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Die politische Soziologie der „Querdenker“

Corona

Mit dem Beginn der Pandemie in Deutschland reagierte ab April 2020 der Staat mit Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Schnell formierten sich sogenannte „Hygienedemos“ und später „Querdenken“-Proteste, die sich gegen die Maßnahmen wehrten.

Von Anfang an mischten sich verschiedenste Gesellschaftsschichten und politische Strömungen bei den Demos. Trotz der hohen medialen Aufmerksamkeit blieb die genaue Charakterisierung der Teilnehmenden jedoch häufig unklar. In diesem Kommentar versuche ich eine Einordnung der politischen Soziologie der „Querdenker“.

Eine Studie der Universität Basel1 hat sich mit den Teilnehmenden im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) auseinandergesetzt. Mit einer Mehrheit sind die Teilnehmenden weiblich (60,19 Prozent) und zählen sich selbst zur oberen oder unteren Mittelschicht (zusammen 66,7 Prozent). 34 Prozent der „Querdenker“ verfügen über ein abgeschlossenes Studium oder über eine Promotion (4 Prozent). Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind bei den „Querdenken“-Protesten mehr Selbstständige zu finden – 25 Prozent gaben dies als ihren Beschäftigungsstatus an. Der Anteil der Selbstständigen in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt derweil bei 9,6 Prozent.

Abwanderung von den etablierten Parteien

Auch mit der (ehemaligen) Parteiaffinität hat sich die Studie beschäftigt. Bei der Frage „Welche Partei haben Sie bei der letzten Bundestagswahl gewählt?“ gaben 23 Prozent Die Grünen an, 18 Prozent Die Linke, 15 Prozent die AfD und 10 Prozent die CDU/CSU. Weitere 21 Prozent wählten Kleinstparteien. Die FDP wählten ehemals 7 Prozent der Teilnehmenden, die SPD nur 6 Prozent. Heute würden die Teilnehmenden der Studie jedoch zu 27 Prozent die AfD wählen und zu 61 Prozent „Andere“ Parteien, hiervon zu 18 Prozent Die Basis. Die Grünen und CDU/CSU liegen nur noch bei je 1 Prozent.

Mit diesen Zahlen verdeutlicht sich eine Abwendung der Teilnehmenden von etablierten demokratischen Parteien. Erklären lässt sich diese Abkehr durch die Denkmuster der „Querdenker“. Gut die Hälfte (50,35 Prozent) der Teilnehmenden stimmt der Aussage mindestens zu, dass es geheime Organisationen gäbe, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen habe. Nur 14,23 Prozent lehnen die Aussage ab. Eine große Mehrheit (88,71 Prozent) denkt, dass die Maskenpflicht Kindesmissbrauch sei. Nahezu alle Befragten (96,27 Prozent) sehen die Corona-Maßnahmen als eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit und Demokratie.

Die alternative Realität

Aussagen, die auf eine populistische Ideologie hinweisen, erfahren hohe Zustimmungswerte bei den Gegnern der staatlichen Maßnahmen. 75,69 Prozent glauben, dass die Regierung der Bevölkerung die Wahrheit verschweigt. Weitere 79,34 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die Regierung das Volk hintergehe.

Dass sich viele „Querdenker“ dem esoterischen/anthroposophischen Milieu zuschreiben lassen, zeigt sich darin, dass 63,97 Prozent davon ausgehen, dass die natürlichen Selbstheilungskräfte der Menschen stark genug seien, um das Virus zu bekämpfen.

Einordnung: Die Gefahr der Bewegung

Die generelle Einordnung der Demoteilnehmer durch die Studienergebnisse lassen einen genaueren Blick auf die „Querdenker“ zu. Der Wählerwandel und die untersuchten Denkmuster zeigen deutlich, wie sehr sich die Teilnehmenden der Proteste von den demokratischen Parteien und dem Staat abgewandt haben. In dem Zweifel an der Legitimität staatlicher Maßnahmen sowie der Glaube an „Schattenmächte“, die die Regierung beeinflussen, liegt die Gefahr der Bewegung.

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Die Gefährdung besteht in der Delegitimierung des Staates. Staatliche Macht kann nur so lange währen, wie die Menschen ihr die Legitimität aussprechen. Wenn ein Teil der Gesellschaft das Gewaltmonopol des Staates anzweifelt, ist nicht nur infrage zu stellen, inwiefern diese Personen auf dem rechtsstaatlichen Boden unserer demokratischen Verfassung stehen, sondern auch die Radikalisierung dieser Gesellschaftsgruppe bedroht unsere gesellschaftliche Ordnung. Gerade durch die Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft, die als Bedrohung und Unterdrücker gesehen wird, entsteht eine alternative Realität, in der Unterdrückungsmythen das Narrativ der Opferrolle bestätigen und verstärken. In der Identifizierung des Seins durch das Anderssein im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft entsteht eine Gruppendynamik, die eine schnelle Radikalisierung stark begünstigt. Im Rahmen dessen bildet sich ein „unbewusste[r] Wunsch nach Unheil“ (Adorno, 2019²), denn nur durch den Unterdrückungsmythos kann die eigene Opferrolle, die zur eigenen Identitätsbildung geworden ist, aufrecht erhalten werden. Die Teilnehmenden der „Querdenken“-Bewegung nicht an antisemitische Pamphlete zu verlieren, bleibt damit im Eigeninteresse der staatlichen Macht.

Die Studie der Universität Basel finden Sie hier.

Autor: Jonas Lüpnitz

1 Nachtwey, O., Schäfer, R., Frei, N. (2020). Politische Soziologie der Corona-Proteste. Basel: Universität Basel. https://doi.org/10.31235/osf.io/zyp3f

² Adorno T. W. (2019). Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Berlin: Suhrkamp Verlag. S. 20.