Eine Schulnetzplanung auf Kreisebene, die die Schließung von Grund- oder Hauptschulen ohne wirksames Mitentscheidungsrecht kreisangehöriger Gemeinden ermöglicht, verstößt gegen die Garantie kommunaler Selbstverwaltung.
Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden und eine Vorschrift des sächsischen Schulgesetzes teilweise für verfassungswidrig erklärt. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht umfasst die Schulträgerschaft für die – der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht dienenden – Grund- und Hauptschulen. Eine „Hochzonung“ der Schulnetzplanung auf die Kreisebene ist mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls nur dann vereinbar, wenn den kreisangehörigen Gemeinden ein wirksames Mitentscheidungsrecht eingeräumt wird.
§ 23a des sächsischen Schulgesetzes (SchulG) weist den kreisfreien Städten und den Landkreisen für ihr Gebiet die Aufgabe einer Schulnetzplanung zu. Die Schulnetzpläne werden „im Benehmen“ mit den kreisangehörigen Gemeinden aufgestellt; sie weisen Schulstandorte sowie den mittel- und langfristigen Schulbedarf aus. Klägerin des Ausgangsverfahrens ist die kreisangehörige Stadt S. Sie wendet sich gegen einen Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 20. Dezember 2010, mit dem der für die Jahre 2010 bis 2015 fortgeschriebene Schulnetzplan genehmigt wurde. In diesem ist die Schließung der von der Stadt S. getragenen Mittelschule vorgesehen. Die Stadt S. sieht sich durch die Hochzonung der Schulnetzplanung auf die Kreisebene in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt. Das Verwaltungsgericht Dresden hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Wesentliche Erwägungen des Senats
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich und vermittelt hierin die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst dies solche Aufgaben, die das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen oder einen spezifischen Bezug darauf haben. Daraus erwächst kein ein für alle Mal feststehender Aufgabenkreis, weil sich die örtlichen Bezüge einer Angelegenheit mit ihren sozialen, wirtschaftlichen oder technischen Rahmenbedingungen wandeln
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert die kommunale Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze”. Bei der somit gebotenen gesetzlichen Ausgestaltung steht dem Gesetzgeber jedoch keine unbegrenzte Gestaltungsfreiheit zu.
Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ist Ausdruck der grundgesetzlichen Entscheidung für eine dezentral organisierte und bürgerschaftlich getragene Verwaltung. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG fordert für die örtliche Ebene insofern eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, die den Bürgern eine effektive Mitwirkung an den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ermöglicht. Dies bezieht sich nicht auf die individuelle Gemeinde, sondern ist abstrakt-generell zu verstehen. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Verwaltungskraft einer Gemeinde für die Bewältigung der Aufgabe tatsächlich ausreicht; entscheidend ist eine typisierende Betrachtung. Auch die Finanzkraft einzelner Gemeinden hat auf die Bestimmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft grundsätzlich keinen Einfluss. Vielmehr muss der Staat den Gemeinden gegebenenfalls die Mittel zur Verfügung stellen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.
Gesetzliche Regelungen, die den Gemeinden Aufgaben entziehen, sind auf ihre Vereinbarkeit mit dem grundsätzlichen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Kommunen zu prüfen, wenn sie Bezüge zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft aufweisen. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist dabei umso enger und die verfassungsgerichtliche Kontrolle umso intensiver, je mehr die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden als Folge der gesetzlichen Regelung an Substanz verliert. Die widerstreitenden Belange der Verwaltungseffizienz und Bürgernähe hat der Gesetzgeber in einen vertretbaren Ausgleich zu bringen. Trotz örtlicher Bezüge ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Aufgabe, die einzelne größere Gemeinden in einem Landkreis auf örtlicher Ebene zu erfüllen vermögen, für andere Teile des Landkreises nur überörtlich erfüllbar ist.
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG konstituiert ein Regel-Ausnahmeverhältnis, wonach der Gesetzgeber den Gemeinden örtliche Aufgaben nur aus Gründen des Gemeinwohls entziehen darf, vor allem, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration scheidet als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt wird. Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung rechtfertigen eine „Hochzonung“ erst, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde
Werden Aufgaben mit relevanter kommunaler Bedeutung auf eine andere staatliche Ebene verlagert, kann sich aus dem – auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG übertragbaren – Gedanken des Rechtsgüterschutzes durch Verfahren ein Mitwirkungsrecht der betroffenen Kommunen ergeben. Die Beteiligung ist umso wirksamer auszugestalten, je gewichtiger das berührte Gemeindeinteresse ist.
Nach diesen Maßstäben ist § 23a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SchulG verfassungswidrig, da er das Selbstverwaltungsrecht der kreisangehörigen Gemeinden nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Trägerschaft der Gemeinden für die Schulen, die ausschließlich der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht dienen (Grund- und Hauptschulen), entspricht der überkommenen Zuständigkeitsverteilung im Schulwesen und wird von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt.
