In den vergangenen Wochen und Monaten sind eine Reihe von Studien, Untersuchungen und Stellungnahmen zur finanziellen Situation der Kommunen veröffentlicht worden. Insgesamt ist die Finanzbilanz – auch durch die Entlastungen durch den Bund- deutlich besser als vor 2012. Dennoch ist die Lage der Kommunalfinanzen komplex und differenziert zu betrachten. Vorbei ist die Diskussion noch lange nicht – Bund und Länder sind in der Pflicht.
Ein Beitrag von Ekkehard Grunwald, Kämmerer
der Stadt Salzgitter und stellvertretender
KPV-Bundesvorsitzender
In den vergangenen Wochen erschien eine Reihe von sehr interessanten und vor allem kommunal-relevanten Publikationen:
- der 214 Seiten starke Kommunaler Finanzreport 2013 der Bertelsmann Stiftung,
- die Ernst&Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft veröffentlichte eine repräsentative Befragung von Leitungspersonal der Finanzverwaltungen von 300 deutschen Kommunen ab 20.000 Einwohnern,
- die PricewaterhouseCoopers AG (PwC) hat das „Länderfinanzbenchmarking 2013“ mit kommunalen Bezügen zur Schuldenbremse 2020 publiziert und
- auch Dr. Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund, hat sich in einem Handelsblatt Online Interview am 10.09.2013 positioniert.
In großer Übereinstimmung wird festgestellt, dass sich in Summe die finanzielle Situation der Gemeinden, Städte und Landkreise in den letzten Jahren verbessert habe und durchaus Überschüsse in kommunalen Haushalten zu erwarten seien. Dies sei jedoch kein Grund der Entspannung oder Gelassenheit – die stabile positive Wirtschaftsentwicklung und niedrige Schuldzinsen entlasten enorm. Das Grundproblem der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen in Deutschland sei aber umfassend nicht gelöst.
Starke Disparitäten in den Kommunalfinanzen!
Auch wenn sich das Finanzierungsdefizit der Kommunen insgesamt und in Summe verringert hat, besagt das leider nicht, dass für alle kommunalen Haushalte insgesamt Entwarnung signalisiert werden kann. Nach wie vor gelingt es vielen Städten und Gemeinden trotz enormer Konsolidierungsanstrengungen nicht, ihre Haushalte auszugleichen (siehe nur die Befragung von Ernest&Young).
Vielmehr ist zu beobachten, dass sich die Schere zwischen reichen und sehr finanzschwachen Kommunen weiter öffnet. Diese erste unterschiedliche Entwicklung von Land zu Land zeigt die folgende Abbildung (aus: Kommunalbericht 2013, S. 45, Rechnungshof Rheinland-Pfalz):
Die unterschiedlichen Entwicklungen zeigen sich aber auch sogar innerhalb eines Bundeslandes:
Beispiele: Kredite zur Liquiditätssicherung der kreisfreien Städte in € je Einwohner (aufgerundet)
Bundesland | Stadt | 2011 | 2012 |
---|---|---|---|
Rheinland-Pfalz | Pirmasens | 6.181 | 6.661 |
Koblenz | 1.097 | 1.192 | |
Nordrhein-Westfalen | Köln | 313 | 294 |
Remscheid | 4.998 | 5.210 | |
Hessen | Offenbach | 2011 | 3.605 | 2010 | 3.051 |
Frankfurt a.M. | 2011 | 123 | 2010 | 75 | |
Saarland | Saarbrücken | 2011 | 4.773 | 2010 | 4.323 |
St. Ingbert | 2011 | 0 | 2010 | 0 | |
Niedersachsen | Wolfsburg | 0 | 0 |
Salzgitter | 1.888 | 1.639 |
Diese Daten werden von der Ernst&Young Kommunenstudie 2013 in Gänze bestätigt. Schon die folgenden zwei Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache:
Von 2012 auf 2013 steigt der Anteil der Kommunen in Ost und West mit Haushaltsdefizit von 48 auf 59% (E&Y Studie S. 8f).Bei Kommunen mit (langjährigem) Haushaltsdefizit muss fast jede 2. Kommune (45%) eingestehen, die Schulden nicht mehr aus eigener Kraft tilgen zu können (E&Y Studie S. 15).
