Solide Finanzen in Gestalt ausgeglichener öffentlicher Haushalte gehören zum Markenkern der Union. Gleiches gilt für die Bewahrung der Schöpfung, die infolge der globalen Erwärmung ihre drängendste Ausgestaltung in der Minderung der Treibhausgasemissionen findet. Nun droht das eine gegen das andere ausgespielt zu werden. Dabei brauchen wir beides: die schwarze Null für den Haushaltsausgleich und die grüne Null bei CO2 für die Klimaneutralität.
Öffentliche Verschuldung stellt einen Vorgriff auf Einnahmen künftiger Haushaltsjahre dar und bedeutet damit Umverteilung von späteren in frühere Haushaltsjahre zu Lasten künftiger Generationen. Gleichwohl war früh anerkannt, dass auch umgekehrt Investitionen in öffentliche Infrastruktur noch kommenden Steuerzahlern zugutekommen und insofern einer Schuldenfinanzierung zugänglich sein sollten.
Die goldene Regel der Finanzpolitik, die Kreditaufnahmen in ihrer Höhe an die Summe der Investitionen knüpft, wurde 1969 im Grundgesetz verankert (Art. 115 Abs. 1 S. 2 a.F.). Eine Ausnahme wurde vorgesehen für eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Gestalt des magischen Vierecks (bestehend aus: Wirtschaftswachstum, Geldwertstabilität, hohem Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht). Die sich darin niederschlagende Idee fußt letztlich auf John Maynard Keynes und schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen („deficit spending“). Die im volkswirtschaftlichen Ideal, nicht aber im Verfassungstext, vorgesehene Tilgung solcher Kredite in Wachstumsphasen wurde in der politischen Praxis indes gründlich missachtet. So hatten sich allein die Schulden des Bundes von 1969 von umgerechnet unter 27 Milliarden Euro bis 2008 auf rund 960 Milliarden Euro vervielfacht.
Diese Erfahrung und die ab Herbst 2008 einsetzende globale Finanzkrise führten 2009 im Zuge der Föderalismusreform II zu einer Grundgesetzänderung mit Einführung der heute geltenden Schuldenbremse gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG sowie Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG. Danach müssen die Haushalte von Bund und Ländern (in Aufstellung und Vollzug) grundsätzlich ohne Kredite auskommen. Dabei geht es um eine „Nettoneuverschuldung Null“, Umschuldung bleibt uneingeschränkt möglich.
Für den Bund ist diese Regel seit 2016 voll wirksam (Art. 143d Abs. 1 GG). Allerdings gilt für den Bund die gesetzliche Fiktion, dass dem Kreditverbot entsprochen ist, wenn die Schuldenaufnahme (Nettoneuverschuldung) 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigt (Art. 109 Abs. 3 Satz 4, Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG). Das sind aktuell etwa 12 Milliarden Euro im Rahmen der Schuldenbremse zugestandene Neuverschuldung. Maßgebliches BIP ist jeweils das der Haushaltsaufstellung vorangegangene Jahr (§ 4 S. 2 G 115).
Für die Länder gilt die Schuldenbremse erst seit 2020, dafür gilt sie in strikter Form, also ohne eine für den Bund in Gestalt von 0,35 Prozent des BIP vorgesehenen Fiktion. Die Länder müssen also grundsätzlich seit 2020 ohne neue Kredite auskommen.
Die Schuldenbremse kennt in Art. 109 Abs. 3 sowie dem ausschließlich für den Bund geltenden Art. 115 Abs. 2 GG auch Ausnahmen:
Ausnahme zum Konjunkturausgleich (Art. 115 Abs. 2 Sätze 3-5 GG)
Bei von der Normallage abweichender konjunktureller Entwicklung atmet die zulässige Schuldenaufnahme mit der Konjunktur: Im Abschwung werden konjunkturbedingte Defizite zugelassen, die indes im Aufschwung („symmetrisch“) durch Erreichung von Überschüssen getilgt werden müssen. Entsprechend wird die zulässige Kreditaufnahme gegenüber den nach Art. 109 Abs. 2 Satz 2 GG zugestandenen 0,35 Prozent des BIP erhöht und im Aufschwung vermindert. Dabei ist über den Konjunkturzyklus hinweg insgesamt die Nettoneuverschuldung Null in der Ausgestaltung der Fiktion von 0,35 Prozent einzuhalten. Das bedeutet zugleich, dass ein Webfehler der Vorgängerregelung insofern vermieden wurde, als nun klare – der Konjunktur folgende – Tilgungsregeln bestehen. Eine weitere Schwäche wurde beseitigt, indem im Haushaltsvollzug sich ergebende Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der zulässigen Kreditaufnahme durch ein Kontrollkonto erfasst werden (Satz 4).
