Kopo

Ländliche Räume müssen Zukunftsregionen werden

Allgemein, Ländlicher Raum

Mit der Bildung der neuen Bundesregierung rückt die Frage nach der Verteilung von Investitionsmitteln und gleichwertigen Lebensverhältnissen erneut in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Für die Kommunen ist klar: Es müssen vor allem strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Staat vor Ort dauerhaft wieder handlungsfähig wird und bleibt.

Gerade für strukturschwache Regionen und die ländlichen Räume stellt dies eine große Herausforderung dar. In vielen Bereichen kann die Daseinsvorsorge nur noch eingeschränkt aufrechterhalten werden, von freiwilligen Aufgaben ganz zu schweigen. Um dem entgegenzuwirken, ist ein finanzieller Aufbruch erforderlich. Der angekündigte Einsatz eines Sondervermögens bietet die Chance, allen Kommunen neue Perspektiven zu eröffnen und bestehende Ungleichgewichte abzubauen.

Besorgniserregend bleibt vor allem die finanzielle Lage vieler Städte und Gemeinden. Das vergangene Haushaltsjahr schlossen die Kommunen mit einem historischen Defizit von 24,3 Milliarden Euro ab – ein Tiefststand, der nicht allein auf Sondereffekte oder Preissteigerungen zurückzuführen ist. Vielmehr zeigt sich eine strukturelle Schieflage, bei der die Einnahmen mit der wachsenden Zahl an Aufgaben schon lange nicht mehr Schritt halten.

Ländliche Räume brauchen Sichtbarkeit

Ländliche Räume sind ein wesentlicher Bestandteil des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt außerhalb der Ballungsräume – dort entsteht ein großer Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Eine nachhaltige und zukunftsorientierte Politik auf Bundes- und Landesebene muss deshalb die Entwicklung ländlicher Räume stärker berücksichtigen. Die Bundesregierung sollte die ländliche Entwicklung als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe verstehen und institutionell stärker verankern. Der Zuständigkeit für Heimat im Landwirtschaftsministerium muss entsprechend spürbar werden und auch personelle Sichtbarkeit bekommen.

Die Gemeinschaftsaufgaben GRW (regionale Wirtschaftsförderung) und GAK (ländliche Entwicklung) leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung strukturschwacher Regionen. Sie schaffen Investitionsanreize und lösen erhebliche private Folgeinvestitionen aus. Diese Instrumente sollten weiterentwickelt und mit auskömmlichen Mitteln ausgestattet werden. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse wird in mehreren Kapiteln des neuen Koalitionsvertrags der Bundesregierung betont, ebenso wie die Bedeutung guter Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. Wertschöpfung auf dem Land soll durch Investitionen gestärkt werden. Konkret sollen die finanziellen Mittel im Rahmen der GAK deutlich erhöht werden, was einer Kernforderung der Kommunen entspricht. Hier gilt es darauf zu achten, dass andere Förderbereiche der GAK die Mittel für die ländliche Entwicklung nicht schmälern.

Klar ist: ländliche Räume bieten in Zeiten der Transformation vielfältige Potenziale – etwa durch erneuerbare Energien, zukunftsgerichtete Gewerbegebiete oder den Tourismus. Zahlreiche Akteure, darunter jüngst auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, sprechen sich ebenfalls für eine stärkere Förderung der ländlichen Räume aus. Auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten betonten während der Regierungsbildung unter anderem die hohe Bedeutung der GRW und einer aktiven Regionalpolitik des Bundes.