Ein erhebliches Kostenrisiko steckt auch in den zurzeit extrem niedrigen Kreditzinsen. Die Zinssatz für z. B. nur 100 Mio. € Kassenkredit liegt zurzeit bei fabelhaften 0,3 % (Swapsatz 1y am 20.09.13), so dass die Kommune lediglich 300.000 € Zinsaufwand/Jahr hat. Doch sobald die Zinsen wieder steigen, schrumpft der Handlungsspielraum im kommunalen Haushalt deutlich. Im August 2008 lag dieser Zins bei 5,1% (in der Vergangenheit ein eher normales Niveau) und würde heute eine Zinsbelastung von 5.100.000 € auslösen. Das Problematische daran ist aber vor allem, dass erneut und nur die sowieso finanzschwachen Kommunen betroffen sind. Die Zinsen für Kassenkredite werden dann mit neuen Kassenkrediten bezahlt!
Dann bleibt aber auch noch weniger Geld für dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen, nachdem die Investitionen der Kommunen sich seit 2007 stetig verringert haben. Städte bewegen sich auf eine Abwärts-Spirale zu:
Was sind Ursachen und wo sind diese zu verorten?
Auch nach Jahrzehnte langen „Sparbemühungen“ (die niedersächsische Stadt Salzgitter kämpft seit 1993 mit immer wieder nicht ausgeglichenen Haushalten und Konsolidierungsbemühungen) sind gemeindespezifische (z. B.: stark schwerindustrielastig mit hohen Anpassungsproblemen, hohe Arbeitslosigkeit) und landesweit einheitliche (z. B. Genehmigungspraxis im Bereich der (Kassen-) Kreditgenehmigung durch die Kommunalaufsicht) Faktoren relevant.
Wichtig sind aber auch sog. gemeindeendogene Faktoren wie „Akteurseigenschaften“, „Parteiendifferenzen“ und „kommunale Erblasten“ vor Ort (so Prof. Dr. Junkernheinrich, Vortrag in Münster, 29.11.2012).
Dominierend sind jedoch die sog. außenbestimmenden Faktoren, die von der EU-, Bundes- und Landesebene auf die Kommunen aus der Vergangenheit kommend noch heute finanzbelastend wirken, denn diese Alt-Wirkungen werden von dem neuen Konnexitätsprinzip nicht erfasst.
Der Bund hat seine Verantwortung wahrgenommen!
Mit den Entlastungen für die kommunalen Finanzen hat die Bundesregierung insbesondere ab 2012 die notwendigen strukturellen ersten Verbesserungen herbeigeführt. So übernahm der Bund die ständig steigenden Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von jährlich rund 4,5 Mrd. €. Damit entlastet der Bund die Kommunen dauerhaft – allein von 2012 bis 2016 um rund 20 Mrd. €, was auch von 55% der Kommunen als Entlastung Bewertung wird (E&Y Studie S. 6).
Auch bei dem Ausbau der Kinderbetreuung fließen ab 2012 zusätzliche Investitionsmittel von 600 Mio. €, ein Drittel der ursprünglich auf 12 Mrd. € geschätzten Kosten des Kinderförderungsgesetzes und ab 2014 mit über 800 Mio. € an den laufenden Betriebskosten der Kindertagesstätten.
Ein weiterer wichtiger Schritt für die Kommunen wird das beabsichtigte und versprochene Bundesleistungsgesetz für die Eingliederungshilfe sein, das nach der Bundestagswahl auf der Agenda stehen muss. Fraglich ist jedoch, was die Bundesländer tun und ob diese ihrer Finanzierungsverantwortung gegenüber ihren Kommunen gerecht wurden und werden. Wird die Konnexität länderseitig streng umgesetzt?
