Nachdem die Bertelsmann Stiftung am vergangenen Sonntag ihre Studie zu Ganztagsschulen in Deutschland vorlegte und sich offen für einen Rechtsanspruch aussprach, äußerte sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund dazu. Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung wäre zu teuer. Das Familienministerium spricht vom nächsten großen Thema bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Fast jeder dritte Schüler geht in Deutschland ganztags zur Schule. Dabei sind die Unterschiede regional sehr groß. Während in Sachsen fast 80 Prozent der Schulkinder ganztags betreut werden, sind es in Bayern gerade einmal 11 Prozent. Wenn es nach dem Willen der Eltern gehen würde, sollte das Angebot für eine Ganztagsbetreuung bundesweit stark ausgebaut werden. Die Bertelsmann Stiftung spricht sich deswegen für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung aus. Ganz so, wie der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder unter 3 Jahren seit dem 1. August in Kraft ist.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lehnt einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschulen wegen der hohen Kosten ab. „Ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot würde rund neun Milliarden Euro kosten. Es ist vollkommen unrealistisch, dass dies von heute auf morgen zu schaffen ist“, sagte der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Passauer Neuen Presse. Studien der Bertelsmann Stiftung hatten im vergangenen Jahr die Kosten für einen flächendeckenden Ausbau der gebundenen Ganztagsschule auf jährlich 9,4 Milliarden Euro beziffert.
Die benötigten finanziellen Mittel könne man nicht aus Elternbeiträgen allein finanzieren, sagte Landsberg. Würde bei einem Ganztagsangebot der Schulen die Betreuung im Mittelpunkt stehen, müssen sich Kommunen dafür ebenfalls verantworten. Denn Betreuung ist Sache der Kommunen, Bildung ist Sache des Landes.
„Ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ist der entscheidende Hebel für eine staatliche Investitionsoffensive. Dann müssten die Länder das konzeptionelle Vakuum füllen und gemeinsame Qualitätsstandards erarbeiten, damit die Ganztagsschule ihre Potenziale auch entfalten kann“, sagte der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger.
Kritik aus Rheinland-Pfalz
Das Rheinland-Pfälzische Bildungsministerium sieht Teile der Bertelsmann Studie falsch interpretiert. So heißt es in einer Meldung des SWR:
Bei den Teilnahmerzahlen liege ein Interpretationsfehler der Bertelsmann-Stiftung, der dort bekannt sei: Basis der Studie(n) sei seit Jahren die Kultusministerkonferenz-Statistik über die Zahl der Ganztagsschüler in den verschiedenen Bundesländern. Rheinland-Pfalz melde für die Statistik nur die Schüler, die auch tatsächlich ein Ganztagsschulangebot an einer Ganztagsschule annehmen. Eltern und Schüler hätten nämlich an den meisten dieser Schulen die Wahl, ob die Kinder ganztags oder halbtags in die Schule gehen wollten.
Andere Bundesländer meldeten in ihrer Schulstatistik einfach alle Schüler, die Ganztagsschulen besuchen, als Ganztagsschüler. Das ergebe zwingend ein schiefes Bild, betonte das Bildungsministerium.
Das nächste große Thema
Mehr Ganztagsbetreuung zumindest in der Grundschule werde das „nächste große Thema bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein“, sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) dem „Focus“. Mit Blick auf die Kosten müsse der Bund mit den Ländern „ins Gespräch kommen“. Der Stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl forderte einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz: Die Debatte um Kita-Plätze habe gezeigt, dass „bedarfsgerechter Ausbau offenbar nur passiert, wenn es einen Rechtsanspruch gibt“.
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