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Die Kommunen sind kein Ausführungsorgan der EU

Allgemein

Am 16. Januar dieses Jahres wählten die Mitglieder der AG Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Petra Nicolaisen zur neuen Vorsitzenden. Wir haben die Abgeordnete, die auch seit vielen Jahren im Bundesvorstand der KPV aktiv ist, zum Interview getroffen und mit ihr über ihre politische Agenda gesprochen.

KOPO: Liebe Frau Nicolaisen, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als Vorsitzende der AG Kommunalpolitik. Welche Schwerpunkte möchten Sie als Vorsitzende in den verbleibenden zwei Jahren der Legislaturperiode setzen?

Petra Nicolaisen MdB ist neue Vorsitzende der AG Kommunalpolitik
Foto: © CDU Landesverband Schleswig-Holstein / Sebastian Busse


Petra Nicolaisen: Vielen Dank für die Glückwünsche! Unabhängig von der Frage, wie lange die Ampel-Koalition noch durchhält und ob es wirklich noch zwei Jahre werden: Schwerpunktmäßig möchte ich mich neben dem wichtigen Aspekt solider Kommunalfinanzen insbesondere um die Frage gleichwertiger Lebensverhältnisse kümmern. Hier haben die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen einen blinden Fleck.

Obwohl in der zurückliegenden Wahlperiode bereits die Grundlagen geschaffen worden sind und obwohl die Ampel im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, die Gesetzesfolgenabschätzung auszuweiten, findet ein Gleichwertigkeits-Check von Bundesgesetzen nicht statt. Dabei ist es immens wichtig, die Auswirkungen von Bundesgesetzen beispielsweise auf strukturstarke und strukturschwache Regionen stärker zu berücksichtigen und auch Wechselwirkungen zwischen städtischen Ballungszentren und ländlichen Räumen besser in den Blick zu nehmen. Das ist elementare Voraussetzung für abwägende Entscheidungen – und findet bei der Ampel-Koalition überhaupt nicht statt.

Stattdessen setzen SPD, Grüne und FDP auf einen Urbanisierungsdruck. Egal ob Mobilität, Energie- und Heizungswende oder medizinische Versorgung, um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Die Entscheidungen der Ampel-Koalition werden zu oft aus der großstädtischen Perspektive getroffen. Mit dem Bundeshaushalt 2024 wird dieser Urbanisierungsdruck finanziell zementiert. Kürzungen bei der Kulturförderung und der Wirtschaftsförderung sowie der GAK aber auch der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung werden vor allem strukturschwache und ländliche Regionen treffen. Dieser Urbanisierungsdruck konterkariert die Zielstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und verschärft die Situation sowohl in städtischen Ballungszentren als auch in ländlichen Räumen.

Foto: © Christian Schwier – stock.adobe.com

KOPO: Sie bezeichnen die Regierungspolitik der Ampel wiederholt als kommunalfeindlich. Dabei weisen Sie insbesondere auf die schwierige Finanzlage vieler Kommunen hin. Was muss sich ändern, damit Kommunen endlich über auskömmliche und verlässliche Finanzmittel verfügen?


Petra Nicolaisen: Für auskömmliche und verlässliche Finanzmittel der Kommunen ist nicht allein der Bund verantwortlich. Zuerst sind die Länder gefordert, ihre Kommunen aufgabenangemessen auskömmlich zu finanzieren. Dafür muss dort, wo die Mittel nicht reichen, auch mehr Geld in den kommunalen Finanzausgleich gegeben werden – und Bundesmittel für die Kommunen müssen ungekürzt vor Ort ankommen. Aber auch bundesgesetzlich können Akzente gesetzt werden, um die Kommunalfinanzen nachhaltig zu stärken.

Neben anderen Aspekten kommt eine Änderung des Verteilungsschlüssels der Kommunalbeteiligung am Aufkommen aus der Umsatzsteuer in Frage. Der Verteilungsschlüssel der Beteiligung von Städten und Gemeinden am Aufkommen aus der Umsatzsteuer orientiert sich historisch hergeleitet – als Kompensation für die entfallene Gewerbekapitalsteuer – an der Wirt schaftskraft der Kommunen. Mittlerweile werden die Städte und Gemeinden über die ursprüngliche Beteiligungsquote hinaus am Aufkommen aus der Umsatzsteuer beteiligt – zuletzt zusätzlich zu einem Grundbetrag in Höhe von rund 2,0 Prozent durch Zuweisung eines Festbetrages in Höhe von 2,4 Milliarden Euro auch zur Stärkung der Finanzkraft struktur- und finanzschwächerer Kommunen. Die reine Orientierung des Verteilungsschlüssels an der Wirtschaftskraft konterkariert das Bestreben, über Festbeträge aus dem Aufkommen aus der Umsatzsteuer auch struktur- und finanzschwächere Kommunen zu unterstützen. Hier braucht es neben der Verteilung nach Wirtschaftskraft auch Kriterien wie Einwohner, Sozialausgaben oder eine Fläche-Einwohner-Relation, die auch entsprechende Bedarfe dünn besiedelter ländlicher Räume abbilden kann.