Auf der Berechnungsgrundlage des § 5 Abs. 2 G 115 soll sich die Konjunkturkomponente als Produkt aus dort beschriebener Produktionslücke und Budgetsensitivität ergeben. Letztere wiederum gibt an, wie sich die Einnahmen und Ausgaben des Bundes bei einer Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität verändern (§ 5 Abs. 3 G 115).
Seit 2016 hatte es zunächst keine Produktionslücke und somit keinen Anwendungsfall für eine konjunkturelle Ausnahme gegeben. Tatsächlich wurden sogar teils beachtliche Haushaltsüberschüsse erzielt. 2020 (ausgerechnet im ersten Geltungsjahr der Schuldenbremse für die Länder) gab es erstmals einen (lockdownbedingten) Konjunktureinbruch. Damit fiel die konjunkturelle Ausnahme zur Schuldenbremse zusammen mit der zweiten im Grundgesetz verankerten Ausnahme für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen (Art. 115 Abs. 2 Sätze 6-8 GG).
Die Ausnahme darf nicht zur Regel werden
Während die Konjunkturkomponente einem gleichsam berechenbaren Automatismus folgt, bedarf es für die weitere Ausnahme im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen einer politischen Entscheidung in Gestalt eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages (sog. „Kanzlermehrheit“), der mit einem Tilgungsplan zu verbinden ist (Art. 115 Abs. 2 S. 6-7). Hinsichtlich der Rückführung heißt es in Satz 8 lediglich, dass diese „binnen eines angemessenen Zeitraums zu erfolgen“ hat. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird in der Praxis sehr unterschiedlich ausgelegt: So hat der Bund die Tilgung ursprünglich auf 20 Jahre angelegt, in den Ländern wurden Tilgungszeiträume zwischen sechs Jahren in Sachsen und 50 Jahren in NRW definiert.
Je außergewöhnlicher sich ein Ereignis darstellt, umso langfristiger kann eine Tilgung angelegt sein. Umgekehrt muss ein mit gewisser Wahrscheinlichkeit sich häufendes Ereignis binnen kurzer Frist zu tilgen sein, damit nicht die nächste ähnlich gelagerte Notlage eine Ausnahme von der Schuldenbremse erlaubt, bevor die zurückliegende getilgt ist. Sonst würde die Ausnahme zur Regel und die Schuldenbremse letztlich ausgehöhlt. Mit Blick auf die sich durch den Klimawandel häufenden Naturkatastrophen, die man bis vor kurzem als „Jahrhundertunwetter“ bezeichnet hat, dürfte sich hier der Maßstab verschieben. Während man für die erste Pandemie mit bislang beispiellosen Einschränkungen des gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens wohl annehmen kann, dass sie (jedenfalls nach heutiger Erfahrung) auch einen generationumspannenden Tilgungszeitraum rechtfertigt, wird das für die sich häufenden Hochwasserkatastrophen wohl nicht in gleicher Weise gelten können.
Auch die schiere Summe nie dagewesener Kreditermächtigungen, sowie die Praxis, diese in Folgehaushalten in Anspruch zu nehmen, bringt die Schuldenbremse an bislang nicht ausgelotete verfassungsrechtliche Grenzen. So hat allein der Bundeshaushalt 2020 neue Schulden von 215 Milliarden Euro ausgewiesen, von denen allerdings nur 130 tatsächlich aufgenommen wurden. Für 2021 waren es sogar 240 Milliarden Euro, von denen nun 60 Milliarden in einen „Energie- und Klimafonds“ überführt werden sollen. Gerade diese beabsichtige Mittelübertragung wirft die Frage auf, ob die zur Bekämpfung einer bestimmten Notlage (hier Corona-Pandemie) überhaupt umzuwidmen sind und gegebenenfalls. ob hieraus zu finanzierende Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele dem Maßstab der ursprünglich in Anspruch genommenen Ausnahme genügen.
