Das Klimaschutzpaket des Bundes hat umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Potenziale der kommunalen Ebene indessen weitgehend ausgespart. Dabei bieten sich insbesondere zur Realisierung der Wärmewende große Chancen, um die schleppende Gebäudesanierung zu kompensieren. Seit dem 24.10.2020 verpflichtet das baden-württembergische Klimaschutzgesetz Städte ab 20.000 Einwohnern zur Erstellung einer kommunalen Wärmeplanung. Diese versteht sich als Strategie zur Verwirklichung einer klimaneutralen Wärmeversorgung, als Erhebung des aktuellen Wärmebedarfs einerseits sowie zur Senkung des Wärmebedarfs durch Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz und zur klimaneutralen Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien andererseits.
Zentraler Baustein einer Wärmeplanung ist die Frage, wie durch den Neubau von Wärmenetzen eine CO2-Einsparung erreicht werden kann. Agora Energiewende weist ein Potenzial für den Ausbau von (Fern-) Wärmenetzen von heute zehn Prozent auf 23 Prozent des Endenergiebedarfs bis 2050 aus. Das tatsächliche CO2-Einsparpotenzial ist weitaus höher, da die traditionellen Fernwärmenetze bislang überwiegend mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.
Fernwärme gehört zu den traditionellen Heizenergiesystemen seit Einführung der Zentralheizung. In größeren Städten und sogar Regionen liefern Kohle- und Gaskraftwerke die Wärme, teilweise auch Müllheizkraftwerke. Nahwärmenetze hingegen beschränken sich zumeist auf Quartiere oder Dörfer, wie beispielsweise die in Baden-Württemberg zahlreich entstandenen Bioenergiedörfer. Hier produziert meist eine Biogasanlage den erforderlichen Strom, während die dabei anfallende Wärmeenergie zusammen mit einer Hackschnitzelfeuerung in ein Nahwärmenetz eingespeist wird. Während der Boom der in einem bundesweiten Wettbewerb im Jahre 2010 ausgezeichneten Bioenergiedörfer sicherlich auch einem Streben nach Autarkie und der in diesen Bereichen fehlenden Gasversorgung zuzuschreiben ist, verhindert der Vormarsch der als umweltfreundlich geltenden Gasversorgung in urbanen Räumen das Entstehen von neuen Nahwärmenetzen aus regenerativen Energien. Mutige Pioniere übertrugen den Gedanken der autarken Bioenergiedörfer in kleinere städtische Quartiere, indem sie sich in Baden-Württemberg die Anreizfunktion des Erneuerbare-Wärme- Gesetz zunutze machen. Denn seit dem 1.1.2010 sind Gebäudeeigentümer verpflichtet, erneuerbare Energien einzusetzen, sobald sie ihre Heizung austauschen. Das von der damaligen CDU-Umweltministerin Tanja Gönner konzipierte Gesetz ermöglicht den Gebäudeeigentümern, aus einer Vielzahl an Technologien zur Nutzung erneuerbarer Wärme im eigenen Gebäude zu wählen oder sich für Ersatzmaßnahmen zu entscheiden.
Umweltfreundliche Nahwärme versorgt Quartier aus den 50er Jahren
Ein bis dahin nahezu unbekanntes junges Ingenieurbüro gewinnt im Jahr 2009 einen Wettbewerb des Wirtschaftsministeriums, indem es ein Nahwärmenetz auf Holzhackschnitzelbasis konzipiert und dieses in einem bestehenden Wohnquartier aus den 50er Jahren aus eigener Kraft realisiert. Dabei zahlt derjenige, der seine Heizung wahrscheinlich früher austauschen muss, einen höheren Anschlussbeitrag als der Hauseigentümer, dessen Anlage noch eine längere Lebensdauer hat. Die Stadt Lörrach unterstützt das Vorhaben tatkräftig auch mit ihrer städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Später entdeckt auch badenova, der regionale Energieversorger den Reiz dieser Projekte und beteiligt sich an der Umsetzung weiterer Wärmenetze in der Stadt. Wärmenetze bieten angesichts der enormen Emissionen durch die Wärmebereitstellung eine große Chance zur CO2-Einsparung auf lokaler Ebene. Konkrete Beispiele aus Baden-Württemberg zeigen, dass der Aufbau von Wärmenetzen durch die Kommunen und ihre Stadtwerke als Aufgabe der Daseinsvorsorge mit einer hohen lokalen Wertschöpfungskraft geplant, gebaut und betrieben werden kann.
Stadtwerke Radolfzell: Solarenergiedorf Liggeringen
Im Solarenergiedorf Liggeringen, einem Stadtteil der großen Kreisstadt Radolfzell, werden seit 2019 rund 100 Haushalte über ein Wärmenetz mit Wärme versorgt und können so auf eine eigene Heizung verzichten. Die Wärme wird über eine Holz-Hackschnitzelanlage/ Biomassekessel und eine große solarthermische Anlage erzeugt. 84 Hochleistungsflachkollektoren mit einer Gesamtfläche von 1100 m2 absorbieren die Sonneneinstrahlung und heizen das durch die Kollektoren fließende Wasser auf. Sie liefern jährlich 4.7 Millionen Kilowattstunden (kWh) Wärme. Ganze 1.400 Tonnen Treibhausgase werden so im Jahr eingespart. Um den höheren Wärmebedarf im Winter zu decken, wird zusätzlich Biomasse zur Wärmeerzeugung eingesetzt und in einem Pufferspeicher gespeichert.
Stadtwerke Sigmaringen
Die Stadtwerke Sigmaringen haben gemeinsam mit dem regionalen Bürgerunternehmen solarcomplex die „NRS Nahwärmegesellschaft Region Sigmaringen mbH“ gegründet. Jeder Partner bringt seine spezifischen Stärken in die Gesellschaft ein: solarcomplex ist mit 15 Nahwärmenetzen in der Bodenseeregion führend in Deutschland und zeichnet für die Öffentlichkeitsarbeit und Planung der Projekte verantwortlich. Die Gemeinde Veringendorf im Landkreis Sigmaringen war das erste Projekt der NRS. Das Wärmenetz mit einer Netzlänge von rund fünf Kilometern wurde in 2016 und 2017 gebaut und versorgt rund 70 Gebäude mit Wärme aus regenerativen Energien, darunter Ein- und Mehrfamilienhäuser, Gewerbe und kommunale Gebäude. Mehr als 95 Prozent der Wärme wird als Abwärme aus den BHKWs der örtlichen Biogasanlage bereitgestellt. Für Spitzenlast und Notfälle wurde eine kleine Heizzentrale in der Ortsmitte mit einem Pufferspeicher von 50 Kubikmeter und einem Ölkessel gebaut. Gemäß Planung werden in den angeschlossenen Gebäuden rund 150.000 Liter Heizöl durch regenerative Energien ersetzt; die damit verbundene CO2-Einsparung beträgt rund 450 Tonnen je Jahr.
Stadtwerke Bruchsal
Bis 2021 entsteht in der Bruchsaler Südstadt ein Fernwärmenetz mit 90 Prozent Erneuerbaren Energien. Ziel ist die Einsparung von rund 92 Prozent oder 1.640 Tonnen CO2 jährlich im Planungsgebiet. Zwei örtlich getrennte Heizzentralen mit insgesamt fünf Erzeugungsanlagen speisen nachhaltig erzeugte Wärme in das Wärmenetz ein. Die Brennstoffe der Anlagenteile, die nicht aus Sonnenenergie gespeist werden, sind überwiegend Holzhackschnitzel und -pellets aus der heimischen Forstwirtschaft, ergänzt um Biomethan. Die angeschlossenen Gebäude haben außer der Übergabestation keinerlei wartungsintensive Heizungsanlagen und -technik mehr. Der wirtschaftliche und ökologische Erfolg des Fernwärmenetzes ist bereits heute dank der größten Wärmeabnehmer im Quartier gesichert: Das Gewerbliche Bildungszentrum des Landkreises (GBZ) und die städtische Konrad-Adenauer-Gesamtschule sind ebenso von Anfang an dabei wie einige mehrgeschossige Mehrfamilienhäuser. Die Bruchsaler Südstadt stellte sich bei einem integrierten Quartierskonzept, das 2014 eingeleitet wurde, als besonders geeignet für ein Fernwärmekonzept heraus – unter anderem, da der Großteil der gut 300 Gebäude im Quartier zwischen 1960 und 1980 erbaut wurde und damit bei vielen ohnehin eine Sanierung ins Haus steht.
Stadtwerke Heidelberg
Heidelberg verfügt bereits über ein gut ausgebautes Fernwärmenetz, welches rund 47 Prozent der Haushalte versorgt. Die Stadtwerke Heidelberg erhöhen den Anteil der Wärme aus erneuerbaren Energien im Zuge ihrer Energiekonzeption 2020/2030 kontinuierlich. So erreicht immer mehr „grüne“, CO2-freie Wärme die angeschlossenen Haushalte. Obwohl das Fernwärmenetz die Wärme unabhängig vom Energieträger zu den Verbrauchern bringt, verändern sich durch die Energiewende die Anforderungen an das Netz. Soll beispielsweise industrielle Abwärme oder Wärme aus der Solarthermie aufgenommen werden, braucht es eine niedrigere Systemtemperatur – die gleichzeitig die Effizienz der Solarthermie-Anlagen erhöht. Zu- dem ist es wünschenswert, Stromüberschüsse bei Netzengpässen oder in Niedrigpreisphasen durch Power- to-Heat-Anlagen in günstige Wärme umzuwandeln. Aktuell haben die Stadtwerke eine Machbarkeitsstudie zu Niedertemperaturnetzen auf der Konversionsfläche Patrick-Henry-Village durchgeführt und ein innovatives wechselwarmes Wärme und Kältenetz entwickelt. Die Idee: Im Winter überwiegt die Heizlast, im Sommer die Kühllast. Zu beiden Zeiten können Verbraucher aus dem Kaltleiter auch Kühl- bzw. aus dem Warmleiter auch Heizenergie beziehen. Um diese Technik zu realisieren, ergeben sich für Investoren und Kunden neue Kriterien für die Haustechnik: Statt einer Kompaktstation umfasst sie im wechselwarmen Netz eine Wärmepumpe, eine Kältestation sowie einen Speicher.
Stadt Freudenstadt
Die Stadt Freudenstadt hat zwischen 2018 und 2020 für die Nordstadt ein integriertes energetisches Quartierskonzept erstellt. Im ca. 43,5 ha großen Untersuchungsgebiet leben rund 2.500 Menschen. Die Wohngebäudestruktur ist im Quartier heterogen, neben einigen Wohnhochhäusern aus den 1960er und 1970er Jahren gibt es zahlreiche Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser. Rund die Hälfte der Gebäude wurde vor der ersten Wärmeschutzverordnung 1978 erstellt, weitere rund 47 Prozent sind zwischen 1979 und 1994 errichtet worden. Neben einzelnen gewerblichen Nutzungen gibt es mit drei Schulen, zwei Sporthallen und dem Panoramabad auch wesentliche öffentliche Großverbraucher. Der gesamte jährliche Endenergieverbrauch im Quartier beträgt rund 40,6 Millionen kWh, dies entspricht einer CO2-Emission von ca. 12.300 Tonnen. Zwei Drittel des Verbrauchs entfällt auf die Wärmeversorgung. Datenabfragen bei Versorgern und Schornsteinfegern sowie eine ergänzende Befragung der Eigentümer und Bewohner belegen insgesamt ein hohes Potential für die Umsetzung von Wärmenetzen auf Grund des Alters der Heizkessel, der gesetzlichen Vorgaben bei Sanierung oder Heizungsaustausch und gleichzeitig eine hohe Bereitschaft zum Anschluss an ein Wärmenetz. Begünstigt wird diese Tendenz durch anstehende Generationenwechsel oder Verkäufe von Immobilien. Die Erfahrungen aus dem Quartierskonzept für die Freudenstädter Nordstadt zeigen aber, dass trotz hoher Potentiale die Umsetzung bereits an den Erstinvestitionen scheitert. Die Kosten können erst mit dem schrittweisen Anschluss des Quartiers mittel- bis langfristig gedeckt werden. Die alleinige Betrachtung eines wirtschaftlichen Betriebes unter Volllast greift zu kurz.
Kommunale Wärmenetze als strategischer Ansatz in der klimaschutzgerechten Daseinsvorsorge
Seit dem 24.10.2020 sind Städte ab 20.000 Einwohnern verpflichtet, im Rahmen einer strategischen Wärmeplanung den aktuellen Wärmebedarf zu erheben und ihm die Potenziale durch Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz und durch die Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien gegenüberzustellen. Das Land finanziert diese Planung in den Städten. Auf Antrag der CDU-Kreistagsfraktion hat der Landkreis Lörrach ein Pilotprojekt einer kreisweiten Wärmeplanung aufgesetzt, welches vom Land mit 622.000 Euro bezuschusst wird. Hier sollen gerade bezogen auf kleinere Gemeinden mit großen Industriebetrieben deren Potenziale kommunenübergreifend nutzbar gemacht werden. Die Umsetzung wird nicht ohne Anschubfinanzierung gelingen. Diese hat der Städtetag Baden- Württemberg für die anstehende Landtagswahl gefordert. Gleichzeitig sollen gemeinsam mit interessierten Städten Finanzierungsmodelle entwickelt werden, die einen Anreiz schaffen, das eigene Gebäude anzuschließen, und klimagerechtes Verhalten durch innovative Gebührenmaßstäbe zu belohnen. Die Ratio Energie GmbH in Lörrach hatte als Unternehmen ein Beispiel gegeben, welches nun in die Welt der Kommunalabgabengesetze übertragen werden soll.
Autorinnen:
Dr. Susanne Nusser, stellv. Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg, Dezernentin für Umwelt und Finanzen und Mitglied im Beirat der KPV Baden-Württemberg
Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandmitglied des Städtetags Baden-Württemberg und Mitglied des Bundesvorstands der CDU