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Verkehrswende Baden-Württemberg: Sicht des Landkreistags

Allgemein, Mobilität

Als Spitzenverband der 35 baden-württembergischen Landkreise unterstützt der Landkreistag die Zielsetzung des Landes ausdrücklich, die Attraktivität des Öffentlichen Verkehrs zu steigern. Denn die notwendige Klimawende ist ohne den Ausbau der Angebote öffentlicher Mobilität nicht zu erreichen. Schließlich ist der Verkehrsbereich neben dem Wärmebereich der Sektor mit dem größten Klimaschutzpotenzial.

Klärungsbedarf beim Landesweiten Jugendticket

Der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg sieht die Einführung eines Schüler-, Auszubildenden-, Studierenden- und Jugendtickets mit landesweiter Geltung zum Preis von 365 Euro pro Jahr vor. Das sogenannte Landesweite Jugendticket soll nach den aktuellen Planungen der Landesregierung am 1. September 2022 starten. Ausgestaltet als Förderprogramm des Landes ist eine Laufzeit zunächst bis Ende 2025 vorgesehen, antragsberechtigt sind die 35 Landkreise sowie die 9 Stadtkreise als ÖPNV-Aufgabenträger.

Allerdings gibt es im Hinblick auf die konkrete Umsetzung des Jugendtickets noch Klärungsbedarf. Wie soll die landesweite Geltung und Anerkennung des 365-Euro-Tickets erreicht werden, wo doch die Teilnahme daran für die kommunalen Aufgabenträger im Rahmen eines Förderprogramms und damit auf rein freiwilliger Basis erfolgt? Und wer kann ein solches Ticket erwerben? Das Land geht nach aktuellem Stand davon aus, dass nur diejenigen jungen Menschen das Ticket erwerben dürfen, die in einem teilnehmenden Verbund wohnen oder dort eine Hochschule besuchen. Hier sehen wir ein Problem in der Vermittlung und auch in der Akzeptanz auf Seiten der Bevölkerung. Denn wenn es beim Jugendticket zu einem Flickenteppich kommt, wird die Kritik daran nicht lange auf sich warten lassen. Und der vorhersehbare Vorwurf ist so nicht unberechtigt: Es steht zwar „Landesweites Jugendticket“ drauf, aber die landesweite Geltung ist ja gar nicht für alle drin.    

Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden

Auch die finanziellen Lasten für die kommunalen Aufgabenträger sind nicht zu vernachlässigen. 30 Prozent der Kosten des Jugendtickets sollen von der kommunalen Seite geleistet werden, das Land finanziert sein Flaggschiff-Projekt mit nur 70 Prozent. Um ihren Kostenanteil abzudecken, dürfen die Landkreise und Stadtkreise nach den Vorstellungen des Landes noch nicht einmal auf die allgemeinen Mittelzuweisungen zurückgreifen, die sie für den Öffentlichen Personennahverkehr und die Schülerbeförderung erhalten. Somit müssen originäre Kreismittel zur Kofinanzierung eingebracht werden. Geld, das gleichzeitig an anderer Stelle fehlt – beispielsweise für das zeitgleich vom Land ausgerufene Ziel, die Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr zu verdoppeln. Denn auch hier besteht die Erwartungshaltung gegenüber den Kommunen, massiv in ÖPNV-Ausbaumaßnahmen zu investieren. Und es gilt: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.   

Um nicht missverstanden zu werden: Das Jugendticket bringt an sich alles mit, um zum echten Erfolgsprodukt zu werden. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen – für die Nutzerinnen und Nutzer wie auch für die kofinanzierenden Kommunen. Entscheidend ist dabei auch: Die kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger benötigen Planungssicherheit. Es muss klar sein, ob und wie es nach 2025 weitergeht. Denn zumindest viele kommunale Gremien werden sich nur dann auf eine Einführung des Jugendtickets einlassen, wenn der Finanzierungsanteil des Landes langfristig gesichert ist. Die kommunale Seite erwartet daher heute schon ein klares, belastbares Bekenntnis des Landes, dass das Jugendticket ab 2026 nachhaltig abgesichert wird – und dies geht nur durch eine stabile gesetzliche Verankerung.

Ein verbindlicher Mindestbedienstandard

Die bereits erwähnte bis 2030 angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Öffentlichen Verkehr kann nicht genannt werden, ohne auch auf die sogenannte Mobilitätsgarantie einzugehen, die das Land ausgerufen hat. Sie beinhaltet im Kern einen 15-Minuten-Takt im Ballungsraum und einen 30-Minuten-Takt im Ländlichen Raum zu den gängigen Verkehrszeiten. So sieht es der Koalitionsvertrag der beiden Regierungsparteien im Land vor.

