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Jedes Kind verdient die besten Chancen

Interview, Soziales

Am 16. Juni hat der Bundesausschuss der CDU Deutschlands das Kinderzukunftspapier beschlossen. Es ist Bestandteil des neuen CDU-Grundsatzprogrammes. Grund genug, sich das Papier genauer anzusehen. Wir haben mit der für das Thema federführenden stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Karin Prien gesprochen.

KOPO: Frau Ministerin, Sie leiten die Fachkommission „Aufstieg“ der CDU-Grundsatzkommission. In dieser Funktion haben Sie das Papier „Kinderzukunftspaket für Deutschland. Chancen eröffnen.“ verfasst. Das Papier wurde am 16. Juni vom CDU-Bundesausschuss beschlossen. Mit Carsten Linnemann gesprochen: Kurz und knackig, was zeichnet die Familienpolitik der CDU aus? Was unterscheidet uns von anderen Parteien?

Karin Prien MdL, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und
Kultur und stellv. CDU-Bundesvorsitzende
Foto: © Frank Peter


Karin Prien: Aus Sicht der CDU hat jedes Kind die besten Chancen verdient. Unabhängig vom Geldbeutel oder der Herkunft der Eltern. Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, ihr volles Potential zu entfalten, denn sie sind unsere Zukunft. Unser „Kinderzukunftspaket“ basiert auf einer ganzheitlichen Perspektive, über Ressortgrenzen hinweg: Wir brauchen die Eltern. Wir brauchen die Familien. Wir brauchen starke Bildungseinrichtungen und starke Schulen. Wir wollen das bewährte Kindergeld erhalten und Familien in Schwierigkeiten ein Kinderzukunftsgeld ermöglichen. Wir vereinfachen den Zugang zu Familienleistungen und wollen eine gute Gesundheitsversorgung der Kinder sicherstellen. Dabei können wir die Chancen der Kinder nur mit einem ganzheitlichen Ansatz nachhaltig verbessern.

KOPO: Es gibt Familien, die seit mehreren Generationen von Hartz4 leben. Man muss kein Experte sein, um zu verstehen, dass Kinder aus solchen Familien mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit ebenfalls in der Sozialhilfe landen. Müssten wir uns nicht – wie von der KPV gefordert – noch intensiver um langzeitarbeitslose Eltern kümmern?


Karin Prien: Eltern sind für die Kinder nicht nur die ersten und wichtigsten Bezugspersonen; sie haben auch eine wichtige Vorbildfunktion. Daher würde ich es sehr begrüßen, wenn sich die Jobcenter stärker um diese Familien kümmerten. Kommunale Beschäftigungsgesellschaften könnten dazu beitragen, arbeitsmarktferne Leistungsempfänger bei einem flexiblen Einstieg in das Erwerbsleben zu begleiten und zu unterstützen. Wenn es gelänge, diese Eltern zumindest in eine Beschäftigung auf Mindestlohnniveau und, wenn möglich, später in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, wäre für ihr eigenes Selbstwertempfinden, vor allem aber für ihre Kinder und unsere Gesellschaft insgesamt, schon viel gewonnen.

KOPO: Sie fordern, das Kindergeld bedarfsgerecht anzupassen und für bedürftige Familien ein Kinderzukunftsgeld einzuführen. Die Ampel-Regierung in Berlin streitet derweil über die Kindergrundsicherung. Worin liegen die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Konzepte?


Karin Prien: Der grundsätzliche Unterschied der beiden Konzepte liegt im ganzheitlichen Blick, mit dem wir auf Kinder und Familien schauen: Zum einen wollen wir Kinder nachhaltig aus der Armutsgefährdung holen. Zum anderen sind wir davon überzeugt, dass man die Herausforderungen von Familien allein mit Geld nicht lösen kann. Kinder benötigen Aufmerksamkeit, Zuneigung, Förderung und Teilhabe; Eltern vor allem Kraft, Zuversicht und eine Perspektive. Für uns ist die Familie der wichtigste Ort für das gute Aufwachsen von Kindern. Deshalb wollen wir Familien und Eltern früh und durchgängig stärken, Prävention und Hilfen verbessern. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf guten Kitas und Schulen, denn sie sind entscheidend für bessere Bildungschancen für alle Kinder.

Das Kindergeld ist eine Erfolgsgeschichte. Daher wollen wir es erhalten und fortlaufend bedarfsgerecht anpassen. Außerdem soll es bei den Freibeträgen für Kinder bleiben; die Regelsätze für Kinder und Jugendliche im Bürgergeld-Bezug sollen fortlaufend überprüft und ebenfalls bedarfsgerecht angepasst werden. Die Leistungen müssen aber auch bei den Familien ankommen. Daher brauchen wir ein übergreifendes digitales Portal für alle Familienleistungen.
Unser Kinderzukunftsgeld für bedürftige Familien soll sich zusammensetzen aus dem Kinderzuschlag, der auch künftig an die Erwerbstätigkeit geknüpft sein soll, Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie den digitalisierungsbedingten Leistungen für Schulkinder. Des Weiteren wollen wir die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets erhöhen, weiter entbürokratisieren und nach Möglichkeit pauschalieren. In diesem Zusammenhang setzen wir uns dafür ein, weitere wichtige Leistungen, wie den Besuch von Schwimmkursen, aufzunehmen.

Foto: ©contrastwerkstatt – stock.adobe.com

KOPO: Ein zentraler Baustein des Kinderzukunftspaketes sind verpflichtende Deutschkurse für Kinder mit Sprachdefiziten. So sinnvoll das ist, ist die Forderung angesichts des schon jetzt bestehenden Fachkräftemangels realistisch?


