Kopo

Demokratien sind zerbrechlich

Interview

Christof Sommer war 20 Jahre Bürgermeister, bevor er zu Beginn dieses Jahres zum Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW berufen wurde. Die KOPO sprach mit ihm über seine politische Agenda.

Seit Jahresbeginn sind Sie neuer Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW und Nachfolger von Dr. Bernd Jürgen Schneider. Bis Ende Oktober des letzten Jahres waren Sie über 20 Jahre als Bürgermeister in Bestwig und Lippstadt tätig. Sehr erfolgreich, wie man in beiden Kommunen bestätigt. Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Christof Sommer | Bild: © StGB NRW/Anna Kaduk

Christof Sommer: Das gute Echo aus Bestwig und Lippstadt freut mich natürlich, danke fürs Nachfragen. Vielleicht zeigt sich daran, dass ich mit Leib und Seele Kommunaler bin. Die Vielfalt der Aufgaben hat mich von Anfang an fasziniert. Angefangen hat das beim Kreis Steinfurt, wo ich eher zufällig als Referent beim Oberkreisdirektor gelandet bin. Das war zu 100 Prozent kommunal und hoch politisch.

Sie haben freiwillig auf eine weitere Kandidatur in Lippstadt verzichtet. Angst zu verlieren? Oder hatten Sie einfach keine Lust mehr auf das schönste politische Amt der Welt nach dem Papst, um Franz Müntefering zu zitieren?

Christof Sommer: Da bin ich ausnahmsweise ganz bei Franz Müntefering. Aber auch das schönste Amt der Welt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die kommunalen Leistungen nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Wenn man daran etwas verändern will, muss man auf Landesebene tätig werden. Als sich die Chance auf eine Rolle beim Städte- und Gemeindebund NRW auftrat, habe ich nicht lange überlegt.

Hauptgeschäftsführer eines Kommunalen Spitzenverbandes zu sein, unterscheidet sich ganz erheblich von der Aufgabe eines Bürgermeisters. Was reizt Sie an der neuen Aufgabe besonders? Und was vermissen Sie aus der Zeit als Bürgermeister schon jetzt?

Christof Sommer: Ach, so groß sind die Unterschiede gar nicht. Auch als Hauptgeschäftsführer ist man rund um die Uhr im Einsatz. Wenn wir Corona besser im Griff haben und wieder mehr persönliche Begegnung möglich ist, werde ich allerdings häufiger unterwegs sein. Wir müssen ja als Verband den Kontakt zur Basis pflegen. Nur durch die enge Rückkopplung mit Städten und Gemeinden können wir in Düsseldorf kompetent vermitteln, wo der Schuh drückt.

Die ersten Wochen im neuen Amt waren sicher bestimmt durch die vielfältigen Fragen, die die Corona-Pandemie nach wie vor mit sich bringt. Welche langfristigen Auswirkungen der Pandemie sehen Sie?

Christof Sommer: Ein großes Thema, dazu könnte ich lange referieren. Aus kommunaler Sicht sehe ich vor allem drei Effekte, die uns jahrzehntelang beschäftigen werden: die erheblich beschleunigte Digitalisierung im Handel, in den Schulen und Rathäusern und die damit verbundenen Ansprüche. Massiv verändern werden sich dadurch die Innenstädte, die wir neu denken und gestalten müssen. Es wird weniger stationären Einzelhandel geben, das wollen die Städte und Gemeinden auffangen mit einem individuellen Angebotsmix aus Kultur, Gastronomie, Aufenthaltsqualität. Eine Großbaustelle sind außerdem die Kommunalfinanzen. Die Pandemie wird tiefe Schleifspuren hinterlassen. Erstes Ziel muss es sein, die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden zu erhalten, gerade mit Blick auf die großen Zukunftsaufgaben Klimaanpassung und Verkehrswende.

Gab es neben den Covid-19-Herausforderungen weitere Themen, die Sie nach Amtsantritt unmittelbar gefordert haben?

Christof Sommer: Beim Verband ergeht es uns ähnlich wie den Kommunen. Nach der NRW-Kommunalwahl im September 2020 müssen auch wir unsere Gremien neu besetzen. Die Pandemie erschwert das erheblich. Zudem leidet der inhaltliche Austausch. Videokonferenzen können das nur zum Teil auffangen, das werden alle Bürgermeister bestätigen können. Davon abgesehen gab es in der Verbandsarbeit in meinen ersten Wochen viel Bewegung durch den Innenstadtgipfel.

