Die Friedrichstraße in Berlin-Mitte ist in den vergangenen Jahren zum traurigen Symbol des Scheiterns rot-grün-roter Verkehrspolitik geworden, die sich durch erschreckende Bürgerferne auszeichnet. Aus der viel befahrenen Friedrichstraße sollte eine Flaniermeile werden, eine autofreie Zone für Fußgänger und Fahrradfahrer gleichermaßen. Doch das Konzept war schlecht durchdacht und wurde unausgereift umgesetzt. Schnell zeigte sich: Städtische Verkehrspolitik eignet sich weder für Ideologie noch für Symbolpolitik. Und die Folgen des misslungenen Verkehrskonzeptes bekamen vor allem die ansässigen Unternehmer und Anwohner zu spüren.
Wie alles begann: Im Jahr 2018 führte das rot-grün-rot regierte Berlin ein Mobilitätsgesetz ein, das dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie Fußgängern und Radfahrern im Straßenverkehr den Vorrang einräumt. Mit dem Gesetz erfüllte sich die rot-grün-rote Landesregierung den lang gehegten Wunsch, den Weg zu einer vermeintlichen Verkehrswende zu ebnen, die das Auto verdrängt und eine neue Flächenaufteilung auf den Berliner Straßen zum Nachteil des Individualverkehrs schafft.
Flaniermeile oder Fahrradschnellstraße?
Vor diesem Hintergrund wurde am 29. August 2020 – mitten in der Corona-Pandemie – der Verkehrsversuch „Flaniermeile Friedrichstraße“ gestartet: Ein etwa 500 Meter langer Straßenabschnitt zwischen Französischer Straße und Leipziger Straße wurde über Nacht für Autos vollständig gesperrt. Für den Radverkehr wurde ein vier Meter breiter Streifen auf der Mitte der Straße gelb markiert. Hinzu kamen rustikale Straßenmöbel und etwas Grün – fertig war das Symbolprojekt.
Statt die Aufenthaltsqualität der Friedrichstraße zu steigern und den Einzelhandel- und Gewerbestandort durch höhere Besucherzahlen zu stärken, geriet die „Flaniermeile“ schnell zur Radschnellstraße. Denn zum einen vergaß die grün geführte Senatsverwaltung für Verkehr zunächst Fußgängerüberwege miteinzuplanen, so dass die schwächsten Verkehrsteilnehmer – die Fußgänger – das Nachsehen hatten. Zum anderen kam durch die vorbeipesenden Radfahrer in der Mitte der Straße keine gemütliche Flanierlaune auf. Die Friedrichstraße sollte Einkaufsstraße, Flaniermeile und Fahrradschnellstraße in einem sein – das passte nicht zusammen. Die Ausgestaltung der vermeintlichen Flaniermeile war durch die grün geführte Verkehrsverwaltung und Bezirksamt von vornherein nur als Verkehrsmaßnahme, nicht aber als ein Mittel zur wirtschaftlichen Belebung der Friedrichstraße betrachtet worden.
Feldversuch Friedrichstraße – Top oder Flop?
Eine von der Senatsverwaltung für Verkehr in Auftrag gegebene Evaluierung ergab, dass die Zahl der Fußgänger sich dennoch erhöht habe und die Luftschadstoffbelastung gesunken sei. Der rot-grün-rote Senat bewertete dies als vollen Erfolg. Und so wurde das Projekt „Flanierstraße“ kurzfristig – auch über den Versuchszeitraum hinaus – verlängert. Die Hinweise aus der CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, dass die Aussagekraft der Erhebung mitten in der Corona-Pandemie doch sehr fragwürdig sei, wurden ignoriert. Was man zudem zu erwähnen vergaß: Während der Autoverkehr in der Friedrichstraße zurückging, hatte dieser sich in der parallel verlaufenden Charlottenstraße verdoppelt und zu einer enorm gesteigerten Verkehrsbelastung geführt.
Auch die Anwohner sowie die ansässigen Unternehmen bewerteten das Ergebnis des Feldversuchs völlig anders als der Senat. Anwohner, das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße“, der Verein „DIE MITTE e.V.“ und der Handelsverband Berlin-Brandenburg stellten die Ergebnisse des Abschlussberichts und der Passanten-Umfrage infrage. Besonders das Aktionsbündnis – ein Zusammenschluss aus ansässigen Unternehmern – ging hart mit dem Verkehrsexperiment ins Gericht. Ladenschließungen, Besuchermangel, Umsatzrückgänge und Berlins „peinlichste neue Fahrradrennstrecke“ – dies seien die wahren Folgen der scheinbaren Verkehrsberuhigung. Nichts davon erhöhe die Aufenthaltsqualität der Friedrichstraße – ganz im Gegenteil.
