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Sinn und Unsinn der Bürgerbeteiligung

Bürgerbeteiligung

Nicht zuletzt seit dem Streit über den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs („Stuttgart 21“) erfreut sich das Thema Bürgerbeteiligung großen medialen Interesses. Die Ereignisse in Stuttgart sind allerdings kein Einzelfall. Volksentscheide in Hamburg über die geplante Schulreform und in Bayern bezüglich des Nichtraucherschutzes sind nur zwei weitere Beispiele, bei denen sich die Bürger aktiv in den politischen Prozess einbrachten. Im Rahmen der Energiewende kann davon ausgegangen werden, dass Bürgerproteste weiter an Dynamik gewinnen.

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Ein Beitrag von Dr. Oliver Rottmann, Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. und Geschäftsführer des PPP-Kompetenzzentrums des Freistaates Sachsen an der Universität Leipzig.

 

Damit nicht jedes diskursive Infrastrukturprojekt den Bürgerzorn auf sich zieht, bedarf es Regeln, die eine frühzeitige und transparente Einbeziehung der Betroffenen ermöglichen. Gesetzliche (formelle) Verfahren zur Bürgerbeteiligung existieren seit langem auf allen staatlichen Ebenen. Je nach Planungsvorhaben gestaltet sich die Öffentlichkeitsbeteiligung unterschiedlich komplex. Häufig können Fachplanungen vom Bürger nicht adäquat nachvollzogen werden. Ferner bedingen Kaskaden von einzelnen Verfahren eine gesetzliche Expertise, die mehrere staatliche Ebenen betrifft. In diesem Rahmen ist es dem Bürger nicht möglich, den Vorgang zielführend einschätzen zu können. Daher kann es sinnvoll sein, die formellen Beteiligungsoptionen durch informelle Verfahren zu flankieren, um dem Bürger im Vorfeld eine transparente Diskussionsplattform zu bieten. Viele Vorhabensträger (Kommunen und Unternehmen) nutzen diese Verfahren bereits.

Im Rahmen einer Studie des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig wurden etwa 400 Kommunen, 150 Unternehmen des Infrastrukturbereichs und 1.500 Haushalte zur Einstellung, Bewertung und Nutzung formeller und informeller Beteiligungsformen im Rahmen von Infrastrukturvorhaben befragt. Vor diesem Hintergrund wurde der Frage nachgegangen, wo und in welcher Form Verfahren einer zusätzlichen, freiwilligen Bürgerbeteiligung in formale Planungsverfahren integriert werden können.

Es wurde deutlich, dass sich Bürger eine stärkere Beteiligung – sowohl im allgemeinen Diskurs über das Projekt als auch in der konkreten Planungsphase – wünschen. Dies zeigt sich vor allem in der teilweisen Ablehnung formeller Verfahren (Abb. 1). Kommunen und Unternehmen stehen dem (noch) verhalten gegenüber, wenngleich sie informelle Verfahren bereits partiell anwenden.

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Abb. 1: Zufriedenheit mit bereits bestehenden (formellen) Verfahren

Trotz des bekundeten Interesses der Bürger illustrieren die Erfahrungen der Kommunen und Unternehmen, dass die Bürger im Großen und Ganzen wenig Interesse an den bestehenden Beteiligungsverfahren zeigen; auch gaben ein Großteil der befragten Haushalte an, zwar die Möglichkeit der Beteiligung zu kennen, diese aber nicht zu nutzen. Die Teilnahme erfolgt oftmals nur bei persönlicher Betroffenheit, Interesse an kommunalen oder übergemeindlichen Fragen besteht hingegen kaum. Dieses Phänomen lässt sich als „Partizipationsparadoxon“ (Abb. 2) bezeichnen: Danach ist die Einflussnahme auf ein Projekt im Vorfeld der eigentlichen, formellen Planungsverfahren am größten. Hier könnten frühzeitig mögliche Konfliktpotenziale beseitigt oder minimiert und somit der eigentliche Verfahrensablauf beschleunigt werden. Jedoch zeigt sich, dass in dieser Phase das Interesse und Engagement am geringsten ist.

Umgekehrt verhält es sich im fortgeschrittenen Planungsverfahren. Mit fortschreitendem Verfahrensstand schwindet die Möglichkeit der Einflussnahme der Betroffenen. Zugleich steigt folglich das Engagement und Interesse, da nun bestimmte Maßnahmen konkreter werden und sich die eigene Betroffenheit deutlicher abzeichnet.

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Abb. 2: Partizipationsparadoxon | Quelle: Stiftung Mitarbeit (Hrsg.), 2012.

 

Jene Kommunen und Unternehmen, die zusätzliche informelle Beteiligungsverfahren nutzen, sind mit den Ergebnissen zufrieden. Vorrangig werden dabei Bürgerversammlungen bzw. Bürgerfragestunden genutzt, welche auch bei den Bürgern einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen (Abb. 3). Relativ selten werden von den Kommunen und Unternehmen hingegen informelle Verfahren genutzt, welche eine direkte Beteiligung der Bürger an Entwurfskonzeptionen oder Alternativenentwicklungen zum Ziel haben (Planungszellen, Zukunftswerkstatt, Open-Space-Konferenzen). Sie begründen dies u. a. mit dem zeitlichen, finanziellen, organisatorischen und prozessbegleitenden Aufwand der einzelnen Beteiligungsverfahren. Wenn es um zusätzliche Beteiligungen während eines laufenden Planungsverfahrens geht, bei dem eine zusätzliche Information der Betroffenen zum Vorhaben angestrebt wird, eignen sich die von den Kommunen und Unternehmen favorisierten Instrumente.

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Abb. 3: Von Kommunen und Unternehmen genutzte und den Bürgern bekannte informelle Verfahren

Die Analyse der relevanten Planungsprozesse zeigte des Weiteren, dass derzeit zwar zahlreiche Beteiligungsoptionen vorgesehen sind, diese aber teilweise deutlich nach Planungsebene und Planungsverfahren variieren. Grundsätzlich wird bemängelt, dass die Einflussnahme der Bürger auf den Bedarf einer Maßnahme („Ob“) fehlt, wenngleich dies sicherlich nicht auf allen Planungsebenen sinnvoll ist. Aber auch die Detail-oder Umsetzungsplanungen von Vorhaben („Wie“) sieht i. d. R. keine Öffentlichkeitsbeteiligung bzw. Beteiligung der Bürger vor; vielfach werden die Entwurfsplanungen allein vom Vorhabenträger nach Abstimmung mit der Planfeststellungsbehörde erarbeitet. Die Ergebnisse bilden dann die Grundlage der formalen Öffentlichkeitsbeteiligung. Als Defizit wird seitens der Bürger empfunden, dass die Einbindung der Öffentlichkeit nur bei bestimmten Stufen des Planungsverfahrens und nicht kontinuierlich während des gesamten Prozesses stattfindet. Weiterhin wird kritisiert, dass die engen Beteiligungsfristen keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Für und Wider von Vorhaben und damit keine ernsthafte Beteiligung zulassen. In die gleiche Richtung zielt die Kritik, dass für die Einwendungen fachlicher und juristischer Beistand fehle. Aber auch die Auslegungsunterlagen stehen in der Kritik. Diese seien zu unübersichtlich und nicht allgemeinverständlich.

Es kann dennoch festgehalten werden, dass sich die Wünsche der Bürger nach mehr Beteiligung und Einflussnahme im Rahmen der Entscheidungen über das „Wie“ einer Maßnahme stärker berücksichtigen lassen. Dabei können die Bereitstellung besserer und transparenter Informationen und die Mitwirkung an der (Entwurfs-)Planung verstärkt in (Infrastruktur-) Planungsprozesse integriert werden, wenngleich dies mitunter zu einem erhöhten finanziellen und zeitlichen Aufwand führen kann. Generell ist eine genauere Verzahnung zwischen Entscheidungsträger (Politik), Vorhabenträger, Verwaltung (als Planungsbehörde) und der Öffentlichkeit im Verfahren notwendig, um den Prozess geordnet umsetzen zu können.

 

Die Studie des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. der Universität Leipzig kann unter rottmann@wifa.uni-leipzig.de kostenfrei bezogen werden.

 

Artikelbild:Trueffelpix@fotolia.com

 

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