Stark, handlungsfähig, bürgernah: So sieht das Idealbild Europas für Manfred Weber aus. Regelungswut oder Entscheidungsfreiheit vor Ort? Wir haben mit dem Vorsitzenden der EVP über Sorgen und Nöte der Kommunalpolitiker gesprochen.
KOPO: Herzlichen Glückwunsch Herr Weber zur Wahl zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei. Sie sind angetreten, das Einstimmigkeitsprinzip bei EU-Entscheidungen abzuschaffen. Kritiker sehen in Ihrem Vorschlag das Eintrittstor für die Vergemeinschaftung von Schulden. Widerspricht das nicht Deutschlands Interessen?
Manfred Weber MdEP: Der Ansatz der Einstimmigkeit war ursprünglich, möglichst einen Konsens unter allen EU-Staaten herzustellen. Das ist ein hehres Ziel, aber die EU und die globale Situation haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Besonders in den außenpolitischen Fragen ist die EU vergleichsweise schwach, weil sie aufgrund der Einstimmigkeit nicht oder sehr spät zu Entscheidungen kommt. Die jüngsten Beispiele sind die Verzögerungen bei Entscheidungen zur Ukraine. Eine EU der 27 oder mehr kann kein starker außenpolitischer Akteur werden, wenn nicht Mehrheitsentscheidungen gelten. In einer Welt, in der wir gemeinsam das europäische Lebensmodell angesichts des Handelns von Putin oder auch China verteidigen müssen, ist dies zwingend notwendig. Mehrheitsentscheidungen heißt aber ja nicht, dass einfache Mehrheiten gelten. Insofern sehe ich das Risiko von vergemeinschafteten Schulden nicht. Und das wird es mit der EVP auch nicht geben.
KOPO: Die CDU Deutschlands arbeitet an einem neuen Grundsatzprogramm. Was macht aus Ihrer Sicht mit dem Blick auf Europa den Markenkern der Union aus?
Manfred Weber MdEP: Die CDU – und auch die CSU – sind die Europaparteien in Deutschland. Ohne unsere Parteien und der von uns gestellten Bundeskanzler – insbesondere Adenauer, Kohl und Merkel – wäre die EU nicht zu dem Erfolgsmodell geworden, das sie heute ist. Wir stehen für das Miteinander in Europa, den Ausgleich zwischen den Interessen, aber auch für mutige und ambitionierte Ziele und Entscheidungen. Denken Sie dabei nur an den Maastricht Vertrag, den Euro oder die schwierigen Phasen beim Bewältigen großer Krisen im letzten Jahrzehnt. Ich wünsche mir von der CDU, dass sie einen Blick nach vorne wagt und das Europa beschreibt, für das wir Christdemokraten stehen: stark, handlungsfähig, bürgernah.
KOPO: Für Kommunalpolitiker ist das Subsidiaritätsprinzip maßgeblich, um erfolgreich Politik vor Ort gestalten zu können. Was dürfen wir in Zukunft aus Europa erwarten – mehr Regeln, mehr Vorgaben?
Manfred Weber MdEP: Ich verstehe sehr gut, dass die Sorge da ist, dass neue Regelungen oder erweiterte Kompetenzen für die EU neue Bürokratie bedeuten können oder dem Subsidiaritätsprinzip widersprechen. So ist es ja durchaus auch bei neuen Gesetzen der Länder oder des Bundes. Für mich ist klar: Die EU muss da tätig werden, wo es einen Mehrwert bringt. In anderen Bereichen braucht es kein Handeln der EU. Was allerdings auch nicht geht ist, dass sich Bund und Länder nicht daranhalten, EU-Gesetze 1:1 in nationale Gesetzgebung zu übernehmen. Anstatt immer noch mal draufzusatteln, ist den Kommunen mehr geholfen, wenn dies nicht geschieht.
KOPO: Wo haben wir eine Chance auf Nachbesserung?