Händler beklagten besonders die eingeschränkte Erreichbarkeit ihrer Geschäfte. 17 Gewerbetreibende sollen ihre Läden seit Beginn des Versuchs geschlossen haben. Die ansässigen Unternehmer forderten das Experiment einzustellen. Eine Weinhändlerin aus der Charlottenstraße reichte letztendlich Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht ein. Dieses befand in einem Eilbeschluss die Verkehrspläne des Senats für rechtswidrig. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass eine verkehrsregelnde Anordnung eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs voraussetze. Dies sei in der Friedrichstraße jedoch nicht gegeben. Und so rollen seit der Nacht vom 22. auf den 23. November 2022 wieder Autos durch die gesamte Friedrichstraße.
Keine Autos, keine Radfahrer? – Die konzeptlose Suche nach einer Lösung
Dies hätte das Ende eines wenig durchdachten und an der Realität gescheiterten politischen Experiments sein können. Die Senatsverwaltung hätte ihre Untersuchungsergebnisse nehmen, sich mit der öffentlich geäußerten Kritik auseinandersetzen und ein ganzheitliches Verkehrskonzept für die historische Mitte Berlins – vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor – entwickeln können. So wie es derzeit aussieht, wird es dazu allerdings nicht kommen. Wie der Hund von seinem Knochen, so wollen sich auch Bettina Jarasch, die Berliner Verkehrssenatorin und grüne Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, und die Grünen im Bezirk nicht von ihrem Symbolprojekt lösen.
Nun sollen im Rahmen einer Teilentziehung neben den Autos auch die Radfahrer aus der Friedrichstraße verbannt und diese in eine reine Fußgängerzone umgewandelt werden. Der Radverkehr wird stattdessen seit dem 21. November 2022 über die Charlottenstraße geführt, die als Fahrradstraße ausgewiesen wurde. Wohin der Autoverkehr soll? Irgendwo anders hin. Ob es sinnvoll ist, die Charlottenstraße am Gendarmenmarkt – einer der beliebtesten Touristen-Hotspots der Stadt – in eine Radstraße zu verwandeln? Es fehlt weiter an einem Gesamtkonzept, das sowohl die wirtschaftlichen als auch die verkehrlichen Themen in einen Ausgleich bringt.
Miteinander statt gegeneinander – Wie wir gemeinsam die Verkehrswende gestalten
Die Friedrichstraße hatte es stets schwer als Flaniermeile mit anderen großen Einkaufsstraßen Berlins mitzuhalten. Ihre Fußgängerwege sind zu eng, die einspurige Straße immer schon sehr stark befahren und die Betonfassaden erscheinen wenig einladend. Eine stadtplanerische Umgestaltung der Friedrichstraße hin zu mehr Attraktivität ist deshalb durchaus ein gutes Ansinnen. Die Berliner CDU hat im Mai 2022 erneut vom Senat gefordert, ein Verkehrskonzept aufzusetzen, das das gesamte historische Zentrum Berlins umfasst.
Es ist Zeit umzudenken. Und vor allem ist es an der Zeit, Anwohner und Gewerbetreibende in ein Konzept mit einzubeziehen und nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden. Bürgerbeteiligung sollte auch für die Grünen kein fremder Begriff sein. Um ein nachhaltiges und funktionierendes Konzept zu entwerfen, reicht es nicht aus, sich auf zwei Straßenteilabschnitte, wie in der Friedrichstraße und der Charlottenstraße zu beschränken. Es gilt, sich den gesamten Bereich anzuschauen und ein Gesamtkonzept zu erarbeiten. Und es gilt ehrlich festzustellen, wo angebliche Begegnungsorte zu Gefahrenzonen für Fußgänger werden und abstrakte Vorstellungen von Verkehrspolitik den tatsächlichen Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner anzupassen.
Das sture Festhalten von Verkehrssenatorin Jarasch an den Plänen einer „Flaniermeile Friedrichstraße“ gegen das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes und gegen den Willen der Anwohner und Gewerbetreibenden zeigt, dass es den Grünen eben nicht darum geht, etwas Gutes für Berlin zu erreichen. Sie möchten dogmatisch an ihrem vermeintlichen Vorzeigeprojekt und ihrem realitätsfernen Ideal grüner Verkehrspolitik festhalten. Doch Verkehrspolitik eignet sich nicht als Experimentierfeld.
Die Friedrichstraße braucht ein ganzheitliches Konzept, das alle Verkehrsbeteiligten, die Gewerbetreibenden und die Anwohner miteinschließt. Es darf kein Gegeneinander der verschiedenen Verkehrsmittel geben und kein Ausblenden von wirtschaftlichen Folgen entsprechender Maßnahmen. Bei der Verkehrspolitik ist es wie in vielen anderen Bereichen des Lebens: Man kommt miteinander viel weiter als gegeneinander. Leider kann man nicht feststellen, dass die Grünen etwas aus dem Chaos rund um die Friedrichstraße gelernt hätten. Jüngst forderten sie, den Hackeschen Markt zu einer Fußgängerzone umzuwandeln.
Autoren: Dr. Ottilie Klein MdB, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und Sebastian Pieper, Vorsitzender der CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Mitte und Mitglied im Hauptausschuss der BVV
Dieser Beitrag ist in der Januar-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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