Kopo

Bundespräsident und Landkreise im Schulterschluss für ländliche Räume

Ländlicher Raum

Der Deutsche Landkreistag blickt zurück auf eine gelungene Jahrestagung in Timmendorfer Strand im Kreis Ostholstein – und das als Präsenzveranstaltung. Geehrt waren wir durch die Mitwirkung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Daniel Günther, die von grundlegender Bedeutung für das Zustandekommen der Tagung war. Sie ist ursprünglich gemeinsam mit dem Bundespräsidenten seit Juli 2018 als – größere – Landkreisversammlung mit mehr Teilnehmenden für den November 2020 konzipiert worden. Durch diese Planung hatte dann bekanntlich Corona einen Strich gemacht.

Unter dem Thema „Trotz(t) Corona – Wieder Land in Sicht.“ kamen 270 Landrätinnen und Landräte, Delegierte aus den Landkreisen, Politik und Organisationen zusammen, um die Landkreise und speziell die ländlichen Räume in den Mittelpunkt des politischen und medialen Interesses zu rücken.

Gut gewählter Zeitpunkt

Mit der Jahrestagung 2021 hat der Deutsche Landkreistag an die Debatte um gleichwertige Lebensverhältnisse angeknüpft. Insofern bestand der gemeinsame Gedanke der DLT-Hauptgeschäftsstelle und des Bundespräsidenten darin, im engen Schulterschluss eine Lanze für die Fläche zu brechen und die Frage der gleichwertigen Chancen für die ländlichen Gebiete in den Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Interesses zu heben. Unsere Erwartung ist insoweit, dass das Thema in der kommenden Legislaturperiode eine zentralere Rolle als in der derzeitigen spielt.

Der 9.7.2021 war dafür ein gut gewähltes Datum: Einerseits erlaubte die neuerliche Entspannung bei den Infektionszahlen zumindest eine Präsenzveranstaltung mit wenigen hundert Gästen, andererseits war auch die mediale Aufmerksamkeit für die Anliegen der Landkreise groß, bevor dann in der Woche darauf ein Cyberangriff auf eine Kreisverwaltung und kurz danach die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dominieren sollten.

Mit der Jahrestagung schafften wir es mithin nicht nur in drei Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und als komplette Seite drei in die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, sondern auch in mehrere Agenturmeldungen der dpa, in die heute-Sendung, das ZDF-Mittagsmagazin, den NDR, den Deutschlandfunk und weitere Radiosender. Außerdem übertrug PHOENIX einen Teil der Tagung.

In der Sendung „Kock am Sonntag“ von R.SH-Chefkorrespondent Carsten Kock, der für dieses Format vor ein paar Jahren den Deutschen Radiopreis bekommen hat, hörte sich das u. a. so an:

„Frank-Walter Steinmeier kam pünktlich. Großes Protokoll, eine gute Portion Sicherheit, Polizeihunde beschnuppern Journalistenmaterial und das Staatsoberhaupt hat bildlich gesehen Bock auf das Thema. Ist er selbst doch kein gebürtiger Großstadtmensch.“

Nur wer überall findet…

Zu Gast war die Jahrestagung in Ostholstein, dem Kreis von DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager, der zu Beginn der Veranstaltung dem Bundespräsidenten für sein vielfältiges Engagement rund um die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland dankte. Er sei ein starker Streiter für deren Interessen. „Land in Sicht“ hatte Steinmeier in den Bayerischen Wald geführt, in die Oberlausitz, nach Ostfriesland, in die Südwestpfalz und den Südharz, in die Uckermark und nach Vorpommern.

Seine Rede stellte der DLT-Präsident unter die Leitthese „Nur wer überall findet, was er zum Leben braucht, wird sich für ein Leben auf dem Land entscheiden.“ Neben Infrastruktur und Versorgung seien insbesondere das gesellschaftliche Engagement, das Miteinander und die starke ehrenamtliche Komponente in den Landkreisen wichtige Faktoren, die gestärkt werden müssten. Das seien bislang immer Pluspunkte für die Landkreise gewesen. Kreativität, aber auch das Engagement von Privaten, Unternehmen und auch der öffentlichen Hand seien weiterhin erforderlich, damit gleichwertige Lebensverhältnisse Wirklichkeit würden.