Infrastrukturen als Grundlage gleichwertiger Lebensverhältnisse

Gleichwertige Lebensverhältnisse erfordern funktionierende Infrastrukturen: Mobilität, Bildung, digitale Anbindung und Gesundheitsversorgung müssen in allen Regionen gewährleistet sein. Investitionen in die kommunale Daseinsvorsorge sind daher unerlässlich. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert, dass zusätzliche Infrastrukturmittel gerecht verteilt werden – mit dem Ziel, die kommunale Ebene zu stärken und bestehende Rückstände aufzuholen. Das Sondervermögen kann hier ein wichtiges Instrument sein, um den Übergang von einem Zustand des Substanzverzehrs hin zu gezielten Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Die Kommunen verfügen über die Zuständigkeiten, das notwendige Wissen und die Erfahrung, um diese Investitionen wirkungsvoll umzusetzen. Dabei müssen insbesondere finanzschwache Kommunen gezielt unterstützt werden. Unangemessene Kofinanzierungssätze dürfen aber nicht dazu führen, dass ausgerechnet dort keine Projekte realisiert werden können, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Europäische Förderpolitik an regionale Bedarfe anpassen

Auch auf europäischer Ebene stehen wichtige Entscheidungen bevor. Der mehrjährige Finanzrahmen, die Kohäsionspolitik sowie die Gemeinsame Agrarpolitik bestimmen maßgeblich mit, ob Regionen in Deutschland auch künftig von EU-Mitteln profitieren können. Dabei ist entscheidend, dass der sogenannte „Bottom-up-Ansatz“ erhalten bleibt – also die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und die aktive Einbindung der kommunalen Ebene bei der Programmgestaltung.

Gerade der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) haben sich hier als wirkungsvolle Instrumente erwiesen. Die LEADER-Regionen sind ein gutes Beispiel für erfolgreiche regionale Projektumsetzung. Eine stärkere Zentralisierung dieser Programme auf nationaler Ebene würde hingegen das Risiko bergen, dass lokale Bedarfe nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Das haben die Erfahrungen gezeigt.

Die ländliche Entwicklung soll der neuen Bundesregierung nach auch Teil der europäischen Agrarpolitik bleiben. Ebenso hat sie sich im Koalitionsvertrag richtigerweise für die regionale Mitwirkung bei der Programmgestaltung und Nutzung der der Kohäsionsmittel ausgesprochen.

Förderpolitik vereinfachen – Handlungsfähigkeit stärken

Ob EU, Bund oder Länder, ein wesentlicher Hemmschuh bei der Umsetzung vieler Förderprogramme ist die hohe bürokratische Belastung. Gerade kleinere und finanzschwache Kommunen verfügen oft nicht über ausreichende personelle Ressourcen, um komplexe Anträge zu stellen und langwierige Prüfprozesse zu begleiten. Dadurch bleiben wichtige Fördermittel ungenutzt, obwohl die Projekte vor Ort dringend notwendig wären.

Es braucht daher einen grundlegenden Wandel in der Förderpraxis auch innerhalb des Staatsapparats. Ziel sollte eine Reduzierung der Anzahl von Programmen, der Einsatz einheitlicher Projektträger sowie digitalisierte Antrags- und Prüfverfahren sein. Ein gestärktes Vertrauen in die kommunale Ebene ist ebenso notwendig wie die Rückführung von Dokumentations- und Kontrollpflichten auf das wirklich erforderliche Maß. Zudem muss die Pflicht der Kommunen zur Kofinanzierung aufgehoben oder an die Länder übertragen werden. Es muss unbedingt verhindert werden, dass nur strukturstarke Kommunen profitieren, weil sie sich an der Finanzierung beteiligen können und die schwächeren Kommunen, da sie dies nicht können, leer ausgehen.

Nur wenn die Kommunen wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben eigenständig zu erfüllen, können auch die Transformation und Aufbruch in den Regionen gelingen. Eine starke kommunale Ebene ist die Voraussetzung dafür, dass ländliche Räume nicht abgehängt werden, sondern als gleichwertige Partner an der Zukunftsgestaltung unseres Landes teilhaben.

Der Beitrag von Dr. André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), ist in der Mai-Ausgabe der KOPO erschienen. Sie besitzen noch kein Abo der KOPO? Das können Sie hier gleich ändern.

Tags: , ,

Artikel drucken

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren