Die Energiepreisspirale schraubt sich immer weiter nach oben. Auch Stadtwerke und kommunale Energieversorger stehen in der Kritik. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) erklärt, was zum Preisanstieg führt und warum Verbraucherzentralen auf dem Holzweg sind.
Aktuell erleben wir auf den Großhandelsmärkten für Strom und Gas enorme Preissteigerungen. Die Preisrallye hat verschiedene Ursachen: die weltweit und insbesondere in Ostasien sehr hohe Gasnachfrage ebenso wie witterungsbedingte Einflüsse. Die längere Kälteperiode im vergangenen Winter führt dazu, dass Gasspeicher nun leerer sind als sonst. Auch die Strompreise sind in Deutschland hoch. Sie werden derzeit vor allem von den hohen Brennstoffkosten getrieben, insbesondere von Erdgas. Hinzu kommen gestiegene Preise für CO2-Zertifikate. Da Gaskraftwerke oftmals preissetzend sind, wirken sich der hohe Gaspreis und die Kosten für CO2-Zertifikate auch preissteigernd auf den Börsenstrompreis aus. All diese Gründe befeuern die Preisralley an den Energiemärkten.
Energie-Discounter haben sich verzockt, Stadtwerke springen ein
Versorger, die aktuell kurzfristig Strom oder Gas einkaufen, müssen viel Geld dafür zahlen. Jetzt zeigt sich: Einige Energie-Discounter haben sich verzockt. Mit kurzfristigen Beschaffungsstrategien wollten sie schnelle Rendite machen. Als die Preise zuletzt rapide stiegen, konnten sie ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nicht mehr nachkommen; oder noch schlimmer: Offenbar haben einige Discounter sogar das für ihre Kunden beschaffte Gas und den für ihre Kunden beschafften Strom teuer an der Börse weiterverkauft. Insolvenzen und Kündigungen der Lieferverträge für hunderttausende Endkunden sind die Folgen.
Im Gegensatz zu den Discountern beschaffen Stadtwerke ihre Energie in der Regel konservativ, langfristig und vorausschauend. Sie kaufen oft mehrere Jahre im Voraus ein, sodass sie das Preisrisiko für ihre Kunden mindern können. Dass die Discounter wiederum ihre Kunden im Regen stehen lassen, stellt nun auch die Stadtwerke vor enorme Herausforderungen. Als örtliche Grundversorger springen sie bei der Versorgung ein. Über Nacht mussten sie hunderttausende Kundinnen und Kunden der Discounter auffangen und deshalb kurzfristig zusätzliche Gas- und Strommengen am Markt beschaffen – zu derzeit horrenden Preisen.
Niemand stellt den Wettbewerb zwischen den Energieversorgern in Frage. Es kann aber nicht sein, dass Discounter mit Tiefpreisen locken, wenn der Markt dies hergibt, aber von heute auf morgen einfach ihre Lieferung einstellen, sobald ihnen der Einkauf zu teuer wird. Hier zeigt sich auch der hohe Wert der Daseinsvorsorge: Die Stadtwerke springen ein. Bei den Kunden gingen weder die Lichter aus, noch wurde die Wohnung kalt.
Höhere Preise oder Tarifsplitting als Folge
Einige Stadtwerke haben die Grundversorgungpreise für Neu- und Bestandskundenpreise aufgeteilt, um die Auswirkungen der Misere der Billigdiscounter für die Bestandskunden in der Grundversorgung so gering wie möglich zu halten. In der Grundversorgung sind häufig sozial schwache Kunden, die oft mangels Bonität gar kein Angebot von anderen Versorgern erhalten. Grundversorgungstarife sind auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Würde man keine gesplitteten Tarife für Bestands- und Neukunden einführen, müssten die Bestandskunden die Kosten für das Risiko der Neukunden schultern.
Ausgerechnet Verbraucherzentralen wollen jetzt offenbar, dass genau diese Kunden jetzt die Zeche zahlen sollen. Denn nichts anderes bedeutet die Forderung der Verbraucherzentralen, die Aufteilung der Grundversorgungspreise in Bestands- und Neukundenpreise zu untersagen. Umfassender Verbraucherschutz sieht anders aus. Die Kunden der Billiganbieter haben im Vergleich zu den Kunden in der Grundversorgung in den vergangenen Jahren Geld gespart, sind aber ein höheres Risiko eingegangen. Dass jetzt andere dieses Risiko übernehmen sollen, obwohl sie nichts gespart haben, ist nicht gerecht. Wichtig für die Debatte ist auch, dass die Kunden, die jetzt vom Billiganbieter kommen, in der Regel zügig in einen anderen Tarif des jeweiligen Stadtwerks oder auch zu einem anderen Versorger wechseln können. Die Bestandskunden in der Grundversorgung können das aus den o.g. Gründen oft nicht. Hier hinkt die Argumentation der Verbraucherschützer erheblich. Sie haben nur eine Kundengruppe im Blick und vernachlässigen eine andere Kundengruppe, im Zweifel sogar die sozial schwächere.
Aufteilung ist Gebot der Fairness
Daher sind die Verbraucherzentralen mit ihrer Kritik an gesplitteten Tarifen auf dem Holzweg. Dass jetzt die neue Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke sich ausdrücklich an die Seite der Verbraucherschützer stellt und vor allem die Grundversorger ins Visier nimmt, ist absolut unverständlich. Sie kritisiert die Tarifgestaltung von Grundversorgern als nicht marktgerecht, ohne deren Kalkulation zu kennen. Dies zu prüfen ist Aufgabe der Kartellbehörden, nicht der Bundesministerin. Ihre Kritik ist so, als würde der Hausbesitzer die Feuerwehr für den nassen Teppich beschimpfen, während das Haus noch in Flammen steht und der Brandstifter sich davonmacht. Denn die Verursacher der Misere sind andere: unseriöse Billiganbieter, die Knall auf Fall ihre Kunden im Stich lassen. Die Grundversorger bieten die Lösung. Sie dafür zu kritisieren ist absolut unangemessen. Aus unserer Sicht haben die Grundversorger zudem im Einklang mit den bestehenden rechtlichen Regelungen gehandelt. Einer gerichtlichen Überprüfung, wie sie jetzt die Verbraucherzentrale NRW anstrebt, sehen wir optimistisch entgegen.
So hat etwa der Präsident des Bundeskartellamtes öffentlich mitgeteilt, dass die derzeitige Situation die Einführung unterschiedlicher Tarife für Bestands- und Neukunden rechtfertigt. Er weist zu Recht darauf hin, dass diese Preisspreizung für die Grundversorger derzeit ein milderes Mittel als andere Maßnahmen darstellt. Insbesondere auch für die Kunden, die auf die Grundversorgung angewiesen sind. Es ist selbstverständlich, dass die geforderten Preise dann auch inhaltlich gegenüber den Kartellbehörden gerechtfertigt werden müssen. Dafür gibt es klare Regeln.
Politische Regeln für die Zukunft
Aus der aktuellen Situation sollten auch politische Lehren gezogen werden. Dazu gehört zum Beispiel eine explizite gesetzliche Klarstellung, dass eine Aufteilung der Grundversorgungspreise rechtlich möglich ist sowie die rechtliche Entkopplung von Grund- und Ersatzversorgung. Niemand stellt den Wettbewerb zwischen den Energieversorgern in Frage. Es kann aber nicht sein, dass Discounter mit Tiefpreisen locken, wenn der Markt dies hergibt, aber von heute auf morgen einfach ihre Lieferung einstellen, sobald ihnen der Einkauf zu teuer wird. Wir müssen derartige Praktiken von Billiganbietern, wie wir sie jetzt erleben, für die Zukunft ausschließen. Deshalb sollte auch geregelt werden, dass die Einstellung des Geschäftsbetriebes drei Monate vorher angekündigt werden muss. Auch die Bundesnetzagentur muss ihre gesetzlich geregelten Aufsichtsrechte effizient wahrnehmen können.
Wer Kunden mit Energie beliefert, hat ihnen gegenüber eine Verantwortung, der er sich nicht von heute auf morgen entledigen darf. Für kommunale Energieversorger ist das selbstverständlich. Um dies für alle Kunden abzusichern, brauchen wir neue Regeln.
Autor: Ingbert Liebing, VKU-Hauptgeschäftsführer
Dieser Beitrag ist in der Februar-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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