Einzelmaßnahmen helfen den in Finanznot befindlichen Kommunen aus den Problem-Ländern aus kommunaler Sicht sicherlich nicht. So ist auch der eingeschlagene Weg in Nordrhein-Westfalen – dort sollen die Kommunen mit ausgeglichenen Haushalten den hoffnungslos verschuldeten Städten helfen – isoliert in seiner Wirkung nicht ausreichend und in seiner sich abzeichnenden Konzeption fehlerhaft, da nach ersten Verlautbarungen auch Kommunen mit Haushaltssicherungskonzept Zahler-Kommune sein sollen. In Rheinland-Pfalz hat der Verfassungsgerichtshof den kommunalen Finanzausgleich im Frühjahr 2012 sogar für verfassungswidrig erklärt. Die erforderlichen Verhandlungen kommen seitdem nicht vom Fleck.
Auch in Hessen hat der hessische Staatsgerichtshof mit seinem Urteil vom 21.05.2013 die im Jahr 2011 in Kraft getretenen Kürzungen im kommunalen Finanzausgleich für verfassungswidrig erklärt. Die vorgenommenen finanziellen Einschnitte in Höhe von 340 Mio. € seien nicht nachvollziehbar, da sie sich nicht am tatsächlichen Finanzierungsbedarf der Kommunen zur Erfüllung ihrer Aufgaben orientieren. Aus meiner Sicht sind diese Ideen bzw. die Annahme der Verantwortung durch die Länder, in denen Handlungsbedarf besteht, nicht erfolgsorientiert.
Wirkungen der Schuldenbremse in Bund und Länder auf die Kommunen
Die „Schuldenbremse“ wurde in 2009 eingeführt. Nach Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sind die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen:
- für den Bund dürfen die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten; für die Länder gilt, dass keine Einnahmen aus Krediten vorgesehen werden dürfen. Ausnahmetatbestände definiert das GG. Die betreffenden Regelungen gelten für den Bund ab dem Jahre 2016, für die Länder ab dem Jahre 2020 (Art. 143 d Abs. 1 GG). Die Kommunen sind von dieser rechtlichen Regelung nicht unmittelbar erfasst.
- Der in 2012 eingeführte Fiskalpakt regelt, dass der gesamtstaatliche Haushalt – spätestens ab dem Jahr 2014 – ausgeglichen zu sein hat und dies als erfüllt gilt, wenn das jährliche strukturelle, also um konjunkturelle Effekte und um einmalige befristete Maßnahmen bereinigte Haushaltsdefizit 0,5% des nominalen Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen nicht überschreitet (Art. 3 Abs. 1 b Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (BGBl II vom 18. September 2012, S. 1006ff.; BT-Drucksache 17/9046 vom 20.03.2012). Der Fiskalpakt enthält Ausnahmetatbestände und regelt die Vorlage eines Anpassungspfades. Mit dem Begriff „gesamtstaatlicher Haushalt“ sind die Haushalte von Bund, Ländern, Sozialversicherungen und Kommunen gemeint, die Kommunen sind demnach unmittelbar betroffen.
In der PwC-Studie „Länderfinanzbenchmarking 2013“ wird folgendes festgestellt:
„13 der 16 Bundesländer konnten ihre Haushaltslage in den letzten zwölf Monaten verbessern. … Dennoch müssen zehn Länder und ihre Kommunen ihre Ausgaben je Einwohner weiter kürzen, um die Kriterien der Schuldenbremse zu erfüllen. Diese schreibt den Ländern vom Jahr 2020 an strukturell ausgeglichene Haushalte vor und verbietet grundsätzlich die Aufnahme neuer Schulden. Trotz der positiven Entwicklung werden aus heutiger Sicht jedoch nur sechs Bundesländer die Vorgaben der Schuldenbremse ohne Ausgabenkürzungen erfüllen können: Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen und Hamburg.“
Es ist mit wachsamen Augen zu verfolgen, welche Wege die Länder einschlagen, um ihre jeweilige Schuldenbremse und den europäisch geregelten Fiskalpakt zu erfüllen. Wird aus Ländersicht zur Erreichung in den kommunalen Finanzausgleich eingegriffen werden müssen? Werden Aufgaben verschoben und die Einhaltung der Konnexität bewusst und absichtlich negiert oder aber dieser über Evaluierungszeiträume von 5 und mehr Jahren ausgehöhlt, weil dann über Qualität der Dokumentation gestritten wird?
