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Keine Einwanderung in die Sozialsysteme

Allgemein, Soziales

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat am 10.Oktober 2013 geurteilt, dass arbeitslose EU-Bürger, die schon lange in Deutschland leben, Anspruch auf Hartz IV haben. Dies trifft nach Angaben des Gerichts auf rund 130.000 Menschen zu. Bislang sind zur Arbeitssuche einwandernde EU-Bürger von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen. Vor allem Kommunen könnten durch diesen Richterspruch stark belastet werden.

Das Landessozialgericht in Essen sprach Anfang Oktober einer in Gelsenkirchen lebenden vierköpfigen Familie aus Rumänien einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu. Gegen das Urteil ist Revision zugelassen. Wahrscheinlich wird sich in ein paar Monaten das Bundessozialgericht mit der Frage beschäftigen.

ingbert-liebingEin Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der KOPO
von Ingbert Liebing MdB, Bundesvorsitzender
der KPV und kommunalpolitischer Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion

 

Das beklagte Jobcenter hatte 2010 den Antrag der Familie abgelehnt. Nach geltendem Recht haben EU-Bürger, die nach Deutschland einwandern, um eine Arbeit zu suchen, kein Recht auf Fürsorgeleistungen. Das Gericht entschied nun, dass dieses Ausschlusskriterium nicht auf die Familie zutreffe, weil sie zur Zeit der Antragstellung schon ein Jahr in Deutschland gewesen sei.

Die Tragweite des Urteils wird vor Ort in Nordrhein-Westfalen unterschiedlich bewertet: Bisher ist für den Bezug von Sozialleistungen die Anmeldung einer Selbstständigkeit entscheidend. Bereits ein paar simple Fragen nach einem Geschäftskonzept oder einer Finanzierung könnten hier helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Andere Länder wie Großbritannien beschreiten solche Wege.“

Bereits vor dem Essener Urteil stieg die Zahl der rumänischen und bulgarischen Kindergeld- und Hartz-IV-Empfänger zwischen April 2012 und April 2013 um jeweils rund 40 Prozent. Ab 2014 gilt für beide Staaten die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Nicht ganz zu unrecht fürchten deshalb kommunale Spitzenverbände und der Bundesinnenminister, dass dann deutlich mehr Menschen aus diesen Staaten nach Deutschland kommen und die Sozialkassen der Kommunen übermäßig belastet werden. Auch im Jahr zuvor stieg die Zahl der arbeitssuchenden Sozialhilfeempfänger aus diesen Ländern zwischen 2011 und 2012 in mehreren Städten erheblich – in Berlin um 38,8 Prozent, in München um knapp 60 Prozent.

EU-Studie geht an der Realität vorbei

Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet für das kommende Jahr mit einer Zuwanderung von weiteren 100.000 bis 180.000 Personen aus diesen beiden Ländern. Ein Grund dafür ist die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Januar. Viele Zuwanderer aus diesen Ländern sind hochwillkommen und helfen den Facharbeitermangel auszugleichen. Eine gezielte Zuwanderung  in unsere Sozialsysteme darf es jedoch nicht geben. Vor allem das Gerichtsurteil des Landessozialgerichtes in Essen kann für bestimmte Gruppen geradewegs als Ermunterung aufgefasst werden. Im Interesse unseres Landes müssen wir nun auf die Revision vor dem Bundessozialgericht hoffen.“

Auch der Versuch der EU-Kommission, mit einer vor ihr selbst in Auftrag gegebenen Studie den Eindruck zu erwecken, dass es innerhalb der EU keine Armutsmigration oder Einwanderung in die Sozialsysteme gebe, ist angesichts der dramatischen Lage einzelner Kommunen  nicht hilfreich. Sie geht an der Wirklichkeit vorbei.

Auch in der aktuellen Debatte mahnt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus Lösungen im Sinne der Kommunen an. „Die mit Armutseinwanderung aus Rumänien und Bulgarien verbundenen Probleme, die sich in einigen deutschen Großstädten zeigen, lassen sich nicht durch eine Studie der EU wegwischen oder leugnen. Die betroffenen Städte würden vor erheblichen Herausforderungen stehen, die diese nicht allein lösen könnten.“ Tatsache ist, dass wir keine zusätzlichen Anreize zur vorsätzlichen Zuwanderung brauchen nach dem Motto: erst arbeitssuchend, dann nicht vermittelbar und  ab in die Grundsicherung.

Aus kommunaler Sicht gibt es weitere Probleme bei der Zuwanderung. Neben der mangelnden Kompensation der finanziellen Aufwendungen bei der Unterbringung von Asylbewerbern durch die Länder besteht ein weiteres Problem darin, dass Asylanträge von Menschen aus den Balkanstaaten praktisch nie erfolgreich sind. Im Juni 2013 wurde lediglich einer von über 4.400 Asylanträgen von Serben positiv beschieden. Für die Kommunen ist klar, dass das Asylrecht häufig von Menschen in Anspruch genommen wird, die nicht politisch verfolgt sind, sondern sich in Deutschland bessere Lebensbedingungen als in ihren Heimatländern erwarten. Trotzdem sind die Kommunen verpflichtet, diese Personen unterzubringen.

Gutscheine statt Geld

Außerdem ist es den Kommunen wichtig, dass Deutschland am Vorrang der Gewährung von Sachleistungen bzw. Wertgutscheinen vor Geldleistungen festhält. Bei reinen Geldzahlungen besteht immer die Gefahr, dass derartige Leistungen als zusätzlicher Anreiz verstanden werden, auch ohne rechtliche Grundlage nach Deutschland einzureisen. Diese Art der Migration schadet der Freizügigkeit in der EU insgesamt und gefährdet deren Akzeptanz.

Wir brauchen in der Europäischen Union insbesondere für die betroffenen Menschen in Rumänien und Bulgarien und auf dem weiteren Balkan bessere Lebensbedingungen. Vor Ort müssen die vorhandenen EU-Hilfen ankommen und die Programme umgesetzt werden. Viele EU-Hilfen für die Integration und die Verbesserung der Lebensverhältnisse vor Ort in den betroffenen Ländern werden oft nicht abgerufen. Es stehen jedes Jahr insgesamt rund 50 Millionen Euro an EU-Sozialprogrammen zur Verfügung, die nicht genutzt werden. Das zu organisieren und zu unterstützen, ist eine gute Aufgabe für die Europäische Kommission.“

 

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