Kopo

Verkehrswende als Baustein des kommunalen Klimaschutzes

Allgemein, Mobilität

Bis 2040 soll Baden-Württemberg vollständig klimaneutral sein. Der Verkehrssektor verursacht derzeit etwa ein Drittel aller klimaschädlichen Emissionen – gerade hier ist also entschlossenes Handeln aller Beteiligten erforderlich. Die verkehrspolitischen Ziele des Landes werden ohne engagierte Kommunen nicht zu erreichen sein. Obwohl die Mitglieder des Städtetags diese Ziele in vollem Umfang mittragen, gibt es bei Umsetzung und konkreter Ausgestaltung vielfach Dissens zwischen Landes- und kommunaler Ebene.

365-Euro-Jugendticket

Insbesondere die geplante Einführung eines landesweit gültigen 365-Euro-Jugendtickets hat für größte Irritationen bei den Kommunen gesorgt. Das Ticket soll gelten für Personen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres ohne Ausbildungsnachweis sowie für Personen bis zum Alter von einschließlich 27 Jahren, die studieren, in Aus- oder Weiterbildung sind oder einen Freiwilligendienst leisten.

Aus Sicht des Städtetags kann ein solches Jugendticket einen Beitrag zur Verkehrswende leisten, indem es junge Menschen frühzeitig an öffentliche Verkehrsmittel heranführt. Allerdings können die Rahmenbedingungen, zu denen das Ticket nun im Eilverfahren eingeführt werden soll, von den Kommunen nicht akzeptiert werden.

Mit dem Ticket soll eine Absenkung des jeweiligen Verbundtarifs auf 365 Euro im (Start-)Jahr erfolgen. Die Mindererlöse der Verkehrsverbünde sollen durch das Land mit 70 Prozent gefördert werden, die verbleibenden 30 Prozent müssen von den Stadt- und Landkreisen aufgebracht werden. Mit der angebotenen Förderung schafft das Land allerdings einen Umgehungstatbestand für einen konnexitätsrelevanten Sachverhalt. Zwar argumentiert das Land mit der Freiwilligkeit der Einführung des Tickets, gleichwohl ist die gesamte Konstruktion auf eine landeseinheitliche Umsetzung angelegt. Mithin wird auf kommunaler Ebene die Fördermöglichkeit eher als vergiftetes Geschenk angesehen.

Die Förderbedingungen des Landes werden seitens der Kommunen als Affront verstanden: Zum einen sollen sie mit ihrem 30 Prozent-Anteil auch die Kosten mitfinanzieren, die beim Land durch die landesweite Nutzung des Tickets entstehen. Zum anderen plant das Land, bei den Einnahmen durch Ticket-Mehrverkäufe den Gewinn abzuschöpfen.

Foto: © Patrick-Daxenbichler – stock.adobe.com

Das Jugendticket soll bereits im September 2022 zu Beginn des neuen Schuljahrs eingeführt werden. Der Vertrieb der Schülerabos beginnt jedoch schon im April. Obwohl zentrale Fragen nach wie vor ungeklärt sind, müssten die kommunalen Gremien bis Ende März ihre Beschlüsse gefasst haben, um einen Förderantrag stellen zu können. Wenn die Verkehrswende gelingen soll, muss ein Leuchtturmprojekt wie das Jugendticket jedoch zu Ende gedacht und mit ausreichend Vorlauf umgesetzt werden. Aus Sicht des Städtetags ist es daher zwingend erforderlich, die Einführung des Tickets zunächst zu verschieben und die noch offenen Fragen abschließend zu klären.

Mobilitätspass / Mobilitätsgarantie

Mit Mobilitätsgarantie und Mobilitätspass stehen gleich zwei weitere Großvorhaben der Landesregierung an. Der Koalitionsvertrag sieht vor, mittels einer Mobilitätsgarantie den ÖPNV schrittweise so auszubauen, dass alle Ortschaften in Baden-Württemberg von fünf Uhr früh bis Mitternacht erreichbar sind. Zu den gängigen Verkehrszeiten soll es im Ballungsraum mindestens einen 15-Minuten-Takt, im Ländlichen Raum einen 30-Minuten-Takt geben.

Mit dem Mobilitätspass soll eine zusätzliche kommunale Abgabe eingeführt werden, bei der entweder Einwohner*innen einer Kommune („Bürgerticket“), Kfz-Halter*innen in einem festgelegten Gebiet („Nahverkehrsabgabe“), Kfz-Nutzende auf definierten Straßen („Straßennutzungsgebühr“) oder Arbeitgeber*innen eine verpflichtende Abgabe leisten müssen. Als Gegenleistung ist ein persönliches ÖPNV-Guthaben vorgesehen, das beim Kauf von ÖPNV-Zeitkarten eingelöst werden kann.

Aus Sicht der Kommunen müssen diese beiden Instrumente klar voneinander getrennt betrachtet werden. Entscheidend ist dabei, dass die Mobilitätsgarantie als neuer Mindeststandard durch das Land aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wird. Mit Blick auf das Jugendticket darf sich nicht wiederholen, dass anstelle einer auskömmlichen Finanzierung über einen Konnexitätsausgleich lediglich „Anreize“ über Förderprogramme geboten werden. Wenn das Land es ernst meint mit der „Garantie“, muss es auch die Finanzverantwortung übernehmen.

Der Mobilitätspass kann keinesfalls zur Finanzierung der Mobilitätsgarantie herangezogen werden, sondern muss den Kommunen als freiwillige Abgabe zur Finanzierung ihres örtlichen ÖPNV-Zusatzangebots zur Verfügung stehen. Für die Bürger*innen vor Ort muss durch die Einführung des Mobilitätspasses ein echter Mehrwert im Sinne eines optimierten ÖPNV-Angebots spürbar sein – andernfalls wird dieses Finanzierungsinstrument nicht auf Akzeptanz stoßen.

Landesmobilitätskonzept

Mobilitätsgarantie, Mobilitätspass und Jugendticket sind drei von vielen ehrgeizigen verkehrspolitischen Vorhaben des Landes, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: eine Verdopplung des ÖPNV bis 2030. Der Vorstand des Städtetags hat dazu eine klare Erwartung formuliert: Die Vielzahl von Vorhaben im Verkehrsbereich müssen zunächst in einem Landesmobilitätskonzept bewertet und priorisiert werden. Andernfalls droht eine Überforderung der kommunalen Ebene.

Foto: Städtetag Baden-Württemberg

Autor: Susanne Nusser, Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg

Mehr zu Innovationen im ÖPNV lesen Sie in der März-Ausgabe der KOPO.

Sie besitzen noch kein Abo der KOPO? Das können Sie hier gleich ändern.