Kopo

Progressive Provinz: Stadt,Land, Zukunft

Kultur, Ländlicher Raum, Wirtschaft

„Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche,
das 20. Jahrhundert das Zeitalter der Nationalstaaten,
und das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Städte
sein.“ (Wellington Webb, früherer Bürgermeister der
Stadt Denver)

Ein neues Zeitalter bricht an: Die Ära der „Omnikrise“ (Matthias Horx) – eine Welt von Krisen, die eng miteinander verbunden sind. Krieg, Klima, Digitalisierung und eine polarisierte Gesellschaft. Die global-urbane Vernetzung macht uns anfälliger für Krisen. Die weltweite Zunahme der Bevölkerung, Urbanisierung und globale Mobilität, die Gefährdung von Ökosystemen und der Klimawandel gehören zu den Verursachern von Pandemien. In Zukunft geht es um eine neue Kooperation und ein neues Gleichgewicht zwischen Stadt und Land. Die großen Städte werden dichter, der Trend zum Wohnen außerhalb der großen Städte wächst.

Die Krise der großen Städte und Ballungsgebiete

Große Städte und Ballungsgebiete sind anfälliger und nervöser für globale Krisen als der ländliche Raum. Geschlossene Restaurants, Fitnessstudios, Kinos und Clubs: Das Leben in den Metropolen war in der Corona-Pandemie auf einmal gefährlich öde. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt ist das soziale Abstandhalten leichter als in der Großstadt. Nachbarschaftshilfen, die sich in den großen Städten über technische Infrastrukturen bilden müssen, sind auf dem Land gelebter Alltag. Für das Leben auf dem Land jenseits der großen Städte und Ballungsgebiete sprechen demografische, ökonomische und technologische Gründe.

Demografisch: Die Bevölkerungsprognosen für die nächsten Jahrzehnte müssen aufgrund der jüngsten Zuwanderung neu berechnet werden. Deutschland wächst. Für viele Landkreise und Regionen ist dies eine Chance.

Ökonomisch spricht immer mehr für das Umland. Viele Landkreise, selbst die schrumpfenden, suchen händeringend nach Arbeitskräften. Nur in zehn von insgesamt 402 Landkreisen ist die Zahl der Arbeitsplätze zuletzt gesunken. Die Bedeutung des ländlichen Raums als Wirtschaftsstandort wird oft übersehen. Dabei sind hier rund 60 Prozent der Betriebe und ein Großteil der mittelständischen Unternehmen angesiedelt. Viele erfolgreiche Weltmarkführer haben in der Provinz ihren Sitz. Die Beschäftigung ist auf dem Land deutlich stabiler. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf dem Land niedriger als in den Großstädten. Immer weniger können sich in Zukunft in den Großstädten eine adäquate Wohnung leisten. Während Städter einen Großteil ihres Einkommens für Miete ausgeben, sind die Ausgaben in den ländlichen Regionen erheblich niedriger. Selbst im Umland sind die Immobilienpreise und Mieten deutlich geringer.

Technologisch führt die Digitalisierung zu einer Dezentralisierung von Leben und Arbeit. Das Leben auf dem Land wird für immer mehr Menschen möglich. Co-Working und Co-Living sind längst keine urbanen Trends mehr. Wenn bald überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt produzieren und arbeiten. Schon heute kann sich jeder zweite Arbeitnehmer vorstellen, von zuhause aus zu arbeiten. Lange Wegstrecken und Pendeln werden in Zukunft zum Auslaufmodell, weil immer mehr zuhause arbeiten. Auch für die Unternehmen hat der ländliche Raum Zukunft. Eine Befragung kommunaler Unternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass der ländliche Raum durch die Digitalisierung als Wohn- und Arbeitsort künftig aufgewertet wird. Neue Formen der sozialen Daseinsvorsorge entstehen. Eine Antwort auf den Ärztemangel auf dem Land sind Online-Praxen. Telemedizin bringt den Landarzt wieder zurück. Patienten werden zunächst am Telefon oder online behandelt.

Rurbanisierung: Dörfer werden urbaner

Die Gewinner der Entwicklung sind neben vitalen Klein- und Mittelstädten auch kreative Dörfer, die auf das Ko-Prinzip setzen: Kooperatives, gemeinschaftliches Wohnen, Leben und Arbeiten. Kreative Dörfer und Städte nutzen die neue Lust aufs Land als Wettbewerbsvorteil und sind attraktiv für Einheimische wie Fremde. Die Erfolgsfaktoren sind meist die gleichen: Lokale Visionäre, Offenheit nach außen, eine erzählenswerte Geschichte und soziales Selbstbewusstsein. Akteure des ländlichen Wandels sind pragmatische Bürgermeister und engagierte Bürger und Unternehmen. Dörfer, Klein- und Mittelstädte werden zu Orten der Sehnsucht und der Sinnsuche.

Die Zukunft ist urban und ländlich zugleich. Die Vorzüge von Stadt und Land bedingen sich, wenn man beide verbindet und die nötige Infrastruktur bereithält mit Kitas, Ärzten, Schulen und Einzelhandel. Stadt und Land sind in Zukunft mehr denn je aufeinander angewiesen. Ohne attraktives Umland verlieren die Städte und ohne attraktive Städte verödet das Umland. Am Ende entscheidet nicht die Größe des Ortes über die Frage „Urban oder Provinz“, sondern die Mentalität der Bewohner. Stadt, Land, Zukunft – die Synthese von Provinz und Polis ist das Ziel.

Autor:

Dr. Daniel Dettling, Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik

Dieser Beitrag erschien in der KOPO-Ausgabe 5/2024.
Sie besitzen noch kein Abo der KOPO? Das können Sie hier gleich ändern.

Artikel drucken

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren