Unsere Zeit ist von multiplen Katastrophen bestimmt. Extremwetterereignisse und bewaffnete Konflikte nehmen zu und auch in Europa ist die Sicherheitslage eine andere als vor einigen Jahren. Doch diese Realität scheint noch nicht überall ernstgenommen zu werden, zumindest mit Blick auf den Zivil- und Katastrophenschutz. Dies hat zur Folge, dass die dringend erforderliche Zeitenwende beim Bevölkerungsschutz bis heute unterbleibt. Hier besteht gerade auch für die nächste Bundesregierung dringender Handlungsbedarf.
Für das DRK ist der Bevölkerungsschutz eines der zentralen Aufgabenfelder: Das DRK ist Auxiliar der deutschen Behörden im humanitären Bereich und steht dem Bund und den Ländern im Rahmen dieses völkerrechtlich und gesetzlich übertragenen Mandats flächendeckend in komplexen Lagen zur Verfügung. Dies gilt auch für Lagen unterhalb der Schwelle des Katastrophenschutzes. Das DRK ist im deutschen Bevölkerungsschutzsystem mit über 450.000 aktiven Ehrenamtlichen und rund 200.000 Hauptamtlichen einer der größten Akteure. Gerade im Bevölkerungsschutz kommt den ehrenamtlich Engagierten eine entscheidende Rolle zu: Mit 90 Prozent leisten sie einen Großteil der Arbeit bei Einsätzen, Ausbildungen etc. und bilden damit das Rückgrat unserer Aktivitäten in diesem Bereich.
Das DRK integriert im Rahmen des Komplexen Hilfeleistungssystems sämtliche Ressourcen im Bevölkerungsschutzsystem, um die Gesellschaft darin zu unterstützen, Resilienz gegen Krisenlagen aufzubauen. Dabei profitiert das DRK auch von den Erfahrungen, die es in Krisenlagen im Ausland gesammelt hat.
Mit vielen Maßnahmen stellt sich das DRK vorausschauend und nachhaltig für die Zukunft auf. Wir investieren in den Schutz der Bevölkerung, um im Notfall für Menschen, insbesondere für vulnerable Gruppen, da sein zu können, wie man es seit vielen Jahrzehnten gewohnt ist. So entsteht derzeit in Luckenwalde (Brandenburg) eines der größten und modernsten Logistikzentren für humanitäre Hilfe und Bevölkerungsschutz in Deutschland. Eine Investition in die Zukunft, die das DRK aus eigenen Mitteln stemmt.
Durch den Neubau wird das DRK seine Reaktionsfähigkeiten steigern und noch schnellere Hilfeleistungen für notleidende Menschen ermöglichen. Auf einer Fläche, die rund fünf Fußballfeldern entspricht, werden unter anderem Hilfsgüter für die internationale und nationale Vorhaltung (Hygienesets, Zelte, Gebäudetrockner, Einsatzfahrzeuge), Gesundheitsstationen und Mobile Betreuungsmodule sowie ein Feldkrankenhaus vorgehalten werden. Wir setzen mit dem Bau und auch vielen anderen Maßnahmen ein klares Signal, dass uns der Schutz der Bevölkerung viel wert ist.
Für einen zeitgemäßen Bevölkerungsschutz fehlen Jahr für Jahr die Mittel
Genau diese Einstellung fehlt an vielen Stellen in der Politik, insbesondere auf Bundesebene, von der man den Eindruck hat, dass die zunehmende Bedeutung des Bevölkerungsschutzes ignoriert wird. In Sonntagsreden wird zwar regelmäßig dessen Wichtigkeit betont, aber wenn es um die konkrete Umsetzung von Maßnahmen geht, wird sich immer wieder aus der Verantwortung gestohlen.
Dies hat zur Folge, dass für Kernprojekte eines zeitgemäßen Bevölkerungsschutzes Jahr für Jahr die Mittel fehlen. Dabei ist klar: Jede einzelne Maßnahme lässt sich in plötzlich auftretenden Krisenereignissen nicht mehr ad hoc nachholen, sondern bedarf Vorbereitungs- und Umsetzungszeit. In einer akuten Notlage muss derzeit oftmals improvisiert werden. Regelmäßig zeigen dann Organisationen wie das DRK ihre Flexibilität und Schlagkraft, aber in der Regel könnten durch vorausschauende Maßnahmen größere Schäden und höhere Kosten vermieden werden.
Oftmals scheitern Maßnahmen an der viel zu geringen finanziellen Unterlegung und unzureichenden Regelungen für den Bevölkerungsschutz. Die Belastungen und Herausforderungen in diesem Themenfeld sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, nicht zuletzt durch immer häufigere Extremwetterereignisse. Hinzukommen weitreichende zusätzliche Anforderungen in der zivilen Verteidigung.
