Der Sieger des internationalen studentischen Wettbewerbs Solar Decathlon Europe steht fest: Das Projekt RoofKIT aus Karlsruhe zeigt, wie Städte nachhaltig, kreislaufgerecht und sozial verträglich bebaut werden können. Dafür denken die Studierenden bisher ungenutzte Dachfläche neu – und stocken auf.
Zum ersten Mal seit 2009 hat ein deutsches Team den Solar Decathlon Europe (SDE) gewonnen. Bei euphorischer Stimmung und dem Gefühl eines großen Miteinanders wurde das Team RoofKIT aus Karlsruhe Ende Juni zum Sieger des studentischen Zehnkampfes rund um innovatives und ressourcensparendes Bauen gekürt. Die Studierenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), unter Leitung von Prof. Dirk E. Hebel und Prof. Andreas Wagner, hatten die Jury in vielen der zehn Wettbewerbsdisziplinen überzeugt und insgesamt die meisten Punkte erzielt.
„Der Sieger ist das Klima“, betonte Dr. Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das den Wettbewerb fördert. „Durch ihre innovativen Beiträge haben die Teams gezeigt, dass Klimaschutz gelingen kann, wenn wir uns den Herausforderungen gemeinsam stellen. Die praktische Umsetzung der gestellten Aufgaben zeigt uns innovative Möglichkeiten, wie wir die Stadt von Morgen gestalten können.“
Insgesamt 16 Hochschulteams aus zehn Ländern sind beim SDE 21/22 angetreten. Neben einem Gesamtentwurf für ein Gebäudeprojekt haben die Teilnehmenden charakteristische Gebäudeteile in Originalgröße auf dem Solar Campus in Wuppertal aufgebaut – und damit über 115.000 Besucherinnen und -besucher beeindruckt und inspiriert.
Klimafreundlich in die Höhe
Das Gewinner-Team RoofKIT will mit seinem Projekt hoch hinaus: Die Studierenden haben ein Konzept entwickelt, das bisher ungenutzte Dachflächen sozial ausgleichend, energetisch erneuerbar und zirkulär nachhaltig erschließt. Konkretes Baubeispiel ist das Café ADA: ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in der Wuppertaler Altstadt, das – so erklärt es eine Wuppertaler Besucherin dem RoofKIT-Team noch am Tag der Preisverleihung – nicht nur irgendein Café ist, sondern „DAS Tanzcafé in Wuppertal und Umgebung“. Das Karlsruher Konzept entwickelt das Café weiter und macht den Tanzsaal zu einem luftigen und offenen Raum zwischen dem alten Gebäude und der neuen Aufstockung aus Holz, in der Wohnungen liegen sollen.
Das RoofKIT-Konzept ist eine städtebauliche Blaupause für bisher ungenutzte Flächen in der Stadt, wie das Team betont. Seit 2020 haben mehr als 100 Studierende aus verschiedenen Fakultäten des KIT an dem Projekt gearbeitet. „Die Aufstockung und Sanierung bestehender Gebäude bietet die Chance, in Städten neuen Wohnraum zu schaffen und zugleich Solarenergie intensiv zu nutzen“, erläutert Nadine Georgi, Studentin der Architektur am KIT und Mitglied von RoofKIT.
Schickes Duo: Recycling und „Shared-Spaces“
Entworfen nach dem Prinzip eines „Shared-Space“ sind im Gebäudeprojekt Modulare Holz-Wohneinheiten um ein öffentliches Atrium angeordnet. Die Holzelemente sind vorgefertigt, was Zeit und Kosten in der Bauphase spart. Außerdem ist der Grundriss flexibel – die Wohneinheiten können also je nach Bedarf angepasst werden. So soll barrierefreies und generationenübergreifendes Wohnen ohne Abstriche bei der Wohnqualität ermöglicht werden.
Die Bauweise kommt zudem völlig ohne neue Verbundstoffe und permanente Verbindungen durch Klebstoffe, Farben oder Schäume aus. Die Module werden so konstruiert und hergestellt, dass alle Teile nach der Verwendung wieder verlustfrei demontiert werden können. Dies erfordert ein hohes Maß an Innovationskraft, da das Team vollständig auf marktübliche Verklebungen und Abfugungen verzichtet. So können alle Materialien im Gebäude zu 100 Prozent und ohne komplizierte Aufbereitungsprozesse nach dem Prinzip des Urban Mining wiederverwendet werden. „Die Stadt wird zum Materiallager“ – nichts Geringeres hat sich RoofKIT vorgenommen.
Viele der Baumaterialien sind außerdem bereits gebraucht. So besteht die Fassade des Gebäudes etwa aus dem Holz alter Scheunen aus dem Schwarzwald und Bad- und Küchenarmaturen stammen aus Messe-Rückbauten. Alle verwendeten Fenster wurden eigentlich für andere Gebäude produziert, aber wegen falscher Bemaßungen wieder an die Hersteller zurückgegeben. Andere Elemente bestehen aus neu aufbereiteten Materialien: So sind zum Beispiel die Oberflächen in Küche und Bad aus recycelten Kunststoff aus Joghurtbechern hergestellt – die den Oberflächen einen einzigartigen Look verleihen. Natürliche biologische Baustoffe wie Lehmputz und getrocknetes Seegras als Dämmmaterial runden das Konzept ab.
Erneuerbares Energiesystem versorgt Gebäude, Geräte und E-Mobilität
Der gesamte Energiebedarf im RoofKIT Projekt – dazu zählt nicht nur die Versorgung des Gebäudes an sich, sondern auch alle Geräte und E-Mobilität – wird aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Dazu nutzt das Team zum Beispiel organische Abfälle und Abwässer aus dem Wohnalltag sowie Sonnenenergie, um Strom und Wärme zu gewinnen. Dachintegrierte PVT-Kollektoren sowie zusätzliche Solaranlagen im Hinterhof dienen als Quelle für eine Wärmepumpe, die ein Fußbodenheizungssystem und einen Warmwasserspeicher speist. Dank einer speziellen Beschichtung verschmelzen die PV-Module auch farblich mit dem Kupferdach. Ein intelligentes Energiemanagementsystem regelt den Verbrauch und sorgt für maximale Effizienz und Netzdienlichkeit.
Projekte werden auch nach dem Wettbewerb weitergeführt
Auch nach dem Solar Decathlon Europe wird an den entwickelten Gebäuden weiter geforscht. Acht der Prototypen bleiben über den Wettbewerbszeitraum hinaus in Wuppertal bestehen und werden als Teil des Living Lab NRW weiter für Forschungs- und Bildungszwecke genutzt. Das RoofKIT-Team wird das Demonstrationshaus ebenfalls weiterverwenden. Es soll in Wuppertal demontiert und am KIT wiederaufgebaut werden. Dort wird das Gebäude ebenfalls für Forschungszwecke genutzt. Sukzessive sollen dabei mehr und mehr reale Verbraucher eingebunden werden.