Karin Prien: Ja. Wie sähe die Alternative aus? Sollen wir weiterhin ganze Kohorten in die Schulen schicken, ohne dass die Kinder ausreichend Deutsch verstehen und sprechen? Wir wissen, dass diese Defizite während der Schulzeit häufig fortbestehen, mit allen negativen Folgen für den späteren Lebensweg der Kinder. Deshalb müssen wir Prioritäten setzen, alle Kräfte mobilisieren, um eine frühe Sprachförderung zu ermöglichen, zum Beispiel indem wir auf Fort- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte setzen sowie Helferinnen und ehrenamtlich Tätige entsprechend qualifizieren. Abgesehen davon sollte die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung überall kostenfrei sein und auch ausländischen Fachkräften offenstehen. Dazu müssen die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse weiter erleichtert werden.

KOPO: Um einheitliche Standards zu schaffen und eine bessere Verzahnung von Kindergarten und Grundschule zu erreichen, fordern Sie, die Zuständigkeit für die frühkindliche Bildung und die Kitas bei den Bildungsministerien der Länder anzusiedeln. Bisher fielen die Kitas in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Welche Rückmeldungen haben Sie zu Ihrer Forderung erhalten?


Karin Prien: Im Zuge der Bildungsreformen wurden die Einrichtungen der frühen Bildung bereits vor der Jahrtausendwende als „Elementarbereich“ nominell dem Bildungssystem zugeordnet. Immerhin neun von 16 Ländern zogen daraus zwischenzeitlich strukturelle Konsequenzen, indem sie die Zuständigkeit für die frühkindliche Bildung in den Kultusministerien verankerten. In Frankreich oder in den Niederlanden ist dies übrigens längst der Fall. Dies macht auch Sinn, da auf Ebene der Länder beispielsweise Regelungen zum Bildungsauftrag der Kitas oder zur Sprachförderung getroffen werden, während die kommunale Ebene unter anderem dafür zuständig ist, ein bedarfsgerechtes Angebot an Kita-Plätzen bereitzustellen. Insofern Ja: die inhaltliche Zuständigkeit für die frühe Bildung gehört in den Zuständigkeitsbereich der Kultusministerien und muss grundsätzlich vom 1. bis 10. Jahrgang gedacht werden.

KOPO: Wer bestellt, der bezahlt, so lautet die griffige Formel für den sperrigen Begriff Konnexität. Nun hat der Bund mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und den zukünftigen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eine gewaltige Herausforderung für die Kommunen geschaffen. Die laufenden Kosten bleiben aber größtenteils bei den Kommunen hängen. Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?


Karin Prien: Dass die Kosten größtenteils bei den Kommunen „hängenbleiben“, würde ich so nicht unterschreiben. Bund und Länder investieren erhebliche Mittel, damit alle Grundschulkinder an der Ganztagsbetreuung ab 2026 teilhaben können: für Investitionen in die Infrastruktur zahlt er Finanzhilfen von bis zu 3,5 Milliarden Euro. Die Kofinanzierung wird von Ländern und Kommunen getragen. Davon werden 750 Millionen Euro über das Investitionsprogramm zum beschleunigten Ausbau der Bildungsinfrastruktur für Grundschulkinder bereits seit Ende 2020 bereitgestellt. Auch an den laufenden Kosten wird sich der Bund beteiligen und damit die Länder und Kommunen dauerhaft entlasten. Die Mittel wachsen ab 2026 jährlich an bis hin zu 1,3 Milliarden Euro pro Jahr ab 2030. In gemeinsamer Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen geht es darum, den Ganztag qualitativ und quantitativ auszubauen. Für mehr Bildungsgerechtigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

KOPO: Die CDU möchte die Kitas quantitativ und qualitativ stärken, um allen Kindern einen guten Start zu ermöglichen. Gleichzeitig fordern Sie „Multiprofessionalität“ und mehr Flexibilität. Befürchten Sie nicht, dass die pädagogische Qualität leidet, wenn immer mehr Hilfskräfte und fachfremdes Personal in Kitas arbeiten?


Karin Prien: Multiprofessionelle Teams in den Kitas bedeuten keine Minderung der pädagogischen Qualität. Das Gegenteil ist richtig. Gerade in sozial herausfordernden Lagen kann es sinnvoll sein, dass neben staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erziehern auch Heilpädagogen, Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten, Kinderkrankenschwestern oder Fachkräfte mit einem sozialpädagogischen Hochschulabschluss, wie Kindheitspädagoginnen, zum Wohl der Kinder eingesetzt werden und eng zusammenarbeiten. Zentral ist hierbei eine starke Kita-Leitung, die die Zusammenarbeit zwischen den Professionen fördert und für einen gemeinsamen Teamspirit Sorge trägt. Zudem spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, Helferinnen und Helfer mit pädagogischen Mindestqualifikationen zu versehen und dann am Arbeitsplatz weiter zu qualifizieren.

KOPO: Beim letzten Bundesparteitag hat die CDU das verpflichtende Gesellschaftsjahr beschlossen. Was halten Sie von der Forderung der KPV, im Rahmen des Gesellschaftsjahres auch den Dienst in Kitas anzubieten?


Karin Prien: Diesen Vorschlag unterstütze ich. Jugendliche aller Geschlechter können so feststellen, ob dieser wichtige Beruf für sie in Frage kommt. Auf diese Weise könnte der frühpädagogische Fachkräftemangel, wenn auch nicht behoben, so doch reduziert werden.

Dieser Beitrag erscheint in der September-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO).

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