Es ist kaum zu glauben, dass Schuldenbremse und Fiskalpakt keine Wirkungen auf die kommunale Ebene haben sollen. Die E6Y-Studie ergab, dass lediglich 1% der befragten Kommunen von keinerlei Wirkung ausgehen – 69% erwarten eine strengere Kommunalaufsicht und deren Auflagen, 68% Aufgabenverlagerung ohne Konnexität, 65% eine Diskussion über die Neuordnung der Gemeindefinanzen und 62%niedrigere Schlüsselzuweisungen (dort Seite 25).
Wie wird auf diese Entwicklungen reagiert? Wie muss reagiert werden?
Die Grundstruktur der Probleme in der auskömmlichen Kommunalfinanzierung ist sehr komplex und durch nur einen Akteur allein oder durch eine Vielzahl nicht abgestimmter Einzelmaßnahmen verschiedener Akteure nicht lösbar.
Erforderlich ist ein abgestimmter Maßnahmenkatalog (so auch Dr. Landsberg a. a. O.) von Kommunen, Ländern und Bund (auch mit seinem Einfluss auf die EU-Ebene) sowie eine weiterhin abgesicherte Befriedigung kommunaler Kreditnachfrage.
Dieses Zusammenwirken von kommunaler Eigenanstrengung, von struktureller Entlastung der Kommunen durch Bund und Länder mit gleichzeitigen temporären Anreizen sowie einer verantwortungsvollen Kreditgenehmigung kann – angelehnt an Prof. Dr. Junkernheinrich – beschrieben werden als:
In den Jahren bis 2020 werden Bund und die Länder unter strikter Einbindung der Kommunen und deren kommunaler Spitzenverbände nicht umhin kommen, sich mit der aufgabengerechten und auskömmlichen Finanzierung der Kommunen lösungs- und erfolgsorientiert auseinanderzusetzen.
Es ist nicht akzeptabel, dass ganzen städtischen Regionen mit ihren Menschen(!) die Verwahrlosung der Infrastruktur und der dazugehörigen sozialen Systeme droht. Die Rechtsprechung aus Rheinland-Pfalz und Hessen gibt hierfür sehr gute Hinweise. Anderenfalls ist zu befürchten, dass die Kreditwirtschaft durch eine zunehmend risiko- oder bonitätsorientierte Zinsspreizung, ein Kommunalrating oder Reduzierung der Kreditlimite die finanzschwachen Kommunen in weitere Bedrängnis bringen wird.
Fazit:
- Die Gemeinden, die Städte und Landkreise müssen mit ihren Finanzmitteln wirtschaftlich und sparsam sowie weitsichtig umgehen. Kommunale Selbstverwaltung braucht finanziellen Handlungsspielraum und freie eigene Finanzmittel. Über Jahre anwachsende Kassenkredite als dauerhafte Finanzierung darf es in Zukunft nicht mehr geben.
- Es ist zu überprüfen und zu überwachen, ob die gesetzlichen Regelungen zur Erreichung einer angemessenen Finanzausstattung ausreichen.
- Die Debatte über die ausreichende Finanzierung der Kommunen ist nicht zu Ende. Bund und Länder stehen in der Pflicht!
- Thematische Tabus und „Scheren im Kopf“ könnten dem Gesamtwohl der Kommunen und derer Bedeutung im Staatsaufbau abträglich sein.