Für die individuellen Herausforderungen würden die Menschen und die Landkreise bei den Rahmenbedingungen Unterstützung von den Ländern und vom Bund benötigen. Nicht durch „Goldene Zügel“ von oben oder Bevormundung, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe. Zuallererst käme es auf eine verantwortungsbewusste und gestaltungswillige kommunale Selbstverwaltung vor Ort an. Ohne starke und finanzkräftige Landkreise und Gemeinden gehe das nicht. „Deshalb brauchen wir nicht nur eine ordentliche Finanzausstattung durch die Länder, sondern auch eine Verteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnern, damit gerade ländliche Gebiete die notwendigen Anpassungen der Infrastruktur stemmen können.“

Neue Förderprogramme würden demgegenüber nur punktuell helfen, keine nachhaltigen Strukturen schaffen und die Kommunen Stück für Stück immer abhängiger von Projektmitteln des Bundes und der Länder machen. Das entspreche nicht dem Selbstverständnis von kommunaler Selbstverwaltung, sagte er. Stattdessen liege die Lösung in der Kreativität aus eigener Kraft und in sehr unterschiedlichen, passgenauen Maßnahmen vor Ort. Die nächste Legislaturperiode werde zeigen, wie ernst es Bund und Ländern mit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wirklich sei.

Unsere Zukunft braucht das Land

Bundespräsident Steinmeier brachte es in seiner facetten- und bezugsreichen Rede auf den Nenner: „Aufs Land ziehen, aufs Land zurückkehren, auf dem Land bleiben: Das werden die Menschen nur tun – und auf die Dauer auch nur tun können! –, wenn sie kommunikativ und verkehrsmäßig nicht abgeschnitten sind. Verkehrs- und Daten-Infrastruktur sind in meinen Augen das oberste Gebot der Stunde. Unser Land braucht Zukunft – und unsere Zukunft braucht das Land!“

Die Menschen sollten wieder einen Blick aufs Land lernen und wahrnehmen, wie ihn diejenigen hätten, die selbst dort lebten. „Wenn ich meiner besonderen Reisetour durch ländliche Regionen in den vergangenen Jahren den Titel ‚Land in Sicht‘ gegeben habe, dann auch aus diesem Grund: Ich wollte sehen, welche Schwierigkeiten es gibt, welche Probleme erfolgreich angepackt werden, was für unerkannte Möglichkeiten dort längst ergriffen worden sind. Vor allem aber wollte ich sehen und hören, wie die Bürgerinnen und Bürger dort sich selbst sehen.“

Für ihn bedeute das in erster Linie eine Blickveränderung, einen Versuch, sich auf die Sichtweise derer einzulassen, die auf dem Land leben und das Zusammenleben dort gestalten und organisieren. Und es gehe auch darum, die Tatsache wieder einmal in den Blick zu nehmen, dass die Mehrheit der Deutschen auf dem Land wohne und dort für die eigene Zukunft arbeite.

Der Bundespräsident sprach darüber hinaus die 294 deutschen Landrätinnen und Landräte direkt an und stärkte ihnen den Rücken. „Sie sind zu Recht stolz und selbstbewusst genug, um zu wissen, dass Sie eine Mehrheit repräsentieren. Sie sind auch stolz und selbstbewusst genug, um zu wissen, mit welchem Engagement auf dem Land für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet wird, wie dort demokratisches Bewusstsein lebendig ist – und welcher Beitrag dort geleistet wird zum Ganzen unseres Gemeinwesens. Und Sie verkörpern auch das tiefe Wissen darum, dass letzten Endes das Land vielleicht ohne die Stadt denkbar ist, die Stadt aber nicht ohne das Land.“

Stabile soziale Strukturen

Daran schloss sich das herzliche Willkommen des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein Daniel Günther an. Er gab zunächst ein deutliches Bekenntnis zu den föderalen Strukturen ab – gerade in der Corona-Zeit habe sich einmal mehr die dezentrale Verantwortung bewährt, namentlich durch die hervorragende Arbeit der Gesundheitsämter der Landkreise. Hier sei in den vergangenen Monaten viel geleistet worden.

Mit Blick auf das Tagungsmotto sprach er davon, dass das Leben im ländlichen Raum mit den Erfahrungen der vergangenen Monate nun wieder attraktiver werden könnte. „Ich bin überzeugt, dass es so ist“, sagte er. Das eigene Haus mit Garten, die Dorfgemeinschaft, in der man sich gegenseitig helfe und z. B. Einkäufe füreinander erledige – all das seien Vorzüge des ländlichen Raums. Und diese hätten gerade in der Pandemie einen ganz neuen Stellenwert bekommen. Auch ein Blick in die Sportvereine sage viel aus: In den Städten herrsche ein massiver Mitgliederschwund.

Auf dem Land seien die allermeisten Menschen ihren Vereinen treu geblieben. „Weil man einander unterstützt. Weil man gemeinsam bewahren will, was für das Zusammenleben wichtig ist. Auf dem Land gibt es stabile soziale Netzwerke, die auch in der Krise reißfest geblieben sind. Und die nun mit den Erfahrungen der Pandemie wieder mehr gefragt sind.“

Nachhaltiges Wachstum für die Fläche

Den Themen Klimaschutz und Klimawandel widmete sich der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Andreas Jung. Er ging auf die Strukturen zum Umgang mit Krisen ein. Er sagte, dass in der Krise eben nicht der Zentralstaat überlegen sei, sondern der Föderalismus, gerade in Verbindung mit der kommunalen Selbstverwaltung. „Diese Stärke brauchen wir in der Krise und dauerhaft. Deshalb will ich mich dazu ganz ausdrücklich bekennen. Das ist der Weg, den wir gehen müssen.“ Das gelte auch und gerade beim Klimaschutz, führte er weiterhin aus. „Wir brauchen, damit der Weg zur Klimaneutralität und die Energiewende zum Erfolg werden, die ländlichen Räume.“

Dazu gehöre, dass an dieser Stelle „nichts übergestülpt“ werde, sondern es gehe darum, die Menschen mitzunehmen. Es gehe um Akzeptanz bei einem Weg bis 2045. Klimaschutz durch Innovationen sei der Schlüssel dazu. Jung bezeichnete es als seine Philosophie, „dass wir Klimaneutralität erreichen und Industrieland bleiben, dass wir Klimaziele erreichen und Mobilität für alle, auch für alle im ländlichen Raum sichern und gerade damit auch gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen.“ Andere hingegen würden auf Schrumpfung setzen, auf Verzicht als politisches Konzept. Er glaube, dies sei der falsche Weg: „Was Schrumpfung bedeutet, haben wir während Corona erlebt: leere Kassen in den Kommunen, leere Kassen in den Ländern, leere Kassen im Bund.“ Es gehe daher um nachhaltiges Wachstum durch Technologien, durch Verkehrskonzepte, durch Energieeffizienz in den Gebäuden, um zu beweisen, dass es möglich sei, Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit miteinander zu vereinbaren.

Technologieführerschaft sei dabei auch eine Überlebensfrage für die deutsche Wirtschaft. So komme der Wasserstoffstrategie eine entscheidende Rolle zu – nicht nur für die Standorte, sondern insgesamt. Deutschland sei ein Industrieland und müsse es bleiben. Dazu gehöre nicht zuletzt auch Geschwindigkeit bei den Innovationen. Darin liege auch die Chance, Wertschöpfung im ländlichen Raum zu stärken.

Der hauptstädtischen Politikblase entkommen

Nach diesen politischen Akzenten wurde das thematische Spielfeld weiter aufgerissen und um die Perspektive von ZDF-Chefredakteur Dr. Peter Frey erweitert. Er sprach von einer Gefahr, der die Medien widerstehen müssten: „Wenn das Fernsehen nur ein Teil der hauptstädtischen Politblase wird und die von der Politik Betroffenen ausblendet, wenn wir auch sprachlich allzu sehr in den Jargon der Politik verfallen, wenn wir die Nähe der Mächtigen suchen, dann besteht die Gefahr, dass dieses Medium die Bürger von der Demokratie abblendet und ausblendet.“ Wenn das Fernsehen aber nah bei den Leuten sei, dann zwängen diese Fernsehbilder auch die Politik, genauer hinzuschauen.

Seine zentrale These lautete: Gerade in den Zeiten, wo der Populismus Boden gewinne, werde für Journalisten überhaupt, vor allem aber für das Fernsehen das Rausgehen und Zuhören immer wichtiger. Das betreffe die Vielfalt der Lebensverhältnisse der Menschen in den verschiedenen Milieus. Das ZDF habe daher Sonderformate „Moma vor Ort“ und „ZDF in“ ins Leben gerufen. Das alles firmiere unter dem Begriff „Bürgerfernsehen“. „Wir haben diese Formate vor etwa drei Jahren neu ins Leben gerufen und es hatte etwas mit dieser populistischen Welle zu tun. Wir haben gespürt, dass sich Menschen auf dem Land abgekoppelt gefühlt haben, dass sie sich zu wenig bei uns wiedererkannt haben und wir haben uns die Frage gestellt, was können wir eigentlich tun. Und wir haben eben diese systematischen Ansätze gesucht. Das ist, wenn Sie so wollen, ein bisschen Lokaljournalismus im Fernsehen“, sagte Frey. Das Morgenmagazin erreiche in seinen werktäglich dreieinhalb Sendestunden zwischen 4 und 5 Mio. Zuschauer.

Kultur für das Land

Der Bogen spannte sich sodann weiter zur Kultur in den ländlichen Räumen. Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musikfestivals, sprach engagiert davon, wie es ist, mit relativ begrenzten finanziellen Mitteln „Kultur in ihren Ausprägungen“ in die Fläche zu bringen. Kuhnt zeichnete auch verantwortlich für die gelungenen Musikbeiträge dieser Jahrestagung, in Gestalt von fünf Mitgliedern des Festivalorchesters.

Er verband sein Musikfestival von der Ausgangssituation mit dem Festival in Wacken. Beide Ereignisse lebten von engagierten Menschen, die eine gute Idee gehabt hätten, von der sie nicht geglaubt hätten, dass sie so groß werden könne. Das wirke nicht zuletzt identitätsstiftend. „Dort, wo solche Kulturereignisse stattfinden, da fühlen sich die Menschen wohl, da identifizieren sie sich mit ihrer Kultur und das gelingt dort, wo eine unmittelbare Nähe vorhanden ist viel leichter als dort, wo Kultur verordnet wird“, sagte er. In diesem Zusammenhang sprach er auch die kulturellen „Leuchttürmen in den Metropolen“ an. Die Elbphilharmonie helfe dem kulturellen Leben in Schleswig-Holstein überhaupt nicht. Von daher dürfe man nicht denken, das kulturelle Leben könne mit den großstädtischen Angeboten gleich miterledigt werden. Vielmehr müsse sich das Land selbst um seine Kultur kümmern. „Das bedeutet manchmal, Kultur kann auch dort entstehen, wo die Geldmittel knapp sind. Wie gesagt, wo die Not am größten, ist Apollo am nächsten“, brachte er es schließlich auf den Punkt. „Ich wünsche mir mehr Scheinwerferlicht auf die kleinen Initiativen und weniger auf die Berlinale.“

Deutungshoheit über das Landleben

Einen ebenfalls kulturellen Akzent setzte des Weiteren Bestsellerautorin Dr. Dörte Hansen, die im Gespräch mit DLT-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Hans-Günter Henneke über das Leben auf dem Lande, wie es im Buche steht, wie es ist und künftig sein wird, sprach. Diese nicht nur inhaltsreiche, sondern auch sehr unterhaltsame gute halbe Stunde war ein für den Deutschen Landkreistag im Rahmen einer Jahrestagung neues Format – die Autorin las besonders zum Thema passende Passagen aus ihren Erfolgsromanen „Mittagsstunde“ und „Altes Land“ und diskutierte diese dann mit ihrem Gesprächspartner.

