Die Innenstädte und Zentren sind die Visitenkarten unserer Städte und Gemeinden. An kaum einem anderen Ort in einer Gemeinde oder Stadt findet gleichzeitig so viel Leben statt: Handel, Kultur, Wohnen, Arbeitsort, Kommunikation, Treffpunkt und vieles mehr. Das soll so bleiben – und dafür müssen wir die Weichen stellen.
Nicht erst das Pandemie-Jahr 2020 hat gezeigt, dass wir kreative Ideen und günstige Rahmenbedingungen brauchen, damit sich die Innenstädte und Zentren als attraktive Mittelpunkte der Kommunen weiterentwickeln. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat bereits im Sommer 2020 mit einem „Sofortprogramm Innenstadt 2020“ agiert und 70 Millionen Euro bereitgestellt, um Städte und Gemeinden zu unterstützen. Noch in 2020 konnten 40 Millionen Euro bewilligt werden. Für die zweite Förderphase hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen die Antragstellungen bis zum 30. April 2021 verlängert.
Zeitgleich hat das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung die 396 Städte und Gemeinden in Nordrhein- Westfalen befragt: Wir wollten wissen, welche Erwartungen die Kommunen für ihre Innenstädte und Zentren haben und welche Instrumente sie für geeignet halten, um die Entwicklung in die gewünschte Richtung zu lenken. Die hohe Rücklaufquote von rund 68 Prozent zeigt, dass die Zukunft der Zentren in den Kommunen einen hohen Stellenwert hat – und dass sie entschlossen sind, diese Zukunft aktiv zu gestalten.
Sauberkeit und Sicherheit werden wichtiger als die Erreichbarkeit mit dem Auto
Wer sich auf den Weg macht, muss ein Ziel vor Augen haben. Deshalb war unsere zentrale Frage, was in zehn Jahren die Attraktivität der Innenstädte und Zentren ausmachen wird. Spitzenreiter aus den Antworten der Kommunen ist der Faktor „Sauberkeit und Sicherheit“. Es folgen „Erreichbarkeit mit Mitteln der Nahmobilität“, also zu Fuß oder per Fahrrad, „Öffentlicher Raum“ und „digitale Angebote“. Diese Einschätzungen über die wichtigsten Zukunftsfaktoren beinhalten durchaus gravierende Veränderungen gegenüber den Gegenwartsfaktoren. So wird es heute noch als wichtigstes Argument betrachtet, dass die Innenstadt mit dem privaten Kraftfahrzeug erreichbar ist: 95 Prozent der Städte und Gemeinden weisen der Erreichbarkeit mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) innerhalb der Kommune eine hohe beziehungsweise sehr hohe Bedeutung zu. In Zukunft, so die Erwartung, wird es wesentlich wichtiger, dass das Zentrum zu Fuß oder mit dem Rad (90 Prozent) und mit öffentlichen Verkehrsmitteln (76 Prozent) optimal erreichbar ist. 72 Prozent der Kommunen sind der Meinung, dass die Bedeutung des MIV auch in zehn Jahren noch hoch oder sehr hoch sein wird.
Mehr als Einkaufen
Zugleich nimmt die Bedeutung von Gastronomie, Freizeit / Kultur / Tourismus, medizinischen Angeboten und Dienstleistungen gegenüber der Handelsfunktion zu. Während gegenwärtig noch 81 Prozent der Kommunen dem Einzelhandel eine hohe bis sehr hohe Bedeutung zurechnen, sehen das für die Zukunft immerhin noch 76 Prozent der Städte und Gemeinden so. Doch gleichzeitig steigen laut Umfrage die Bedeutung von Gastronomie (86 Prozent), medizinischen Angeboten und Dienstleistungen (jeweils 82 Prozent) und Freizeit /Kultur / Tourismus (79 Prozent). Damit werden alle diese innerstädtischen Funktionen gegenüber dem Einzelhandel an Bedeutung gewinnen. Auch Fragen der natürlichen Stadtgestaltung und von Parks rücken erfreulicherweise mehr in den Fokus des Handelns.
Vielfalt macht Innenstädte attraktiv
Das zeigt: Innenstädte und Zentren in Nordrhein-Westfalen stehen vor der Aufgabe sich wesentlich vielfältiger aufzustellen, um attraktiv und stabil zu bleiben. Die Marktplätze des 21. Jahrhundert werden mehr als Einzelhandel sein. Sie werden auch zu Zentren der Begegnung, der Gastronomie und der Naherholung. Seit die Befragung im Juli und August 2020 durchgeführt wurde, ist die Herausforderung für Einzelhandel und Gastronomie noch einmal größer geworden. Während der pandemie-bedingten Schließungen ab November und Dezember zahlte es sich spürbar aus, wenn Restaurants und Geschäfte die Zeit genutzt und ihre digitalen Angebote ausgebaut hatten.
