Auf der Liste der sicheren Herkunftsländer soll zukünftig auch das Kosovo stehen. Im letzten Winter erreichte die Massenmigration aus dem Land ihren vorläufigen Höhepunkt. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) erläutern die Antriebskräfte der Kosovaren, ihr Land zu verlassen.
Grundlage der Analyse der Agrarökonomen sind Interviews mit Experten und Migranten, die von Februar bis Mai 2015 geführt wurden. Obwohl Migration im Kosovo eine lange Tradition hat, war es doch nie eine willkommene Perspektive für die Betroffenen. Vor allem aus ländlichen Regionen wurden Migranten regelrecht ausgesandt, wenn die Landwirtschaft und der eigene Hof den traditionellen Großfamilien nicht mehr die Lebensgrundlage sichern konnte. Dauerhafte Unterdrückung und schließlich der Kosovo-Krieg veranlassten in den 1980er und 1990er Jahren eine große Anzahl von Menschen zur Flucht. Nach Kriegsende im Jahr 1999 schien es, als sei die Zeit der Massenmigration vorbei. Viele Kosovaren kehrten voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihre Heimat zurück. Der große Enthusiasmus und die Hoffnungen der jungen kosovarischen Nation konnten jedoch nicht aufrechterhalten und erfolgreich in eine nachhaltige Entwicklung umgewandelt werden. Vielmehr hat sich eine hohe Frustration über die politische Kaste und die vorherrschende Vetternwirtschaft und Korruption angestaut, die selbst die Mittelschicht in die Emigration treibt. Hauptauslöser der Massenmigration ist aus Sicht der Wissenschaftler ein Staatsversagen. Daneben weisen sie darauf hin, dass die Massenmigration zusätzlich durch erleichterte Reisebedingungen und Gerüchte, z. B. über unkomplizierte Asylregelungen, angetrieben wurde, die einen regelrechten Schneeballeffekt auslösten.
Dr. Judith Möllers, Wissenschaftlerin am IAMO und eine Autorin der Studie, meint: „Änderungen in den Asyl- und Visaregelungen sind angeraten, erfordern aber eine kluge zeitliche Abfolge der Umsetzung. Temporäre, saisonale oder zirkuläre Arbeitsmigration könnte eine geeignete Möglichkeit sein, legale Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, ohne das Kosovo mit massiver Fachkräfteabwanderung zu belasten.“ Auch wenn es nicht erwiesen ist, dass temporäre bzw. zirkuläre Migration der Königsweg ist, scheint sich dieser Weg gerade für das Kosovo anzubieten. Arme Haushalte würden von den Rücküberweisungen der Migranten profitieren und der Arbeitsmarkt wäre entlastet, so dass grundlegende Reformen erleichtert wären. Im Kosovo selbst müssen als Antwort auf die Abwanderung endlich bestehende Strukturen aufgebrochen und die Korruption bekämpft werden, denn nur leistungsfähige Institutionen und funktionierende Sozialmodelle können dem Land helfen, den wirtschaftlichen Stillstand und die Perspektivlosigkeit zu überwinden. Für die Zielländer ist es wichtig zu verstehen, dass die große Mehrheit der Migranten aus dem Kosovo zwar zweifellos Zugang zu den wirtschaftlichen und sozialen Systemen der EU wünscht, aber nicht als Almosenempfänger, sondern über ehrliche Arbeit. Daher sind legale Reise- und Migrationsmöglichkeiten die bessere Lösung. Diese würden den Fluchtdruck nehmen und Asylanträge vermutlich schlagartig nicht mehr gestellt werden.