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Wie gelingt die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge?

Integration

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Die Auswirkungen sind dramatisch: über 7,7 Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht, rund 5,9 Millionen Menschen haben laut UNHCR die Ukraine verlassen.

Der größere Teil der Menschen sucht Zuflucht in den Anrainerstaaten. Allein Polen hat aktuell rund 3,1 Millionen Menschen aufgenommen. Wie viele Geflüchtete inzwischen Deutschland erreicht haben, kann aufgrund der geltenden Visafreiheit nicht genau bestimmt werden: Einreisende Ukrainerinnen und Ukrainer mit biometrischem Pass müssen sich zunächst nicht anmelden. Erst wenn sie hilfebedürftig werden, erfolgt eine Erfassung. Aktuell registriert sind inzwischen über 800.000 Ukrainerinnen und Ukrainer.

Eine Besonderheit der aktuellen Fluchtsituation aus der Ukraine ist, dass der weit überwiegende Teil (rund 70 Prozent) der Geflüchteten weiblich ist. Fast 40 Prozent der Geflüchteten sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Diese Zusammensetzung ist Folge des Ausreiseverbotes für Männer im wehrfähigen Alter und führt zu einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Geflüchteten. Die Städte und die Bevölkerung vor Ort tun alles, um die Menschen gut aufzunehmen. Solidarität ist und bleibt angesichts des entsetzlichen Krieges das Gebot der Stunde. Die große Hilfsbereitschaft hält an. Angesichts der dynamischen Migrationslage und unklarer Szenarien bleibt dies eine herausfordernde Aufgabe.

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Aufenthalts- und sozialleistungsrechtliche Fragen weitgehend geklärt


Sehr zügig wurden die rechtlichen Fragen zur Aufnahme der ukrainischen Geflüchteten geklärt. Durch die Feststellung eines Massenzustroms von Vertriebenen durch den EU-Rat im März 2022 erhalten die Menschen eine Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz (§ 24 AufenthG). Ebenfalls geklärt sind der Zugang zum Arbeitsmarkt und die leistungsrechtlichen Fragen. Nachdem zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Anspruch genommen werden konnten, steht nun zum 1. Juni 2022 (Stand Redaktionsschluss) der Wechsel in die Grundsicherungssysteme SGB II oder SGB XII an. Dieser sogenannte Rechtskreiswechsel, den die Ministerpräsidentenkonferenz am 7. April 2022 beschlossen hat, ist richtig. Er ist ein wichtiger Schritt in Richtung schnelle Integration. Mit dem Zugang in das SGB II sind nicht nur umfassendere Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration verbunden, sondern auch bessere Sprachkursmöglichkeiten und der Zugang in die gesetzliche Krankenversicherung.

Jedoch steckt der Teufel im Detail: Trotz des geäußerten politischen Willens stehen dem praktikablen und unbürokratischem Rechtskreiswechsel zum 1. Juni 2022 hohe Hürden im Weg, die vom Bundesgesetzgeber errichtet wurden.

Erkennungsdienstliche Behandlung ist Flaschenhals für Rechtskreiswechsel


Voraussetzung für den SGB II-Leistungsbezug soll eine erkennungsdienstliche Behandlung sein, obschon die ukrainischen Flüchtlinge weit überwiegend mit einem biometrischen Pass einreisen. Sie sind damit identifizierbar, mehrfache Leistungsbezüge so gut wie ausgeschlossen. Trotzdem soll eine erkennungsdienstliche Behandlung an sogenannten PIK-Stationen (Personalisierungsinfrastrukturkomponenten) vorgeschaltet werden. Neben persönlichen Daten werden dazu auch Fingerabdrücke eingescannt. Ohne diese Registrierung bleiben den geflüchteten Menschen nur Hilfeleistungen nach dem AsylbLG, die von den Städten ausgezahlt werden.

Dieser Registrierungsprozess, der im normalen Asylverfahren vom BAMF, den Ländern sowie den Bundes- und den Länderpolizeien durchgeführt wird, muss für ukrainische Geflüchtete durch die kommunalen Ausländerbehörden geleistet werden, weil die Menschen direkt in den Kommunen ankommen. Die kommunale Registrierungslandschaft ist jedoch weder personell noch technisch darauf ausgelegt. Für die Kommunen bestand bisher nicht die Notwendigkeit, in großer Dimension erkennungsdienstlich zu erfassen, geschweige denn in ausreichender Anzahl PIK-Stationen und Personal vorzuhalten. Was bisher die absolute Ausnahme war, wird bei der visumsfreien Einreise zum Regelfall. Der Deutsche Städtetag hat daher stets an Bund und Länder appelliert, bei der Registrierung zu unterstützen und die bei der Bundespolizei und den Erstaufnahmeeinrichtungen vorhandenen Kapazitäten einzubringen.

Die erkennungsdienstliche Behandlung aller ukrainischer Geflüchteten stellt die ohnehin krisenbedingt völlig überlasteten Ausländerbehörden vor eine nicht zu bewältigende Aufgabe.