Die „Top fünf“ der Zukunftsfaktoren
- 95 Prozent der teilnehmenden Städte und Gemeinden messen der Sauberkeit und Sicherheit in Zukunft eine sehr hohe beziehungsweise hohe Bedeutung zu – eine Steigerung um 7 Prozent im Vergleich zu heute.
- In zehn Jahren wird die Bedeutung des öffentlichen Raums laut 92 Prozent der Kommunen sehr hoch oder hoch sein. 71 Prozent sehen das für die Gegenwart schon so.
- Die Erreichbarkeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad wird nach Ansicht von 90 Prozent der Kommunen in Zukunft eine sehr hohe oder hohe Bedeutung haben. Heute halten nur 54 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen den Faktor Nahmobilität für derart bedeutsam.
- Die Rolle der digitalen Angebote wie freies WLAN nimmt ebenfalls deutlich zu: Für 89 Prozent der Kommunen werden diese Angebote in zehn Jahren eine sehr hohe oder hohe Bedeutung haben – heute nur für 40 Prozent.
- Auch die Bedeutung der Stadtgestaltung wird stark zunehmen: Für die Zukunft halten sie 87 Prozent für sehr hoch beziehungsweise hoch und heute erst 54 Prozent.
Viel getan, vieles bleibt zu tun
Die Innenstädte standen bereits vor der Pandemie im Fokus der Stadtentwicklung. Mit der Landesinitiative Zukunft.Innenstadt.Nordrhein-Westfalen. haben wir schon im Jahr 2018 den Schulterschluss der Akteure aus Handel und Gewerbe, Wohnungswirtschaft, Kommunen und Land organisiert. Nun kommt es darauf an, gemeinsam die richtigen Konzepte für die Innenstädte und Zentren zu entwickeln und umzusetzen. Der Innenstadtgipfel auf Einladung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung Ende Januar 2021 ist ein weiterer Baustein. Aus den Ergebnissen werden wir gemeinsam mit den Kommunen passgenau weitere Unterstützungsangebote entwickeln.
Zukunft Stadtraum: Mut in der Stadtplanung
Gemeinsam wollen wir erreichen, dass Stadträume lebenswert bleiben und dass sie mit hoher Aufenthaltsqualität für unterschiedliche Nutzungen geeignet sind. Dabei stellt sich eine ganze Reihe von Fragen: Wie werden klimaangepasste Begrünung, Versickerung und Wasserspeicherung im Straßenraum konzipiert? Wie erreichen wir die Gleichberechtigung aller Nutzer? Wie gelingt es uns, die Straßen in den Städten und Gemeinden sicherer, natürlicher und attraktiver zu gestalten?
„Zukunft Stadtraum“
Um auf diese Fragen kreative und zielführende Antworten zu finden, haben wir Ende letzten Jahres gemeinsam mit dem Städtetag und dem Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen den Landeswettbewerb „Zukunft Stadtraum“ gestartet. Alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sowie bürgerschaftliche Initiativen und Projektentwickler sind eingeladen, bis zum 13. April 2021 innovative Vorschläge für die Zukunft des Stadt- und Straßenraum einzureichen. Die Bewerbungen mit dem größten Potenzial erhalten ein Preisgeld und dürfen sich für die zweite Stufe des Wettbewerbs weiterqualifizieren. Schließlich werden zehn Projekte ausgewählt, die dann mit Mitteln der Städtebauförderung beziehungsweise der Dorferneuerung umgesetzt werden können.
Realistisch herangehen und Potenziale entwickeln
Die fortgesetzte Schließung der Gastronomie und der meisten Einzelhandelsgeschäfte im Januar hat den Druck auf die Zentren noch einmal deutlich erhöht. Niemand möchte verwaiste Innenstädte und deshalb wollen wir gemeinsam Wege finden, wie sie attraktiv und lebendig bleiben. Jede einzelne Stadt und Gemeinde ist jetzt gut beraten, eng mit den Eigentümern der Ladenlokale und mit den Geschäftsinhabern zusammenzuarbeiten. Dabei muss man realistisch einschätzen, welche Handelslagen eine Chance haben und welche nicht. Und man muss neben der Gastronomie auch die anderen Funktionen der Innenstädte stärken, also Kultur und Bildung, Wohnen und Büros und ebenfalls passendes produzierendes Gewerbe. Die Herausforderung ist groß, das ist unbestritten. Möglicherweise können nicht alle pandemie-bedingten Schäden repariert werden. Deshalb müssen wir genau hinschauen, wo die Potenziale liegen, und diese Bereiche stützen und fördern. Die Landesregierung steht an der Seite der Kommunen und wird – von der Moderation mit den landesweiten Akteuren bis zu rechtlichen Erleichterungen – alles Machbare unternehmen, um die Innenstädte und Zentren in Nordrhein-Westfalen lebenswert zu halten.
Autorin: Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
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