Manfred Weber MdEP: Aus meiner Sicht ist ein grundlegender Aufgabencheck sinnvoll, wo die EU tätig werden soll und wo nicht. Das wäre im Rahmen eines Konvents am besten möglich. Zudem kann ich die kommunalen Spitzenverbände nur ermuntern, laut und deutlich ihre Einschätzung zu neuer Gesetzgebung vorzubringen. Dasselbe gilt für die Bundesländer. Bei den Abgeordneten der EVP-Fraktion werden sie immer ein offenes Ohr finden. Wo wir Vorgaben verbessern können, werden wir es tun. Meine Kolleginnen Sabine Verheyen und Marion Walsmann sind als die für Kommunalpolitik zuständigen Abgeordneten an vielen Themen dran, um für die Kommunen Verbesserungen zu erzielen, wie aktuell bei Förderungen für die bauliche Entwicklung oder bei zahlreichen Klimaschutzthemen. Zum Beispiel beim Thema Wasser haben wir gemeinsam viel für die Kommunen erreicht.
KOPO: Am 18. Mai hat die EU Maßnahmen zur sogenannten REPowerEU-Strategie vorgestellt: Der nicht rechtsverbindliche Plan ist, EU-weit bis 2030 je zehn Millionen Tonnen Wasserstoff zu produzieren und zu importieren. Mit der gleichzeitig vorgesehenen Trennung von Wasserstoff- und Erdgasnetzen werden Stadtwerke jedoch praktisch von diesem Zukunftsthema ausgeschlossen. Das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein?
Manfred Weber MdEP: Es ist richtig, in Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine, die Energieabhängigkeiten insbesondere von Russland massiv zu reduzieren. Das REPowerEU-Paket hat dennoch Licht und Schatten. Die Vorschläge der Kommission für die zukünftige Regulierung von Wasserstoffnetzen etwa laufen Gefahr, die Entwicklung einer europäischen Wasserstoffwirtschaft auszubremsen. Insbesondere die Nutzung von Wasserstoff auf lokaler und regionaler Ebene würde durch die fehlende Unterscheidung zwischen Fernleitung und Verteilung und den daraus folgenden Anforderungen zur Trennung von Erdgas- und Wasserstoffnetzen vor kaum überwindbare Hürden gestellt.
Kommunen, die Strom- und Gasnetze betreiben, könnten so in Zukunft nicht selbst tätig werden und Wasserstoffnetze betreiben. Sie wären auf Dritte angewiesen, um ihre Industrie- und Verkehrspolitik zu steuern und ihre Aufgaben der Daseinsvorsorge weiterhin wahrzunehmen. Um Investitionsanreize für Stadtwerke zu setzen, die zu einer deutlichen Beschleunigung der Dekarbonisierung und zu mehr Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen führen können, sollten daher die bestehenden Entflechtungsregeln nach den europäischen Richtlinien von Gas- und Stromnetzen auch für Wasserstoffnetze nahtlos Anwendung finden. Unverständlich ist auch, warum die Nutzung von Wasserstoff für Bürgerenergiegemeinschaften nicht möglich sein soll.
KOPO: Die Europäische Kommission überarbeitet zurzeit die aus dem Jahr 1991 stammende Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser. Was kommt auf die Kommunen zu?
Manfred Weber MdEP: Die Überarbeitung ist aufgrund von Mängeln und Veränderungen beim Abwassermanagement notwendig. Die Kommunen investieren sehr viel Geld in eine funktionierende Abwasserinfrastruktur und machen dies mit großer Sorgfalt. Die Kommission sieht Anpassungsbedarf beispielsweise in den Bereichen der Finanzierung, der Mischwasserentlastung und des Umgangs mit bisher nicht geregelten Schadstoffen, wie Arzneimitteln oder Mikroplastik, und weiteren Bereichen in Zusammenhang mit dem europäischen Green Deal. Uns ist wichtig, dass sich die Kommunen eng mit den Abgeordneten abstimmen, damit wir die Richtlinie in die richtige Richtung bekommen, vor allem, dass Belastungen und Bürokratie für die Kommunen in Grenzen gehalten werden.
Manfred Weber ist EVP-Partei- und Fraktionsvorsitzender sowie Stellvertretender CSU-Parteivorsitzender.
Dieser Beitrag ist in der Juli/August-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.
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