Es handelt sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, weil die grundsätzlich für alle Kinder vorgeschriebene Schulpflicht jedenfalls den Besuch der Grund- und Hauptschule verlangt. Die Schulträgerschaft der Gemeinden erstreckt sich auf die äußeren Schulangelegenheiten. Im Gegensatz zu den dem Staat zugewiesenen inneren Schulangelegenheiten, die sämtliche Bildungs- und Erziehungsfragen betreffen, rechnen hierzu die räumlich-sächlichen Voraussetzungen der Beschulung einschließlich Errichtung, Änderung und Aufhebung von Schulen, deren Verwaltung sowie die Beschaffung und Bereitstellung der Lernmittel
Der in Art. 7 Abs. 5 GG verwendete, heute kaum noch gebräuchliche Begriff „Volksschule“ umfasst sowohl die Grundschule als auch die Hauptschule. Schulorganisatorische Entscheidungen wie die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen zu Mittel-, Regel- oder Gesamtschulen lösen die Hauptschule aus der „Volksschule“ in diesem Sinne nicht heraus. Zwar überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber weitgehend die Entscheidung darüber, welche Schulformen er einführen will. Die in Art. 7 Abs. 5 GG enthaltene Wertentscheidung hat er jedoch ebenso zu beachten wie die verfassungsrechtliche Rolle der Gemeinden bei der Schulträgerschaft
Der Zuordnung der Schulträgerschaft für Grund- und Hauptschulen zu den Gemeinden steht nicht entgegen, dass manche nicht mehr über ein ausreichendes Schüleraufkommen für eine eigene Grund- oder Hauptschule verfügen. Genügen Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft einer Gemeinde nicht, gewährleistet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch das Recht, diese Aufgabe in kommunaler Zusammenarbeit zu erfüllen, bevor sie der Staat an sich zieht.
Die Zuweisung der Schulnetzplanung an die Kreisebene durch § 23a Abs. 1 Satz 1 SchulG greift in die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Befugnis der Gemeinden ein, die Schulträgerschaft der Grund- und Hauptschulen in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Nach § 23a Abs. 5 SchulG können Statusentscheidungen über Schulen – wie die Aufhebung oder der Entzug der staatlichen Mitwirkung – nur auf der Grundlage eines staatlich genehmigten Schulnetzplans erfolgen. Dem Schulträger verbleibt lediglich die Möglichkeit, seine Vorstellungen in dem von anderer Stelle durchzuführenden Planungsverfahren geltend zu machen.
Hinreichende Gründe für die Hochzonung der Schulnetzplanung auf die Kreisebene folgen weder aus der staatlichen Schulaufsicht noch lassen sie sich der Gesetzesbegründung entnehmen.
Die staatliche Schulhoheit nach Art. 7 Abs. 1 GG ist nicht als Gegensatz zwischen Staat und Gemeinden zu verstehen, sondern in Abgrenzung zur ursprünglich kirchlichen Vormachtstellung im Schulwesen. Länder und Gemeinden üben – jedenfalls bei den äußeren Schulangelegenheiten – die Schulaufsicht gemeinsam aus und sind dabei zum Zusammenwirken verpflichtet. Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 7 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist dahin aufzulösen, dass den Gemeinden die Wahrnehmung der äußeren Schulangelegenheiten zusteht, soweit diese mit den vom Staat allgemein festgelegten Zielen für die Ausgestaltung des Schulwesens vereinbar ist. Gesetzliche Anforderungen, etwa Vorgaben von Mindestzahlen, kann der Staat festsetzen und im Wege der Rechtsaufsicht ebenso durchsetzen wie die ordnungsgemäße Erledigung der mit der Schulträgerschaft verbundenen Aufgaben. Erfüllt eine Gemeinde jedoch die allgemeinen schulrechtlichen Vorgaben für den Betrieb einer Grund- oder Hauptschule, garantiert ihr Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG bei der Schulnetzplanung jedenfalls ein wirksames Mitentscheidungsrecht.
Andere Gründe, die eine Hochzonung der Schulnetzplanung für Grund- oder Hauptschulen rechtfertigen könnten, sind derzeit nicht ersichtlich. Der in der Gesetzesbegründung angeführte Befund, dass die Gemeinden überwiegend davon abgesehen hätten, Schulnetzpläne aufzustellen, belegt nur, dass sie diese Aufgabe nicht wahrgenommen haben, lässt aber nicht den Schluss zu, dass sie dazu nicht in der Lage wären. Insofern handelt es sich bei der behaupteten Überforderung der Gemeinden allenfalls um eine Effizienzüberlegung, die es für sich genommen jedenfalls nicht rechtfertigt, die Schulnetzplanung allen kreisangehörigen Gemeinden unterschiedslos zu entziehen. Ebenso wenig dienen unterbliebene Entscheidungen der Gemeinden über Schulschließungen als Beleg für die Erforderlichkeit der Hochzonung, solange dem Freistaat Sachsen mit der Aufsicht ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Beachtung der gesetzlichen Anforderungen zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen und gesetzeskonformen Schulbetriebs sicherzustellen
Eine Schulnetzplanung auf Kreisebene für die Grund- und Mittelschulen ist mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nach alledem nur vereinbar, wenn sie den kreisangehörigen Gemeinden ein wirksames Mitentscheidungsrecht einräumt. Das in § 23a Abs. 3 Satz 1 SchulG vorgesehene Benehmenserfordernis reicht insoweit nicht aus, da es keine materielle Rechtsposition des beteiligten Trägers öffentlicher Belange begründet. Das Benehmen soll im Regelfall ausschließlich die Entscheidungsgrundlage verbessern, erfordert allerdings keine Einigung der beteiligten Verwaltungsträger. Im Falle der kommunalen Schulträgerschaft geht es hingegen nicht nur um öffentliche Belange, sondern auch um das subjektive Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Daher sind den Gemeinden für die Beteiligung an einer Schulnetzplanung auf Kreisebene zumindest Mitentscheidungsbefugnisse einzuräumen, wie sie etwa für das Einvernehmen kennzeichnend sind. Das schließt nicht aus, dass ihre Mitwirkung rechtlich gebunden wird oder dass sie bei einer rechtswidrigen Verweigerung auch durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden kann.