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Aus für „Wissing-Ticket“?

Mobilität

Nachdem das Deutschlandticket zum 1.5.2023 gestartet ist, ist seine Finanzierung weiterhin nicht gesichert, ebenso wenig wie die Sicherung des Bestandsangebots oder ein weiterer Ausbau des ÖPNV.

Obwohl die gesetzliche Regelungszuständigkeit für den ÖPNV bei den Ländern liegt, hat sich der Bundesgesetzgeber bei der Änderung des Regionalisierungsgesetzes entschlossen, den Tarif übergangsweise und befristet bis zum 30.9.2023 selbst vorzugeben. Die bundesgesetzliche Tarifanordnung in § 9 Abs. 1 Satz 4 RegG erfolgte dabei ausdrücklich unter Verweis darauf, dass „die eigentlich zuständigen Länder zeitliche Schwierigkeiten bei der gesetzlichen Umsetzung der Vorgabe in den ÖPNV-Gesetzen“ geltend gemacht hatten (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu Artikel 1 Nr. 3, vgl. BT-Drs. 20/6018). Insofern bestand von Anfang an die explizite Erwartung, dass die bundesgesetzliche Regelung durch landesgesetzliche Regelungen abgelöst wird.

Von kommunaler Seite ist zunächst festzuhalten, dass die Tarifvorgabe des Bundes selbst als „zeitlich befristetes Provisorium“ einen Verstoß gegen die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung darstellt, der weder durch die Befristung noch durch das einvernehmliche Vorgehen von Bund und Ländern ausgeräumt wird.

Davon abgesehen müssen die kommunalen Spitzenverbände feststellen, dass die Länder ihre Zeit nicht genutzt haben: Mit Ausnahme von Thüringen sind sie bislang nicht gesetzgeberisch tätig geworden, um den vorübergehenden Anwendungsbefehl des Bundes ab dem 1.10.2023 durch einen dauerhaften Anwendungsbefehl im Landesrecht zu ersetzen.

Die Länder sind insofern weiter aufgefordert, die Umsetzung durch einen entsprechenden Anwendungsbefehl gegenüber den ÖPNV-Aufgabenträgern in den ÖPNV-Gesetzen der Länder gesetzlich zu verankern und gegenüber den Aufgabenträgern finanziell abzusichern (Konnexität): Der Ausgleich der durch das Deutschlandticket bedingten Fahrgeldmindereinnahmen kann gegenüber den Verkehrsunternehmen beihilfe- und vergaberechtskonform nur im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 durch die „zuständigen Behörden“ erfolgen; das sind für den straßengebundenen ÖPNV (sowie in Teilen auch für den SPNV) die Landkreise und Städte, die als ÖPNV-Aufgabenträger vor Ort das ÖPNV-Angebot planen, organisieren und finanziell sicherstellen müssen.

Nur so lässt sich auch gewährleisten, dass das Deutschlandticket in 2024 nahtlos fortgeführt werden kann. Denn für die Zeit ab dem 1.1.2024 müssen die Genehmigungsbehörden der Länder die Auskömmlichkeit des Tarifs positiv feststellen, die vom Bund angeordnete Tarifgenehmigungsfiktion gilt nur bis Ende 2023. Dazu müssen die Verkehrsunternehmen mit entsprechendem zeitlichem Vorlauf ihre Genehmigungsanträge stellen können, was wiederum voraussetzt, dass die kommunalen Aufgabenträger den Ausgleich der Fahrgeldmindereinnahmen für 2024 zuvor durch Erlass Allgemeiner Vorschriften oder die Anpassung öffentlicher Dienstleistungsaufträge auf den Weg bringen könnten.

Deutschlandticket nicht durch Kommunen finanzierbar

Ohne einen gesetzlichen Anwendungsbefehl der Länder würden die Aufgabenträger das Deutschlandticket demgegenüber nur „auf freiwilliger Basis“ umsetzen, das heißt in eigener Verantwortung und auf eigenes wirtschaftliches Risiko gegenüber den Verkehrsunternehmen anordnen und ausgleichen. In der juristischen Literatur wird bereits die Frage gestellt, ob die Kommunen ein bundesweit gültiges Angebot im Rahmen ihrer Zuständigkeiten überhaupt rechtmäßig sicherstellen dürfen (vgl. Oebbecke, NVwZ 2023, 895 ff. [897]: „rechtswidrig“). In der Tat lässt sich bezweifeln, ob es noch als „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft“ anzusehen ist, ein anderweitig erworbenes Ticket ohne Weiteres anzuerkennen, um damit ortfremden Fahrgästen den Erwerb eines eigenen Tickets vor Ort zu ersparen und ihnen eine „kostenfreie Fahrt“ zu finanzieren.

Angesichts der insgesamt angestiegenen ÖPNV-Kosten können die Kommunen die zusätzlichen finanziellen Risiken und Lasten des Deutschlandtickets jedenfalls nicht schultern. Die zuletzt zur Sicherung des Bestandsangebots erfolgte Erhöhung der Regionalisierungsmittel um 1 Milliarde Euro und die Erhöhung der Dynamisierungsrate auf 3 Prozent kommen bei den Kommunen kaum an; sie fließen nahezu ausschließlich in den Schienenpersonennahverkehr, der von den Ländern organisiert wird. Die kommunalen Zuschüsse zum ÖPNV sind demgegenüber in den vergangenen Jahren sehr dynamisch und stetig um 35,8 Prozent von 3,07 Milliarden Euro (2017) auf 4,17 Milliarden Euro (2021) gestiegen. Das hat eine breit angelegte Abfrage der kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger gezeigt. Das Jahr 2022 mit den weiteren Kostensteigerungen durch die Energiekrise und die Folgen des Ukrainekrieges sowie die künftigen zusätzlichen Finanzierungsbedarfe zur Umsetzung der Clean-Vehicles-Directive und der geplanten Verschärfungen des Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetzes sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Hier sind erhebliche zusätzliche Investitionen allein für die Antriebswende erforderlich, ohne dass dies für die Bürger in einer Erweiterung des ÖPNV-Angebots spürbar wird. Gleichzeitig hat sich die Haushaltslage der Kommunen drastisch verschärft. Sie ist schon jetzt durch vielfältige andere Aufgaben und Herausforderungen angespannt; nach der aktuellen Haushaltsprognose der kommunalen Spitzenverbände wird das kommunale Defizit im Jahr 2023 rund 6,4 Milliarden betragen und in den Folgejahren auf jährlich nahezu 10 Milliarden weiter ansteigen.

Insofern verschärft sich bei den kommunalen Aufgaben die Prioritätenkonkurrenz deutlich, wobei anderen kommunalen Aufgaben sowie der Sicherung des Bestandsangebots und des Ausbaus des ÖPNV im Zweifel Vorrang eingeräumt werden gegenüber der Umsetzung eines günstigen Deutschlandtickets.

Finanzielle Perspektive für Deutschlandticket und ÖPNV-Angebot schaffen

Als ÖPNV-Aufgabenträger haben die Kommunen das Deutschlandticket auf Wunsch von Bund und Ländern und unter dem Druck der temporären gesetzlichen Tarifvorgabe des Bundes in Rekordzeit eingeführt. Dabei war von Beginn an klar: Das Ticket kann nur realisiert werden, wenn Bund und Länder einen vollständigen Ausgleich der entstehenden Mindereinnahmen sicherstellen.

Wenn Bund und Länder ein Deutschlandticket haben wollen, dann müssen sie die Verantwortung für seine vollständige Ausfinanzierung übernehmen – die Länder durch einen (konnexitätsrelevanten) gesetzlichen Anwendungsbefehl gegenüber den ÖPNV-Aufgabenträgern in den ÖPNV-Gesetzen der Länder, der Bund durch eine Nachschusspflicht gegenüber den Ländern. Hieran führt kein Weg vorbei. Anderenfalls werden viele kommunale ÖPNV-Aufgabenträger aus der „freiwilligen“ Umsetzung des „Wissing-“Tickets wieder aussteigen oder das ÖPNV-Angebot vor Ort reduzieren (müssen).
Gewonnen ist mit dem Deutschlandticket gerade für die ländliche Räume im Übrigen nur wenig, wenn nicht auch da das Angebot verbessert wird. Daher muss die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag, für mehr Klimaschutz, Qualität und eine bessere Erreichbarkeit ländlicher Räume in den Ausbau des ÖPNV investieren zu wollen (Ausbau- und Modernisierungspakt), nun auch endlich Taten folgen lassen: In Stadt und Land warten die Menschen bis heute auf den von der Bundesregierung angekündigten ÖPNV-Ausbau. Bislang erreicht das Deutschlandticket zum weit überwiegenden Teil nur diejenigen Menschen, die schon bislang den ÖPNV genutzt haben (Abo-Bestandskunden und Bartarifnutzer); nur ein Anteil von ca. 7-8 Prozent (700.000-800.000 Nutzer) sind tatsächliche Neukunden, die durch das Deutschlandticket neu in das System ÖPNV gekommen sind. Das kann nicht überraschen. Ein günstiger Tarif allein überzeugt die Menschen nicht. Die Wirkung des Deutschlandtickets verpufft vielmehr, wo Bahnstrecken stillgelegt wurden und wo kein Bus mehr fährt.
Es ist daher enttäuschend, dass sich die entscheidende Klärung der Finanzierungsfragen im Zusammenhang mit dem Ausbau- und Modernisierungspakt weiter hinzieht und dass – nicht zuletzt im Kontext der erschwerten Haushaltslage – zu besorgen ist, dass selbst in dieser Legislaturperiode keine Einigung mehr zustande kommt. Mit der vorrangigen Finanzierung des Deutschlandtickets würde sich damit endgültig eine falsche Prioritätensetzung manifestieren.

Fazit
Bund und Länder haben bislang lediglich vereinbart, für den Ausgleich der Mindereinnahmen aus dem Deutschlandticket bis 2026 jeweils 1,5 Milliarden Euro, also 3 Milliarden pro Jahr, zur Verfügung zu stellen. Der Betrag von 3 Milliarden wurde allerdings für ein 69-Euro-Ticket im Jahresabo errechnet und beruht nur auf einer sehr groben Schätzung mit vielen Prognoseunsicherheiten. Er wird absehbar nicht ausreichen. Eine Nachschusspflicht haben Bund und Länder nur für das Rumpfjahr 2023 zugesagt. Für 2024 und die Folgejahre hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing einen Ausgleich des tatsächlichen finanziellen Mehrbedarfs ausdrücklich abgelehnt. Das 49-Euro-Ticket dürfte also bald Geschichte sein. Selbst wenn Bund und Länder aber im Herbst einen höheren Tarif für 2024 festlegen sollten, verbleiben erhebliche Prognoseunsicherheiten; die finanziellen Restrisiken und -lasten der weiteren Umsetzung würden auf die Kommunen abgewälzt. In der Folge werden die Kommunen gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzentwicklung entweder das ÖPNV-Angebot deutlich reduzieren oder aus dem Deutschlandticket ganz austeigen müssen, da sie die wachsenden Kosten des ÖPNV nicht allein tragen können und ihre Kosten selbst in Teilen nicht mehr über höhere Tarife an die ÖPNV-Kunden weitergeben können. Bereits ab dem 1.1.2024 droht daher nun ein Flickenteppich und das vorzeitige Aus des Deutschlandtickets.

Dr. Markus Brohm, Deutscher Landkreistag
Dr. Markus Brohm, Deutscher Landkreistag

Dieser Beitrag erschien in der KOPO-Ausgabe 10/2023.

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