Die politische Projektidee einer Mobilitätsgarantie kann man nur unterstützen – und dies tun auch die Landkreise in Baden-Württemberg mit großer Entschiedenheit. Schließlich bestätigen uns alle Verkehrsexpertinnen und -experten, dass die nachhaltige Stärkung des Öffentlichen Verkehrs zunächst und zuvörderst ein verbessertes Angebot voraussetzt. Mehr ist hier tatsächlich mehr!

Foto: © Otto Durst – stock.adobe.com

Eines muss dabei aus unserer Sicht allerdings klar sein: Wenn das Land mit der Mobilitätsgarantie einen verbindlichen Mindestbedienstandard für Ballungsräume und ländlichere Räume setzt, dann muss es diesen auch ausfinanzieren. Es kann nicht sein, dass das Land eine Mobilitätsgarantie verkündet, die dann zu einem erheblichen Teil über die kommunalen Haushalte eingelöst werden muss.

Über die Mobilitätsgarantie hinaus

An dieser Stelle kommt dann auch der sogenannte Mobilitätspass ins Spiel. Dabei handelt es sich um eine vom Land geplante Nahverkehrsabgabe für Bürgerinnen und Bürger, über deren Einführung auf kommunaler Ebene entschieden werden soll. Aus unserer Sicht ist dieser Mobilitätspass scharf von der Mobilitätsgarantie als Mindestbedienstandard abzugrenzen. Denn der Mobilitätspass, sprich: die Nahverkehrsabgabe, kommt nach unserem Verständnis überhaupt nur für die Finanzierung solcher ÖPNV-Ausbaumaßnahmen in Betracht, die über den Mindeststandard der Mobilitätsgarantie hinausgehen. Es geht um neudeutsch so genannte „Add-On“-Leistungen.

Diese strikte Trennung zwischen der Ausfinanzierung der Mobilitätsgarantie als Mindestbedienstandard und der Finanzierung von kommunalen ÖPNV-Zusatzleistungen über den Mobilitätspass, also die kommunale Nahverkehrsabgabe, ist aus unserer Sicht ordnungspolitisch zwingend. Denn in einem geordneten Staatswesen muss die Grundversorgung mit öffentlicher Mobilität wie jede sonstige allgemeine Staatsaufgabe grundsätzlich aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Der Mobilitätspass als nichtsteuerliche Abgabe soll hingegen nur in begründeten Ausnahmefällen und somit allenfalls ergänzend, aufgrund örtlicher oder regionaler Spezialbedarfe zur Finanzierung von ÖPNV-Zusatzleistungen beitragen.

Land und Kommunen haben aktuell den gemeinsamen Startschuss für Modellrechnungen zur Mobilitätsgarantie und zum Mobilitätspass gegeben. An dieser Pilotphase beteiligen sich nicht weniger als 21 Städte und Landkreise. Diese gute Resonanz zeigt eindrücklich, dass sich die Kommunen für die baden-württembergische Verkehrswende engagieren und ihren Erfolg wollen. Alle Instrumente, die Klimaschutzvorteile versprechen, müssen in der aktuellen Lage auf den Prüfstand und einer realistischen Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden.

ÖPNV-Markt muss stabil gehalten werden

Nun kann dieses Statement allerdings nicht enden, ohne dass noch das angesprochen wird, was seit rund zwei Jahren unseren Alltag beherrscht – die Corona-Pandemie. Denn eines muss uns allen bewusst sein: Vergünstigte Tickets, ÖPNV-Ausbaumaßnahmen, verbesserte Taktung, Verdopplungsziel – diese Maßnahmen können nur zum Erfolg führen, wenn sie auf eine gesunde Branche treffen. Daher ist es dringend erforderlich, dass Bund und Land sich zeitnah auf eine Fortführung des ÖPNV-Rettungsschirms auch für das Jahr 2022 verständigen. Nur mit weiteren, coronabedingten Unterstützungsleistungen kann die Liquidität der Verkehrsunternehmen gesichert werden. Sollte es wider Erwarten nicht gelingen, den ÖPNV-Markt stabil zu halten, dürften viele der unter Klimaschutzgesichtspunkten zwingend erforderlichen Maßnahmen zur Stärkung einer nachhaltigen öffentlichen Mobilität Makulatur sein.

Foto: Landkreis Tübingen

Autor: Joachim Walter, Landrat des Landkreises Tübingen und Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg

Mehr zu Innovationen im ÖPNV lesen Sie in der März-Ausgabe der KOPO.

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