In seinen einführenden Worten stellte Henneke einen unmittelbaren Zusammenhang zur Rede des Bundespräsidenten her, der bezogen auf Fragen des ländlichen Raumes veränderten Blickwinkel eingefordert hatte. Dr. Dörte Hansen habe diesen Blickwinkel bereits seit Langem verinnerlicht: „Hier schreibt jemand erkennbar über selbst Erlebtes, nicht mit dem oft herablassenden Blickwinkel des Betrachters von außen, aber doch auch mit dem gebotenen Maß an Distanz zum behandelten Gegenstand und ohne jegliche Verklärung.“ Dörte Hansen sei damit nicht nur als Schriftstellerin von Bedeutung, sondern mit gleicher Gewichtigkeit eine Zeitzeugin für die Veränderung des Lebens auf dem Lande seit Mitte der 1960er Jahre.

Hansen sprach u. a. über ihre Überzeugung, dass es einen gewissen toten Punkt in den Dörfern gegeben habe, an dem man alles, was im Dorf passiert sei, als eine Verlustgeschichte gesehen habe. „Mittlerweile glaube ich, dass dieser tote Punkt durchschritten ist, und dass es jetzt praktisch wieder in eine positive Richtung geht. Ich bin momentan sehr positiv gestimmt, was das Landleben angeht, auch, weil ich sehe, wie Leute diesen Kontakt suchen zwischen Stadt und Land. Ich glaube, dass es gar nicht mehr so eine Unterscheidung gibt zwischen Land- und Stadtmenschen. Ich glaube, dass wir alle mittlerweile mehr oder weniger Hybride sind, wenn man das so nennt. Wir sind alle ein Teil Stadt und ein Teil Land.“

Dabei sei wichtig, dass das Land keine Belehrung brauche. „Was denken eigentlich die Leute, die auf dem Land schon waren, bevor die Leute aus der Stadt kamen, über diese Leute, die da ankommen und ihnen innerhalb kurzer Zeit erzählen wollen, wie Landwirtschaft geht?“ In ihrem jüngsten Roman sei es ihr daher auch darum gegangen, einen Perspektivwechsel hinzubekommen und zu sagen „Haltet uns nicht für blöd hier auf dem Land und beschreibt uns nicht.“ Es sei ihr darum gegangen, die Deutungshoheit über das Landleben ein Stück weit wieder zurückzuholen zu Leuten, die sich auf dem Land ein bisschen auskennten.

Die Infrastruktur muss stimmen

Weiter ging es mit herausgehobenen Persönlichkeiten, die sich mit dem Leben, Arbeiten und Wirtschaften in den ländlichen Räumen in besonderer Weise auskennen. Fachkundig und gleichzeitig unterhaltsam moderiert von NDR-Journalistin Harriet Heise ging es in der Diskussionsrunde um Herausforderungen in den ländlichen Räumen nach der Pandemie.

Andreas Leicht, Geschäftsführender Gesellschafter des Hansa-Parks Sierksdorf, betonte die infrastrukturellen Voraussetzungen für das Wirtschaften in der Fläche. Es gelte, die Bedingungen ständig zu verbessern, z. B. in Bezug auf die verkehrliche Anbindung. Die Politik werde zu sehr aus der großstädtischen Perspektive heraus gemacht und nicht etwa – was richtig wäre – aus der Sicht der Landbevölkerung. Solange sich das nicht ändere, könne man Stadt und Land nicht zusammendenken. Nach wie vor komme die Kraft aus dem Land, aus der Fläche.