Das DRK dringt seit vielen Jahren darauf, dass 0,5 Prozent des Bundeshaushalts in den Bevölkerungsschutz fließen, also rund 2,4 Milliarden Euro als angemessene Beteiligung des Bundes an diesem Thema. In den vergangenen Jahren lag diese Summe im Haushalt bei nicht einmal 0,6 Milliarden Euro und damit bei einem Bruchteil der eigentlich notwendigen Summe. Auch für 2025 ist keine Besserung in Sicht.
Nur eines von vielen Beispielen sind die geplanten Mobilen Betreuungsmodule 5.000 (MBM 5.000). Mit diesen Modulen könnten in Krisensituationen jeweils bis zu 5.000 Personen vor Ort autark untergebracht, betreut und versorgt werden. Der Bund beabsichtigt eigentlich, bis 2027 mindestens zehn dieser mobil einsetzbaren Module zur Verfügung zu haben. Anfinanziert sind gerade einmal eineinhalb dieser Module. Das Ziel rückt damit in weite Ferne, zumal im Haushaltsentwurf 2025 keine Mittel für die Module eingestellt sind. Ein eigentlich unhaltbarer Zustand, denn im nächsten größeren Krisenfall könnte die Bevölkerung auf diese Module angewiesen sein.
Die Lage ist aber auch dann verheerend, wenn man auf weniger finanzintensive Maßnahmen schaut. Unter anderem bleibt die Ausbildung von Pflegeunterstützungskräften, welche in einer Ausnahmesituation beispielsweise in Notunterkünften unterstützen könnten, weit hinter dem Benötigten zurück. Die erforderlichen Ausbildungsmaßnahmen wären mit einem geringen zweistelligen Millionenbetrag möglich, also einem Betrag, der im Vergleich zum Bundeshaushalt minimal ist, aber dessen Wirkung im Krisenfall von enormer Bedeutung wäre. Aktuell müssen wir hier sogar stark in finanzielle Vorleistung gehen, um zumindest Pilotschulungen und Evaluationen durchführen zu können, um weitere Grundlagen zu schaffen.
Fähigkeiten der Bevölkerung zur Selbsthilfe stärken
Etwas besser sieht es an anderer Stelle aus: Ein erfolgreich bestehendes Programm, Erste-Hilfe-Kurse mit Selbstschutzinhalten für verschiedene Zielgruppen von jung bis alt, läuft Ende 2024 aus, wird aber durch ein ähnliches Folgeprojekt abgelöst werden. Dieses Programm müsste aber eigentlich deutlich ausgeweitet werden, denn die beabsichtigte Förderung sieht nur die Ausbildung von 450.000 Personen im Zeitraum 2025 bis 2029 vor. Um die Fähigkeiten zur Selbsthilfe in der Bevölkerung in dem Maße aufzubauen, wie diese im Krisenfall benötigt würden, müsste jeder zehnte Haushalt bzw. vier Millionen Menschen geschult werden. Soll dies innerhalb der gesetzten Fünf-Jahres-Frist gelingen, müssten jedes Jahr 800.000 Personen ausgebildet und entsprechend die vorgesehenen jährlichen Mittel verzehnfacht werden.
Handlungsbedarf haben wir auch nach wie vor bei der rechtlichen Gleichstellung von Helferinnen und Helfern aller anerkannten Hilfsorganisationen mit THW und Feuerwehren bezüglich Arbeitsfreistellung und Lohnfortzahlung bei Einsätzen, Weiterbildung und Übungen. Notwendig ist hier eine bundesweit einheitliche Regelung.
Zudem braucht es vielerorts einen stärker vorausschauenden Ansatz, um zum Beispiel mehr Risikoinformationen über vulnerable Gruppen in einer Notlage zu haben. Dies bedeutet unter anderem Wissen über die Aufenthaltsorte von pflegebedürftigen Menschen rechtzeitig und nicht erst im Krisenfall zu erfassen. So könnten im Notfall leichter Hilfsmaßnahmen wie Evakuierungen ergriffen werden.
Es stehen beim Thema Bevölkerungsschutz alle Ebenen in der Verantwortung. Die Diskussion um die Zuständigkeit dafür darf nicht nach vorne geschoben werden. Diese Diskussion ist hinderlich und erscheint vorgeschoben, um die Hände verantwortungslos in den Schoss zu legen. Wenn der Wille auf allen Ebenen da wäre, ließen sich leicht Lösungen über zwischenstaatliche Vertragsgestaltungen finden.
Dieser Wille darf nicht länger nur verbal proklamiert werden, sondern muss sich in der Realität zeigen. Der Schutz der Bevölkerung muss der verantwortlichen Politik mehr wert sein, zumal sich viele Investitionen von heute als Einsparung von morgen (in Form geringerer Schäden) zeigen werden.
Dieser Beitrag von Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, ist in der Doppelausgabe Januar/Februar 2025 der KOPO erschienen.
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