Mit der neuen Wohnsitzregelung des Integrationsgesetzes soll die Verteilung von anerkannten Flüchtlingen besser gesteuert und laut Gesetz ihre Integration gefördert werden. Unter welchen Voraussetzungen dies gelingen kann, dazu gibt es jetzt eine neue Studie: Eine zentrale Rolle spielt die Lage am Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnungsmarkt am zugewiesenen Wohnort. Dies sollten die Bundesländer bereits bei der Erstverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Länder berücksichtigen.
Anhand einer Fallstudie in Brandenburg, das wirtschaftlich, strukturell und demografisch äußerst heterogen ist, werden generelle Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung der Wohnsitzregelung entwickelt.
Anerkannte Flüchtlinge, die Sozialleistungen beziehen, müssen seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im August 2016 drei Jahre lang in dem Bundesland bleiben, in dem ihr Asylverfahren durchgeführt wurde. Neben dieser gesetzlichen Wohnsitzauflage können die Bundesländer auch landesintern einen Wohnsitz zuweisen oder den Zuzug in bestimmte Kommunen untersagen. Damit soll einerseits ein zu starker Zuzug anerkannter Flüchtlinge in städtische Ballungsgebiete vermieden werden. Denn dort ist der Wohnungsmarkt häufig angespannt, belastet ein ungesteuerter Zuzug weiterer Sozialleistungsempfänger die Kommunen finanziell und kann eine wohnräumliche und gesellschaftliche Trennung für ihre Integration hinderlich sein. Andererseits sind in abgelegenen und strukturschwachen ländlichen Gebieten die Bedingungen für eine Integration oft nicht hinreichend erfüllt.
Der Forschungsbereich des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat untersucht, unter welchen Voraussetzungen Wohnortzuweisungen ihr integrationspolitisches Ziel auch tatsächlich erreichen können. Der Policy Brief wurde von der Stiftung Mercator gefördert.
„Für das Gelingen von Integration ist entscheidend, dass Flüchtlinge am zugewiesenen Wohnort eine Chance auf dem Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnungsmarkt haben“, sagte Dr. Jan Schneider, Autor und Leiter des SVR-Forschungsbereichs. „Bislang werden diese Faktoren bei der landesinternen Verteilung auf Landkreise und kreisfreie Städte aber nicht berücksichtigt.“ In den meisten Bundesländern wird allein die Einwohnerzahl als Maßstab für die Zuweisung von Flüchtlingen herangezogen.
Schneider zieht das Fazit: „Die Länder sollten bei der Erstverteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen grundlegend umdenken, um den integrationspolitischen Maßgaben der Neuregelung Rechnung zu tragen: Dabei gilt es, die Strukturbedingungen vor Ort zu beachten und Flüchtlinge solchen Orten zuzuweisen, an denen gute Bedingungen für eine gelingende Integration bestehen.“ Das heißt, es müssen nicht nur ausreichend Plätze in Kitas, Schulen und Integrationskursen vorhanden sein, sondern vor allem auch Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie angemessener Wohnraum. Geeignete Indikatoren, die bei der Bestimmung von Verteilungsquoten berücksichtigt werden könnten, sind hierbei die Arbeitslosigkeit, das Verhältnis offener Ausbildungsstellen zu Bewerbern und die Quote an leerstehenden Wohnungen in der jeweiligen Kommune.
Darüber hinaus empfiehlt der SVR-Forschungsbereich, bei Wohnsitzzuweisungen auch auf individueller Ebene die Passgenauigkeit zu verbessern (Matching): so können für Familien durchaus auch ländliche Gebiete gute Integrationsperspektiven bieten, wenn es dort Kitaplätze und Schulen für die Kinder gibt und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gewährleistet ist. Für Alleinstehende und junge Erwachsene haben die Ausbildungsmöglichkeiten bzw. die Perspektive auf einen Job eine hohe Priorität; hier können kleine und mittlere Städte bessere Bedingungen bieten. Gerade strukturschwache oder abgelegene Kommunen sollten umfassend daran arbeiten, die Integrationsbedingungen vor Ort zu verbessern, denn sie haben durchaus Interesse daran, Flüchtlinge zu halten. „Anerkannte Flüchtlinge werden nur dauerhaft bleiben, wenn sie und ihre Familien vor Ort gute Chancen auf Teilhabe vorfinden; sonst ziehen sie nach drei Jahren wieder weg“, sagte Schneider. Damit entgingen den ländlichen Regionen die Chancen, die Flüchtlinge für die Strukturentwicklung bedeuten.
Das Fallbeispiel Brandenburg zeigt, dass anerkannte Flüchtlinge bislang in erheblicher Zahl aus den ländlichen Regionen in die Ballungszentren weiterwandern. Dabei scheint der Wegzug aus eher abgelegenen Gegenden weitaus stärker zu sein als aus mittleren Städten oder Kommunen mit einer guten Verkehrsverbindung nach Berlin. Es gibt aber weder in Brandenburg noch in den anderen Bundesländern belastbare Zahlen, wie viele anerkannte Flüchtlinge weiterwandern, wohin sie ziehen und was ihre Motive sind. Der SVR-Forschungsbereich empfiehlt daher, künftig systematisch Daten zu erheben, die das Phänomen der Weiterwanderung sichtbar machen. Auf dieser Grundlage kann auch ausgewertet werden, ob die Wohnsitzauflage die gewünschte Wirkung entfaltet.
„Eine integrationsfördernde Wohnsitzregelung zu schaffen, ist eine hochkomplexe Aufgabe“, stellte Schneider fest. „Dem höheren Aufwand einer möglichst passgenauen Wohnortzuweisung steht aber auch ein Gewinn gegenüber, wenn Flüchtlinge im ländlichen Raum heimisch werden und damit zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.“ Vor Ort in den Städten und Kommunen ist eine enge Kooperation der beteiligten Behörden, darunter Jobcenter, Ausländerbehörden und Sozialämter, sowie eine gute Vernetzung mit Unternehmen, Bildungsträgern und der Zivilgesellschaft das richtige Rezept, um Wohnsitzregelungen zum integrationspolitischen Erfolg zu verhelfen. Letztlich gehe es aber auch um Fragen der allgemeinen Struktur- und Demografiepolitik, die weit über die Verteilung von Flüchtlingen hinausgehen. Kommunen, in denen es Jobs, aber nicht genug Wohnraum gibt, bräuchten mehr Wohnungsbau. Strukturschwachen Kommunen mit leerstehenden Wohnungen wäre durch bessere Verkehrsverbindungen geholfen, die das Pendeln an entferntere Arbeitsplätze erleichtert. Das kann nur durch eine gezielte Landesentwicklung erreicht werden. „Die Flüchtlinge erhöhen somit den Handlungsdruck für eine Strukturentwicklung; von den Lösungen profitieren alle.“