Dieter Schön, Gesellschafter der Schön-Klinikgruppe, der 1995 das Kreiskrankenhaus in Ostholstein übernommen hatte, unterstrich die Notwendigkeit passender Infrastrukturen. Die Krankenhausgruppe sei angewiesen auf gute Mitarbeitende, die ihrerseits an den Standorten gute soziale, digitale und verkehrliche Bedingungen vorfinden müssten. Das sei entscheidend für die Diskussion um gleichwertige Lebensverhältnisse. Dabei müssten Planungs- und Entwicklungsprozesse in Deutschland schneller gehen, um wirtschaftliche Potenziale optimal zu realisieren.

DLT-Präsident Landrat Sager betonte, dass in Ostholstein die Gesundheitswirtschaft neben dem Tourismus eine tragende Rolle spiele. Viele tausend Arbeitsplätze würden dadurch in Ostholstein gesichert. Generell sprach er sich gegen das Hineinreden des Bundes in die maßgeblichen Sachpolitiken vor Ort aus, z. B. in Bezug auf die Schulen. Das führe zu organisierter Unverantwortlichkeit und sei gleichwertigen Lebensverhältnissen abträglich. Stattdessen müsse man wieder zu einer eindeutigen Zuordnung staatlicher Aufgaben kommen, um darauf aufbauend die notwendigen Finanzen einzusetzen. Leider sei parteiübergreifend seit Langem das Gegenteil zu beobachten, was eine sehr ungute Entwicklung sei.

Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß von der Technischen Universität Kaiserslautern unterstützte diese Aussage und ergänzte sie durch die Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme europäischer Fördermittel. Ansonsten machte sie sich in der Diskussion für eine voranschreitende Digitalisierung des Wirtschaftslebens, aber auch der Gesellschaft stark. Darin lägen erhebliche Chancen gerade für die ländlichen Räume, einschließlich des mobilen Arbeitens. Gerade Softwareentwicklungen oder andere ortsunabhängige Tätigkeiten könnten komplett aus der Fläche heraus erledigt werden. Diese Entwicklung werde weiter voranschreiten.

An einem Strang ziehen

Die Zusammenfassung der vielfältigen Inhalte der Jahrestagung oblag DLT-Vizepräsident Landrat Bernhard Reuter, der diese Aufgabe zum letzten Mal übernahm, da er im Herbst in den Ruhestand tritt. Er stellte gegenüber den drei Rednern aus der Politik fest: „Wir sind uns einig in dem Anliegen: Wir brauchen starke ländliche Räume und haben dafür heute Unterstützung erfahren. Und ich bin mir sicher: Wir werden auch in der nächsten Wahlperiode auf Sie zukommen und diese Unterstützung einfordern.“

Reuter ergänzte seine Ausführungen mit einigen rückblickenden Betrachtungen zu seiner langjährigen Zeit als Vizepräsident des kommunalen Spitzenverbandes. Dabei hob er vor allem das politische Erwirken der kommunalen Trägerschaft für die seinerzeit 69 Optionskommunen hervor sowie den erfolgreichen Einsatz des Deutschen Landkreistages für tragfähige Kommunalfinanzen.

Er schloss mit einem Appell: „Wir als Landkreise dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen, weder an der Linie der Parteigrenzen, aber auch nicht an der Linie unterschiedlicher regionaler Interessen. Wir müssen an einem Strang ziehen.“ Dafür bräuchte es eine „starke Geschäftsstelle in Berlin, die mit kluger Strategie, mit hoher fachlicher Kompetenz, mit bemerkenswertem Engagement und mit guter Kommunikation überzeugt. Und die gute Nachricht ist: Diese Geschäftsstelle haben wir. Sorgen Sie dafür, dass dies so bleibt. Denn wir haben noch so Einiges vor der Brust: Corona-Krise und ihre Folgen, Digitalisierung, schnelleres Internet, Klimaschutz und natürlich weiterhin die Dauerbaustelle zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.“

Autor: Dr. Markus Mempel, Pressesprecher des Deutschen Landkreistages

Tags: , ,

Artikel drucken

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren