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Sozialausgaben erdrücken die Länder

Finanzen, Soziales

Wollen die Länder Schuldenbremse und Fiskalpakt einhalten, wird es eng für die Kommunalfinanzen. Hauptproblem sind die rasant ansteigenden Ausgaben für die Sozialleistungen. Der Bayerische Landkreistag stellt deshalb fünf Forderungen an den Bund, denn nur der ist in der Lage, durch entsprechende Gesetzesänderungen die Kommunen fit für den Fiskalvertrag zu machen.

KreidlEin Beitrag von Dr. Jakob Kreidl, Landrat und Präsident des Bayerischen Landkreistages

Der Entwicklung der kommunalen Finanzen kommt bei der Einhaltung der Schuldenbremse wie des Fiskalvertrags eine wichtige Rolle zu. Hauptproblem der Kommunen in Deutschland ist die rasante Entwicklung der Sozialleistungen. In Bayern sind diese von 3,6 Milliarden Euro in 2000 auf nunmehr 5,8 Milliarden Euro in 2011 angewachsen. Das ist ein Anstieg um 2,2 Milliarden Euro oder 61 Prozent! Bundesweit ergeben sich für die Kommunen 2011 im sozialen Bereich folgende Ausgabeblöcke:

  • Ausgaben für die Grundsicherung für Erwerbsfähige (SGB II): 15,0 Milliarden Euro
  • Ausgaben für Eingliederungshilfe für behinderte Menschen: 12,5 Milliarden Euro
  • Nettoausgaben für die Hilfe zur Pflege: 3,0 Milliarden Euro
  • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung: 4,3 Milliarden Euro
  • Bruttoausgaben Hilfe zum Lebensunterhalt: 1,2 Milliarden Euro
  • Jugendhilfeausgaben: 7,5 Milliarden Euro

 

Die Rechtsbestimmungen des sozialen Leistungsrechts nehmen gegenwärtig auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der zur Ausführung verpflichteten Träger zu wenig Rücksicht. Der ständige Anstieg der Bezirks- und Kreisumlagesätze zur Finanzierung der Sozialausgaben führt sowohl bei den Gemeinden, kreisfreien Städten, Landkreisen und Bezirken zu enormen Investitionskürzungen. Die Folgen davon sind nicht nur an den Unterhaltungsrückständen bei Schulen, Einrichtungen und Straßen sowie an nicht realisierten Infrastrukturmaßnahmen abzulesen, sondern sind auch eine Bürde für Handwerk, Mittelstand und Industrie, denen notwendige öffentliche Aufträge zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum fehlen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Forderungen an die Bundespolitik, um nachhaltig ausgeglichene kommunale Haushalte zu erreichen:

Wir brauchen ein Bundesteilhabegesetz

Ende 2011 lebten in Bayern mehr als eine Million Menschen mit einer schweren Behinderung, also mit einem amtlich festgestellten Grad der Behinderung von wenigstens 50 Prozent. Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe sind in Bayern zwischen 2000 und 2011 von 1.263 Millionen Euro auf 2.155 Millionen Euro um 892 Millionen Euro (+ 70 Prozent) angestiegen. Der Anstieg dieser mit dem Bundessozialhilfegesetz 1961 eingeführten Leistungen beruht auch darauf, dass das Leistungsrecht der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung das Nachrangprinzip der Sozialhilfe weitestgehend nicht mehr anerkennt. Der Bund muss sich deshalb seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung durch die Erarbeitung und In-Kraft-Setzung eines neuen Bundesleistungsgesetzes in der nächsten Legislaturperiode stellen, das die rechtlichen Vorschriften der Eingliederungshilfe in der bisherigen Form ablöst und die Kommunen entscheidend entlastet. Auf die Vereinbarungen von Bund und Ländern im Zusammenhang mit der innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags wird verwiesen.

Mehr Gerechtigkeit bei der Grundsicherung für Erwerbsfähige

Bei der Grundsicherung für Erwerbsfähige mindert gemäß § 19 Satz 2 SGB II das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen zuerst die Geldleistungen der Agentur für Arbeit und erst dann die Geldleistungen der kommunalen Träger. Diese Regelung hat zur Folge, dass eigenes Einkommen und Vermögen des betroffenen Personenkreises grundsätzlich in allen Fällen zunächst die Agentur für Arbeit entlastet. Eigenes Einkommen, beispielsweise durch geringfügige Beschäftigung, drückt den Aufwand der Agentur gegen Null, die Kommunen müssen jedoch in vollem Umfang die Leistungen für die Unterkunft und Heizung erbringen. Die klare Forderung lautet: Eigenes Einkommen und Vermögen müssen anteilig auf die Geldleistungen der Agentur für Arbeit wie auf die der kommunalen Träger angerechnet werden. Der Bundesgesetzgeber ist aufgefordert, unverzüglich zur Entlastung der Kommunen zu handeln.