Wichtig ist, dass die Kommunen nicht weiter durch bundesgesetzliche Vorhaben finanziell belastet werden: Der Deutsche Bundestag hat mit Mehrheit der Ampel-Koalition (Stand Dezember 2023) 31 Gesetze verabschiedet, mit denen die kommunalen Haushalte allein in der laufenden Wahlperiode bis 2025 mit über 19,426 Milliarden Euro belastet werden – die Auswirkungen des Wachstumschancengesetzes sind wegen des laufenden Verfahrens im Vermittlungsausschuss dabei noch nicht berücksichtigt. Dem stehen Entlastungen durch diese Bundes gesetze in Höhe von rund 2,174 Milliarden Euro im selben Zeitraum gegen- über. Die jährliche Belastung liegt ab 2026 bei über 4,3 Milliarden Euro. In den vergangenen Wahlperioden umgesetzte Stärkungsansätze der Kommunalfinanzen werden durch die Politik der aktuellen Bundesregierung aufgezehrt. Die Kommunen werden langfristig finanziell belastet. Sie können sich die Politik der Bundesregierung nicht mehr leisten. Ich bin sehr froh, dass im Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms der Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ verankert worden ist. Dem muss dringend gefolgt werden, damit künftig bei Belastungen aus der Bundesgesetzgebung gleichzeitig ein finanzieller Ausgleich erfolgen kann, mit dem sichergestellt wird, dass die Mittel tatsächlich dort ankommen, wo die Aufgabe umzusetzen und zu finanzieren ist. Dies kann über die Änderung der Umsatzsteuerverteilung direkt zugunsten der Kommunen unter Berücksichtigung der Zielstellung des jeweiligen Gesetzentwurfes erfolgen.

Kommunen brauchen vor allem haushalterische Planungssicherheit mit langfristiger Perspektive, wenn sie ihre wichtige Rolle auch für die öffentlichen Investitionen ausfüllen sollen. Dafür müssen wir auf Bundesebene weg vom bestehenden Fördedschungel. Die Förderlandschaft in Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Förderprogramme von verschiedenen Förderstellen und Projektträgern. Laut Förderdatenbank des Bundes (foerderdatenbank.de) gibt es über 850 kommunal relevante Förderprogramme, davon 106 Programme des Bundes. Die hohe Komplexität hat zur Folge, dass Kommunen Fördermittel oftmals entweder nicht oder nicht rechtzeitig abrufen. Zum Teil widersprechen sich Förderbedingungen gegenseitig. Hinzukommt, dass insbesondere struktur- und finanzschwache Kommunen weder ausreichend Personal zur Beantragung noch ausreichend Personal zur Umsetzung von Förderprogrammen haben. Förderprogramme entpuppen sich immer wieder als „Goldene Zügel“, binden vor allem finanzschwache Kommunen kaum ein und schaffen keine verlässliche Grundlage für kommunale Investitionsplanungen. Um den bürokratischen Aufwand zu reduzieren und die Kommunalfinanzen planbarer zu stärken, kann die Zahl der kommunal relevanten (kleineren) Förderprogramme mindestens halbiert und die dadurch freiwerdenden Finanzmittel durch eine Umsatzsteuerverteilung an die Kommunen ersetzt werden. Die Verteilung kann mittels reformiertem Verteilungsschlüs sel über das Umsatzsteueraufkommen erfolgen.

KOPO: Als Abgeordnete treten Sie immer wieder für Belange der Rettungsdienste und vor allem der Ehrenamtler in den Blaulichtorganisationen ein. Wo hakt es dort gerade?