Die grüne Null
Das schlägt die Brücke zur grünen Null, der perspektivisch vollständigen Vermeidung von klimaschädlichen Treibhausgasen insbesondere CO2. Das auf der UN-Klimakonferenz 2015 beschlossene Übereinkommen von Paris („Paris Agreement“) sieht eine Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf deutlich unter 2° C gegenüber vorindustriellen Werten vor („well below 2° C“). Angestrebt („pursuing efforts“) wird sogar, die Erwärmung auf 1,5° zu begrenzen. Diese völkerrechtliche Verpflichtung geht in ihrem Prozess letztlich zurück auf die Rio Klimarahmenkonvention von 1992 (Inkrafttreten 1994) und die davon ausgehenden ergänzenden Protokolle, so das Kyoto-Protokoll 1997).
Das Übereinkommen von Paris steht in dieser Tradition unterzeichnet von 197 Staaten. In Kraft getreten ist es am 04.11.2016 nachdem es von 55 Staaten, von denen 55 Prozent der CO2-Emissionen ausgehen, darunter auch Deutschland, ratifiziert wurde.
Die Ausgestaltung des Treibhausgasminderungspfades hat der Bundesgesetzgeber für Deutschland insgesamt und heruntergebrochen auf die Sektoren (Energie, Verkehr etc.) im Klimaschutzgesetz geregelt. Gegen dieses wurden bereits kurz nach Inkrafttreten (18.12.2019) mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt. Mit Beschluss vom 24.03.2021 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen.
Die Pflicht zu Minderung von Treibhausgasemissionen folgt nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung auch aus dem Grundgesetz. Demnach ist das Klimaschutzziel (Art. 20a GG) dahingehend konkretisiert, dem sogenannten „Paris-Ziel“ zu entsprechen. Dazu müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Davon würde praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, denn nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens sind mit der Emission von Treibhausgasen verbunden.
Um zu vermeiden, dass diese Freiheit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht ist, wurde dem Gesetzgeber aufgegeben, Vorkehrungen zu treffen, diese hohen Lasten abzumildern und die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln. Der Gesetzgeber seinerseits reagierte außergewöhnlich rasch: Seine Gesetzesnovelle trat bereits zum 24.06.2021 in Kraft und verschärfte die Treibhausgasminderungsziele für 2030 von 55 Prozent auf 65 Prozent für 2040 auf 88 Prozent und schreibt Nettotreibhausgasneutralität für 2045 statt zuvor 2050 vor.
Die entscheidungsleitenden Gründe des BVerfG weisen dabei erkennbare Parallelen zu der aus der nachhaltigen Haushaltswirtschaft bekannten Idee einer „intergenerativen Gerechtigkeit“ auf; das BVerfG statuiert hier ein neues Recht auf „intertemporale Freiheitssicherung“: Danach schützen die Grundrechte subjektivrechtlich „vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.“ Ausdrücklich stellt das BVerfG auch den zwingenden Zusammenhang von Treibhausgasminderungspfaden und einem zum Erreichen der Klimaziele verbleibenden (CO2-)„Restbudget“ her. Hierzu stützt man sich auf den Budgetansatz des Weltklimarates (IPCC). Je weiter Maßnahmen in die Zukunft (hier: nach 2030) verschoben werden, umso steiler schrumpft das verbleibende Budget und umso gravierender sind die zu treffenden Gegenmaßnahmen in späteren Jahren. Dieser Budgetgedanke ist der Haushaltswirtschaft seit jeher immanent und lässt sich im kommunalen Bereich etwa mit dem schrumpfenden oder sogar negativen Eigenkapital sowie den Einschränkungen, die zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Haushaltsstatus notwendig werden, vergleichen. Im staatlichen Haushalt genießt diese Grundidee mit der Schuldenbremse Verfassungsrang.
Es ist insofern beinahe Ironie des Schicksals, dass die Schuldenbremse als Ausdruck von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit gerade von der gleichfalls diesen Idealen verpflichteten Klimaneutralität und deren Finanzierung bedrängt wird, also die schwarze Null von der grünen Null herausgefordert wird. Die Union sollte sich beiden Ausprägungen nachhaltiger Politik verpflichtet sehen. Möglicherweise bedarf es erst einer neuerlichen verfassungsgerichtlichen Klarstellung, um beides zu bestmöglichem Ausgleich zu bringen.
Autor: Lars Martin Klieve ist Bundesschatzmeister der KPV, Stadtkämmerer a.D. und Stadtwerkevorstand
Dieser Beitrag ist in der Februar-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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