Neue Versicherungspflicht für Sozialhilfeempfänger Einführen

Mit der Abschaffung der klassischen Krankenhilfe in der Sozialhilfe wurde die Mitversicherung von Sozialhilfeempfängern in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Die Leistungsabrechnung über die Krankenversicherung und die nachlaufende Kostenerstattung durch die Sozialhilfeträger ist verwaltungsaufwändig und streitbehaftet. Seit Jahren fordern die kommunalen Spitzenverbände eine Streichung dieser Regelung (§ 264 SGB V) und eine echte Mitversicherung der Sozialhilfeempfänger in der Krankenversicherung. Die gegenwärtige Finanzsituation der Sozialversicherung erlaubt diesen überfälligen Schritt!

Ambulante Hilfen bei der Jugendhilfe neu regeln

Insbesondere die Jugendhilfeausgaben steigen in enormem Tempo gerade bei den Landkreisen. Lagen die Jugendhilfeausgaben der Landkreise in Bayern 1990 noch bei 108,1 Millionen Euro, so sind sie in 2011 auf 707,4 Millionen Euro angestiegen. Bei der Jugendhilfe muss der Bund endlich auch für ambulante Leistungen Kostenbeiträge der Eltern vorsehen (Änderung § 91 SGB VIII). Es ist nicht darstellbar, wenn selbst Spitzenverdiener für ihre Kinder Jugendhilfeleistungen beantragen, von einem Kostenbeitrag aber verschont bleiben. In diesem Zusammenhang sollte auch darüber nachgedacht werden, die Erziehungsberechtigten insgesamt stärker an den Kosten der Jugendhilfe zu beteiligen, indem der Freibetrag nach § 93 Abs. 3 SGB VIII von 25 Prozent beispielsweise auf 15 Prozent abgesenkt wird. Die Sozial- und Jugendhilfe ist auf Grund des Subsidiaritätsgedankens und der Trägerpluralität vom so genannten Wunsch- und Wahlrecht geprägt. Den Wünschen der Leistungsberechtigten bei der Wahl der Hilfegewährung des Anbieters soll dann entsprochen werden, wenn keine unverhältnismäßigen Mehrkosten entstehen. Nach der Rechtsprechung werden derzeit in manchen Fällen selbst 100 Prozent Mehrkosten als nicht unverhältnismäßig angesehen. Daher muss eine restriktivere Formulierung gefunden oder das Wort „unverhältnismäßig“ gestrichen werden (Änderung § 5 SGB VIII durch den Bund). Die Entwicklung der Jugendhilfeausgaben erfordert, dass die politische Diskussion über die Weiterverfolgung der von den kommunalen Spitzenverbänden in die Gemeindefinanzkommission eingebrachten Vorschläge zur Überprüfung von Standards neu entfacht wird (vgl. Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppe  „Standards“ vom 30. Juni 2011 der Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung).

Umsatzsteuerfreiheit für interkommunale Kooperationen

Die Kommunen haben den Bund mehrfach gebeten, sicherzustellen, dass die gerade im ländlichen Raum immer wichtiger werdende Zusammenarbeit von Kommunen nicht erschwert wird. Vor dem konkreten Hintergrund einer drohenden Umsatzsteuerpflichtigkeit derartiger öffentlicher Kooperationen fordern die Kommunen eine zügige gesetzliche Klarstellung auf Bundesebene. Interkommunale Zusammenarbeit ist ein zentraler Baustein bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen und darf nicht durch umsatzsteuerrechtliche Vorschriften behindert werden. Die Kommunen erwarten vom Bund und den Ländern eine gesetzliche Klarstellung, die Beistandsleistungen in einem möglichst großen Umfang nicht der Umsatzsteuer unterwirft.

Fazit

Der Bund muss nun rasch ein neues Bundesleistungsgesetz vorlegen, das die Kommunen entscheidend entlastet, da das Leistungsrecht der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung das Nachrangprinzip der Sozialhilfe nicht mehr anerkennt. Bei der Grundsicherung für Erwerbsfähige muss der Bund endlich eigenes Einkommen und Vermögen des betroffenen Personenkreises anteilig auf die Geldleistungen der Agentur für Arbeit sowie der kommunalen Träger anrechnen. Eine echte Mitversicherung der Sozialhilfeempfänger in der Kranken- und Pflegeversicherung durch den Bund und die stärkere Heranziehung höherer Einkommen sowie die Neuregelung des Wunsch- und Wahlrechts bei der Jugendhilfe ist überfällig. Im Bereich des Steuerrechts muss der Bund die Umsatzsteuerfreiheit interkommunaler Kooperationen durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen sicherstellen. Nur der Bund ist in der Lage, durch die genannten Gesetzesänderungen die Kommunen fit für den Fiskalvertrag zu machen.

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