Petra Nicolaisen: Bei den Blaulichtorganisationen hakt es gerade auch finanziell: Der Bund kürzt im Bundeshaushalt 2024 nach den Plänen der Ampel-Koalition beim Katastrophenschutz Mittel. Gleichzeitig werden die Kommunen auch bei der wichtigen Aufgabe der Klimafolgenanpassung alleingelassen. Vor dem Hintergrund aktueller und absehbarer Großschadenslagen sind Kürzungen bei der Klimafolgenanpassung und beim Katastrophenschutz ein verheerendes Signal.

Für den Ausbau des Breitbandnetzes beim Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) fehlen die erforderlichen Mittel, weil der Bund sich hier aus seiner Verantwortung stiehlt und die Ampel-Koalition im Bundeshaushalt 2024 nicht die erforderlichen Mittel bereitstellt. Das ist unverantwortlich – nicht zuletzt, wenn man bedenkt, dass beispielsweise bei der Ahrtal-Katastrophe das bestehende Digitalfunknetz an mehreren Stellen ausgefallen ist und hier dringender Investitionsbedarf besteht. Die Ampel-Koalition lässt nicht nur die vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im Stich, sondern setzt auch die Sicherheit und das Leben der Menschen aufs Spiel.

Auch im Verhältnis der Blaulichtorganisationen zu den „weißen“ Helferorganisationen gibt es weiterhin dringenden Handlungsbedarf mit Blick auf die Helfergleichstellung. Es kann doch nicht sein, dass THW und DLRG gemeinsame Rettungszüge bilden, aber die Helferinnen und Helfer der DLRG zwar im selben Bootsitzen aber schlechter gestellt sind als die Rettungskräfte des THW. Schleswig-Holstein hat als ein Bundesland landesgesetzlich einen wichtigen Schritt zur Helfergleichstellung unternommen. Auf Landesebene hilft das, aber nicht bei länderübergreifenden Großschadenslagen. Wir brauchen dringend von Bundesseite ein klares Signal und eine eindeutige bundesweit geltende Regelung, dass alle im Rettungswesen und im Katastrophenschutz engagierten Helferinnen und Helfer gleichgestellt sind und gleich behandelt werden – egal was passiert und egal wo sie im Einsatz sind.

KOPO: Am 9. Juni finden in Deutschland Europawahlen statt. Welche Erwartungen adressieren Sie an die zukünftige Europapolitik?


Petra Nicolaisen: Ich erwarte, dass die Belange der Kommunen künftig stärker in die Entscheidungsfindung bereits auf europäischer Ebene einbezogen werden. Wenn wir Subsidiarität ernstnehmen, kann es nicht sein, dass die Kommunen zum Ausführungsorgan der EU werden – und in der nationalen Umsetzung immer wieder Fehler korrigiert werden müssen, die auf EU-Ebene aus mangelndem Verständnis für die Rolle der Kommunen in Deutschland entstehen. Die „Reparatur“ des Feuerwehr-Führerscheins hätten wir uns ebenso sparen können wie die zermürbende Diskussion über die Privatisierung der Wasserversorgung, wenn von vornherein die Besonderheit der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland berücksichtigt worden wäre.

Die für deutsche Kommunen wichtige
interkommunale Zusammenarbeit wird aktuell durch europäische Vorgaben der Mehr wertsteuersystemrichtlinie erschwert. Wir brauchen in Deutschland mehr interkommunale Zusammenarbeit auch über Kreis grenzen oder Landesgrenzen hinweg, um Synergien zu heben und dem demographischen Wandel gerecht zu werden. Zielführend wäre eine entsprechende Initiative in der nächsten Wahlperiode des EU-Parlaments, mit der nicht nur die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen vereinfacht werden, sondern gleichzeitig auch die europäischen Regeln für die öffentliche Auftragsvergabe modernisiert und flexibilisiert werden.

Ich erwarte auch, dass sich die EU nur auf die Aspekte konzentriert, die zwingend in einem gemeinsamen europäischen Rahmen geregelt werden müssen und darüber hinaus den Kommunen im Sinne der Subsidiarität ausreichend Gestaltungsraum in der Umsetzung eröffnet. Dabei dürfen Kommunen bei ihrer Umsetzungsbelastbarkeit nicht überfordert werden. Vorgaben müssen realistische und europaweit vergleichbare Standards setzen, die von den Kommunen sowohl zeitlich als auch finanziell erreicht werden können, ohne ihre zahlreichen weiteren Aufgaben zu gefährden.

Das Interview erschien in der KOPO-Ausgabe 3/2024.
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