Unterstützung durch Bund unzureichend


Die Registrierungs-Unterstützung in den Ländern und die Amtshilfe der Polizei sind eine Hilfe, aber nicht ausreichend. Die Unterstützung durch den Bund ist absolut unzureichend. Wenn der Bund nun den Zugang zum SGB II an eine Registrierung knüpft, muss der Bund alles in seiner Sphäre Liegende tun, um bestehende Hindernisse aus dem Weg zu räumen: insbesondere in großer Anzahl Registrierungen selbst vornehmen, in ausreichender Anzahl PIK-Stationen beschaffen und pragmatische Übergangslösungen zulassen.

Wenig wurde bisher davon eingelöst. Insbesondere ist der Bund nicht in der Lage, die für den Registrierungsprozess notwendigen und auf der kommunalen Ebene kaum vorhandenen mPIK-Stationen zu beschaffen. Von den bisher bei der Bundesdruckerei bestellten 1.100 PIK-Stationen sind dem Vernehmen nach gerade einmal 10 ausgeliefert. Zur Begründung wird auf einen Chipmangel hingewiesen. Umso mehr muss der Bund einer pragmatischen Lösung zustimmen und darf nicht auf dem Erfordernis der erkennungsdienstlichen Behandlung vor dem Zugang ins SGB II beharren.

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Der Deutsche Städtetag hat den Vorschlag gemacht, auch für die ab 1. Juni 2022 einreisenden ukrainischen Geflüchteten eine Übergangsfrist einzuräumen und eine nachholende erkennungsdienstliche Erfassung zu akzeptieren, wie es jetzt schon für den Personenkreis der zwischen dem 24. Februar und 1. Juni 2022 Eingereisten geregelt ist. Damit konnten wir bei den Koalitionsfraktionen nicht durchdringen.

Die Folge ist: Für einen wesentlichen Teil der ab 1. Juni 2022 einreisenden Geflüchteten wird eine Überleitung in das SGB II beziehungsweise SGB XII verschoben werden müssen. Sie werden zunächst eine Schleife im Asylbewerberleistungsgesetz drehen. Für die Geflüchteten sind die schnell angestrebte Integration ebenso wie die Arbeitsmarktintegration in Gefahr. Für die Kommunen ist der bürokratische Aufwand immens und die versprochene finanzielle Entlastung verzögert sich.

Bessere Verteilung der geflüchteten Menschen notwendig


Verschärft wird die Situation vor Ort durch die unzureichende Verteilung der Geflüchteten. Zwar ist die Verteilung der Geflüchteten vom Bund auf die Länder nach Königsteiner Schlüssel und in den Ländern auf die Kommunen in § 24 AufenthG vorgesehen, sie kam aber monatelang nicht zustande. Innenministerin Faeser ging zunächst sogar davon aus, dass sich die Verteilung „von alleine“ regeln würde. Dazu ist es – wenig überraschend – nicht gekommen. Dabei wäre die gleichmäßige Verteilung ein wichtiger Beitrag, damit vor Ort die Aufnahme gelingen kann.

Die überproportional belasteten verkehrsgünstig gelegenen Städte und Metropolregionen können die Herausforderungen der Unterbringung, Registrierung und Versorgung der geflüchteten Menschen nicht alleine stemmen. Nur eine gleichmäßige Verteilung auf viele Schultern kann hier helfen. Einige Städte in ländlicheren Regionen bringen sehr deutlich zum Ausdruck, dass sie gerne unterstützen möchten und über Unterbringungskapazitäten und sogar Wohnraum verfügen. Umso unverständlicher ist es, dass die klare Regelung des § 24 AufenthG mit der Verteilung auf die Länder und von dort weiter auf die Kommunen verwässert und zu einer bloßen „kann“-Regelung umgestaltet wird.

Angesichts der Herausforderungen, die sich durch den unvermindert anhaltenden Krieg und dem damit einhergehenden längeren Aufenthalt der geflüchteten Menschen abzeichnen, ist die gleichmäßige Verteilung dringend notwendig: Es braucht nicht nur ausreichend geeigneten Wohnraum, sondern auch Kita- und Schulplätze für die vielen Kinder und Jugendlichen. Sprachkurskapazitäten müssen ausgeweitet werden. Die gesundheitliche Versorgung und psychosoziale Betreuung müssen organisiert werden. Hinzu kommt, dass weitere Konfliktherde – insbesondere Syrien und Afghanistan – medial zwar ausgeblendet werden, aber gleichwohl fortbestehen und zu Migrationsbewegungen führen. Um allen Menschen gerecht zu werden, ist eine faire Verteilung unumgänglich.

Fazit


Es besteht Nachbesserungsbedarf bei der Registrierung und Verteilung. Der Rechtskreiswechsel vom AsylbLG in das SGB II und SGB XII muss unbürokratisch geregelt werden. Eine nachholende Registrierung ist angesichts biometrischer Pässe ohne wesentliche Sicherheitsrisiken möglich. Und nur mit einer fairen Verteilung der Menschen auf alle Kommunen im Bundesgebiet kann eine gute Ankommenssituation sichergestellt und eine Überlastung der verkehrsgünstig gelegenen Städte und Metropolregionen verhindert werden.

Fotos: © Deutscher Städtetag

Autoren: Beigeordnete Dr. Uda Bastians, Deutscher Städtetag und Hauptreferentin Kirstin Walsleben, Deutscher Städtetag

Dieser Beitrag ist in der Juni-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.

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