Ihre 100-Tage-Bilanz steht ja noch aus. Und ein Urteil fällen da ja bekanntlich andere. Dennoch, wie zufrieden sind Sie mit den ersten Wochen?

Christof Sommer: Lassen wir die ganzen Erschwernisse durch die Corona Pandemie mal außen vor: ich bin in Düsseldorf sehr gut aufgenommen worden und habe in der Geschäftsstelle ein exzellentes Team an meiner Seite. Die Zusammenarbeit macht mir viel Freude. Auch der große Zusammenhalt unter Städten und Gemeinden stimmt mich zuversichtlich. Darauf wird es in Zukunft mehr denn je ankommen, das Aufgabenspektrum in der Kommunen wächst rasant.

Wo sehen Sie in der Verbandsarbeit weitere aktuelle Schwerpunkte für die kommenden Monate?

Christof Sommer: Vor allem der geplante Rechtsanspruch auf Ganztag in den Grundschulen ab 2025 treibt mich um. Was die Bundesregierung da plant, ist fern von jeder Realität. Alle mir bekannten Studien zeigen, dass ein solcher Ausbau bei Betriebskosten von einer Milliarde Euro jährlich allein in NRW für die Kommunen unbezahlbar wäre. Hinzu kommt, dass es nicht ansatzweise genügend Personal auf dem Markt gibt und oftmals keine Flächen, um Schulen auszubauen. Das ist Wünsch–dir– was–Politik von einem anderen Stern.

Muss man in der Verbandsarbeit ein „harter Hund“ sein oder schadet das der Sache eher?

Christof Sommer: Ich erinnere mich gut an eine Sitzung unseres Präsidiums, in der Minister Dr. Stamp meinen Vorgänger Dr. Schneider als harten Hund bezeichnet hat und das durchaus anerkennend. Mit Härte allein ist jedoch in der Landespolitik kein Blumentopf zu gewinnen. Wie auf allen politischen Ebenen zählt auch im Land, ob ich mich auf jemanden verlassen kann. Man sieht sich immer zweimal im Leben. Seriosität, hart in der Sache, Verlässlichkeit – damit hat sich der StGB NRW seinen guten Ruf erworben.

Sie haben vor Ihrer Zeit als Hauptverwaltungsbeamter bei der KPV/NRW und dem KPV-Bildungswerk gearbeitet. Das kommunalpolitische Ehrenamt und seine Probleme sind Ihnen auch aus dieser Zeit vertraut. Hat das Verständnis für das Ehrenamt Auswirkungen auf Ihre neue Aufgabe und die Ausrichtung des Städte und Gemeindebundes NRW?

Christof Sommer: Die Nähe zum kommunalpolitischen Ehrenamt ist seit jeher ein Schlüssel für die gute Arbeit beim Städte- und Gemeindebund NRW. Aktuell kommt dies zum Beispiel bei der Novellierung der Entschädigungsverordnung zum Ausdruck. Wichtig ist mir der direkte Austausch. Den Kontakt zur Basis werden wir auch weiterhin gezielt suchen, etwa mit Veranstaltungen in den Regionen oder indem wir verstärkt digitale Instrumente nutzen. Sie eignen sich ideal, um ohne großen organisatorischen Vorlauf ein Stimmungsbild im Land einzusammeln, wir haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht.

Neue Entwicklungen beobachten wir leider in der politischen Kultur. Das Klima wird rauer – vor allem in den sozialen Medien! Müssen wir uns Sorgen um die Demokratie machen?

Christof Sommer: Ich fürchte ja, die Gesellschaft hat sich in den vergangenen fünf Jahren in einem Maße polarisiert, wie ich es vorher nicht für möglich gehalten hätte. Der Blick auf die USA zeigt, wie zerbrechlich Demokratie sein kann. Für uns ist das Ansporn, umso mehr dafür zu kämpfen. Die Städte und Gemeinden nehmen für den Zusammenhalt der Gesellschaft eine Vorbildrolle ein. Hier wird im unmittelbaren Kontakt mit den Menschen diskutiert, gestritten und umgesetzt. Entsprechend sind wir als Kommune gefordert, zu erklären, zu übersetzen und wenn nötig, auch dagegenzuhalten.

Sie haben drei Wünsche für Ihre Amtszeit frei. Welche wären das?

Drei Wünsche bei der guten Fee? Machen wir es kurz: Mehr Respekt und Anerkennung für kommunalpolitische Mandatsträger, eine faire finanzielle Ausstattung der Kommunen, damit sie die herausfordernden Zukunftsaufgaben bewältigen können und drittens eine etwas größere und dennoch bezahlbare Wohnung in Düsseldorf.

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