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114 Milliarden Euro für den Umbau der Verteilnetze

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Mehr Windräder, mehr Solaranlagen: Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Politik die Energiewende schneller voranbringen. Doch was bedeutet das für die Verteilnetze? Die KOPO hat mit Katherina Reiche, Vorsitzende des Vorstands bei Westenergie, gesprochen.

KOPO: Wie verändert der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Zukunft der Energieversorgung?

Foto: © Westenergie

Katherina Reiche: Die Folgen dieses schrecklichen und vollkommen ungerechtfertigten Krieges sind in all ihren Konsequenzen noch gar nicht abzusehen. Fest steht: Dieser Krieg ist eine Zäsur – auch für die Energieversorgung und damit für die Energieunternehmen. Für uns als Westenergie gilt jetzt umso mehr das Primat der Politik. Wir folgen den Schritten, die die Bundesregierung und die Europäische Union nun für notwendig halten und veranlassen. Als Betreiber kritischer Infrastrukturen unterstützen wir operativ die Maßnahmen, die die Politik einleitet, um die Energieversorgung in Deutschland und Europa zu sichern und stabil zu halten, vor allem die Gasversorgung. Putins Krieg führt vor Augen, dass es eben keine Selbstverständlichkeit ist, dass in Deutschland und Europa Strom aus der Steckdose kommt und die Heizung funktioniert. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung und die EU versuchen, die Gasversorgung mittel- und langfristig wieder stärker zu diversifizieren. Dazu gehört, die Abhängigkeit von Gas aus Russland zu minimieren, auch durch den Aufbau von Hafen-Terminals für den Import von verflüssigtem Erdgas aus anderen Weltregionen – den sogenannten LNG-Terminals. Dazu gehört der Ausbau der erneuerbaren Energien. Und dazu gehört, fossile Energieträger auch durch Wasserstoff zu ersetzen.

KOPO: Wobei nach Meinung einiger Interessengruppen Wasserstoff nur dort zum Einsatz kommen soll, wo es keine Alternativen gibt, also beispielsweise für industrielle Anwendungen. Wie sehen Sie das?

Katherina Reiche: Wasserstoff gehört zu den großen Hoffnungsträgern für eine erfolgreiche Energiewende. Als perspektivisch grünes Gas kann und muss Wasserstoff einen substanziellen Beitrag zum Erreichen der nationalen Klimaziele leisten. Dabei ist Wasserstoff die Antwort auf die Frage, wie unsere Industrienation beim Erhalt von Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätzen die Transformation zur Klimaneutralität erreichen kann. Noch dieses Jahr sollen die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Spätestens 2036 – oder wie von der Bundesregierung geplant im Jahr 2030 – sollen unsere Kohlekraftwerke folgen. Damit werden 52 Gigawatt gesicherte Leistung bis spätestens 2036 vom Netz gehen. Ein Teil dieser grundlastfähigen Leistung muss nun durch wasserstofffähige Gaskraftwerke ersetzt werden. Sie müssen neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Umbau der Netze jetzt oberste Priorität haben. Bei der Versorgung der Gaskraftwerke müssen wir die Abhängigkeit von Erdgas als Brücke nun ebenfalls schneller überwinden als bislang geplant, also schnellstmöglich klimafreundlichen Wasserstoff einsetzen. Gemeinsam mit den Speichern und schnell umgerüsteten Gasleitungen schafft Wasserstoff mehr Flexibilität auch außerhalb der Energieerzeugung. All dies bedeutet: Putins Aggression gegen den Westen führt uns die Notwendigkeit des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft in neuer Dringlichkeit vor Augen. Und es ändert die Merit Order des Wasserstoffs. Wir müssen der Energiewirtschaft in der neuen energiepolitischen Lage prioritären Zugang zur Wasserstoffversorgung gewähren.

KOPO: Brauchen wir dann noch das Erdgasnetz?

Katherina Reiche: Das Gasnetz ist unsere Abkürzung auf dem Weg in die Klimaneutralität. Deutschland verfügt über ein weiträumig verzweigtes Gasnetz mit einer Länge von insgesamt 555.000 Kilometern, das mit mehr als 21 Millionen Haushalten und rund 1,6 Millionen Unternehmen verbunden ist. Diese Infrastruktur hat wesentlich höhere Speicherkapazitäten als Strom. Die aktuelle Stromspeicherkapazität in Deutschland liegt bei 0,04 Terawattstunden, bei Gas hingegen bei rund 234 Terawattstunden. Das Stromnetz kann die für die Versorgungssicherheit notwendigen Speicherkapazitäten des Gasnetzes, Stand heute, nicht ansatzweise auffangen. Zudem handelt es sich bei den Gasnetzen um eine bereits bestehende Hochleistungsinfrastruktur, die nicht erst in langjährigen Prozessen geplant, genehmigt und gebaut werden muss. Auch das Gasnetz muss daher zum Ermöglicher der Energiewende umgestaltet werden – speziell mit Blick auf die zukünftige Wasserstoffwirtschaft.

KOPO: Auch das Stromnetz muss einiges leisten: 80 Prozent Ökostrom bis 2030, immer mehr Wärmepumpen und Elektroautos. Sind die Verteilnetze fit für die Energiewende?

Katherina Reiche: Die bisherige Konzentration auf eine möglichst rasche Dekarbonisierung der Erzeugungskapazitäten reicht nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien als auch der Aufbau neuer wasserstofffähiger Stromerzeugungskapazitäten sowie die Einbindung flexibler Lasten erfordern eine leistungsfähige und resiliente Energienetz- Infrastruktur, die diesen Herausforderungen gewachsen ist. Um den anstehenden Strukturwandel meistern zu können, müssen in den kommenden Jahren substanzielle Aus- und Umbaumaßnahmen in den Energienetzen vorgenommen werden. Dabei geht es sowohl um den Bau von Höchstspannungstrassen als auch um die Transformation der mehr als 1.000 kommunalen und regionalen Stromverteilnetze. Dort findet die Energiewende statt. Die bisherige Netzarchitektur ist aber nicht auf das nun notwendige Maß an dezentraler Stromerzeugung, Elektromobilität oder den flächenhaften Einsatz von Elektrowärmepumpen ausgelegt.

KOPO: Die Verteilnetzbetreiber müssen also kräftig investieren. Stimmen dafür die politischen Rahmenbedingungen?

Katherina Reiche: Expertinnen und Experten rechnen damit, dass für den Umbau der Verteilnetze bis zum Jahr 2030 Investitionen in Höhe von 114 Milliarden Euro getätigt werden müssen. Die bestehenden regulatorischen und marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen reichen dafür nicht aus. Wir brauchen Anreize für einen energiewendekonformen Umbau der Netzinfrastruktur. Das bedeutet vor allem, dass Netzbetreiber, die in diesen Umbau investieren wollen, auch dazu befähigt werden müssen, etwa durch einen Klimaschutzzuschlag. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Politik muss umgehend konkrete Maßnahmen definieren, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Das gilt sowohl für den Netzausbau als auch für die Realisierung der notwendigen Erzeugungskapazitäten. Ein Beispiel: Der Gesamtzeitraum von der Neuplanung eines Gaskraftwerks bis zum Bau beträgt derzeit etwa sieben Jahre.

Dieser Beitrag erscheint in der April-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO).

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