel super bequem: Sie unterscheiden nicht mehr strikt zwischen stationären, online und mobilen Kanälen, sondern entscheiden nach Bedarf, wie sie sich über Waren informieren, diese erhalten oder bezahlen möchten. Die Kaufentscheidung fällt dann häufig dort, wo der Service am besten ist. Viele Einzelhändler stellt diese Entwicklung allerdings vor große Herausforderungen.

„Die Kunden haben sich an Auswahl und Services der Online Shops gewöhnt und erwarten das auch bei stationären Händlern“, sagt André Ludwig, Professor an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. „Um zu überleben, müssen diese ihren Kunden ein ganz neues Einkaufserlebnis bieten.“

Ludwig ist Leiter des Forschungsprojekts SURTRADE (Smart Urban Retail Services). Das mehrjährige Projekt bringt Wissenschaftler und Praktiker zusammen und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ziel ist es, Einzelhändlern genau jene Services zur Verfügung zu stellen, die den Kunden den Einkauf so angenehm wie möglich machen. „Wir arbeiten an einem Baukasten-System, aus dem sich jeder Händler die Tools und Services heraus suchen kann, die zu ihm und seinen Kunden passen“, erklärt Ludwig. Am SURTRADE Projekt beteiligt sind Partner aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Neben der KLU sind als weitere Hochschulen die Universität Leipzig und die HHL Leipzig Graduate School of Management dabei. Aus der Praxis kommen Tchibo, SALT Solutions und CheckMobile dazu.

Avatare, HoloLenses und Beacons in der Praxis testen

Die ersten Anwendungen, die das SURTRADE Projekt erforscht, können bereits in der Praxis getestet werden: Am Freitag wurde in der Leipziger Innenstadt ein Reallabor eröffnet, das als Versuchsfeld dient. Die einzelnen Projektpartner steuern unterschiedliche Services bei. SALT Solutions stellt im Reallabor einen Avatar für den Kauf von Kleidung vor. Anstatt sich in engen Umkleidekabinen zu drängeln und Kleidungsstücke bei grellem Kunstlicht zu begutachten, können Kunden mit der Mixed-Reality-Technologie das Anprobieren einer virtuellen Persönlichkeit überlassen: Man setzt einfach eine Mixed-Reality-Brille, eine sogenannte HoloLens, auf, passt den Avatar an die eigenen Körpermaße an und kann dann verschiedene Schnitte, Designs und Farbkombinationen betrachten. Das virtuelle Selbst erscheint dabei so, als würde es mitten im Raum stehen. Zukünftig soll es auch Beratung durch die Avatare geben. Sie sollen sie aufgrund von vorherigen Einkäufen Empfehlungen zu Modellen oder Farben geben.

Nicht nur Kleidungsstücke lassen sich virtuell betrachten und aussuchen. Die KLU arbeitet an einer Lösung, bei der die HoloLens für den Möbelkauf eingesetzt wird. Mit Hilfe der Mixed Reality kann die gesamte Produktpalette in allen Variationen und Kombinationen gezeigt werden. Das bietet Möbelhäusern die Möglichkeit, Ausstellungsräume im Herzen der Stadt zu haben, in denen sie ihre Produkte präsentieren und verkaufen können. Auch für kleinere Händler wäre die Technik ein Vorteil, sie könnten ihren Kunden ein großes Sortiment anbieten, wie diese es aus Online Shops gewohnt sind, ohne alle Möbelstücke ständig auf Lager haben zu müssen.

Ein weiterer Beitrag der KLU zum SURTRADE Projekt basiert auf dem Einsatz von Beacons, kleinen Sendern, deren Signale von Smartphones erkannt werden können. Kommt ein Kunde in die Nähe eines bestimmten Produkts, können ihm über eine App nützliche Informationen auf sein Telefon gesendet werden. Das können zum Beispiel die Inhaltsstoffe eines Produkts sein, Bewertungen von anderen Kunden, wie man sie aus Online Shops kennt, oder personalisierte Empfehlungen.
Für das Reallabor sind es Informationen rund um die Kaffeespezialitäten von Tchibo. Das Unternehmen bestückt in Leipzig ein Regal mit einer Auswahl aus seinem Sortiment – und bietet an einer Kaffeebar ein kostenloses Getränk für alle Besucher des Reallabors.
Von der Universität Leipzig kommt eine digitale Stadtkarte von Leipzig, die Kunden hilft, sich in der Stadt zurecht zu finden. Die Karte soll Nutzern Informationen bieten, die sie in anderen Navigations-Apps nicht unbedingt finden, dazu gehören Sitzgelegenheiten, Trinkwasserstellen, öffentliche Toiletten und Wickelräume.“

Am Ende eines Shoppingtages bietet CheckMobile eine Lösung für die Lieferung nach Hause an. Die Einkäufe werden kostenlos geliefert – auch aus unterschiedlichen Geschäften, unter anderem zwei Tchibo-Filialen in der Leipziger Innenstadt. Für die Auswertung des Reallabors ist die HHL Leipzig Graduate School of Management verantwortlich.

Die Projektpartner von SURTRADE erwarten eine rege Beteiligung der Leipziger am Reallabor – und Erkenntnisse, wie sie die Angebote an Händler und Kunden weiter verbessern können. Ein weiteres Reallabor soll im kommenden Jahr in Hamburg stattfinden.