Diese moderne Gretchenfrage erregt nicht nur die Gemüter, sondern stellt eine ernstzunehmende Herausforderung insbesondere in der politischen und institutionellen Kommunikation dar. Denn irgendwie muss man sich in Sachen genderangemessene Sprache ja positionieren – nur wie?
Früher sprach man von den Ministern und gut war’s – und wenn unter den Ministern auch Frauen waren, dann war das kein Widerspruch, denn mit dem Maskulinum wurde nicht nur eine spezifisch männliche, sondern auch eine generische (= geschlechtsabstrahierende) Bedeutung transportiert. Aber diese generische Bedeutung hatte das Maskulinum nicht nur „früher“, sondern es hat sie auch heutzutage, denn es ist ein sprachwissenschaftliches Faktum, dass Maskulina – je nach Kontext – sowohl männlich als auch generisch interpretiert werden können. Seit einigen Jahren jedoch mehrt sich Widerstand gegen die Verwendung generischer Maskulina. Infolgedessen werden Formen wie Minister*innen (Genderstern), Minister_innen (Gendergap) oder Minister:innen (Gender-Doppelpunkt) immer populärer und zwischenzeitlich ist das Gendern, mit Claus Kleber, Petra Gerster, Pinar Atalay oder Anne Will, auch in der mündlichen Alltagskommunikation angekommen. Dabei werden gegenderte Formen durch eine kurze Sprechpause (der Linguist spricht von einem glottalen Verschlusslaut) vor dem Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt kenntlich gemacht.
Gendern – warum (nur)?
Doch woher kommt dieser Widerstand gegen das generische Maskulinum? Oft liegt dem ein Missverständnis zugrunde, nämlich die Gleichsetzung von maskulin und männlich. Diese Gleichsetzung ist aber sachlich falsch, da es sich um zwei unterschiedliche Merkmale handelt: Das Maskulinum ist (wie das Femininum und Neutrum) ein Genus des Deutschen. Ein Genus haben alle Nomen, ob belebt oder unbelebt – man denke nur an die Hose, das Kleid oder den Mantel. Die Kategorien männlich bzw. weiblich sind jedoch (wie jeder weiß) Geschlechtsbezeichnungen: hier geht es um Sexus und nicht um Genus. Auch ist Sexus – im Gegensatz zu Genus – kein obligatorisches Merkmal: So sind Person, Model oder Teenager sexuslose Nomen, ein Genus haben sie selbstverständlich trotzdem. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind auch generische Maskulina sexuslos – was heißt, dass dadurch kein Bezug auf das Geschlecht der dadurch Bezeichneten genommen wird. Dass das Maskulinum tatsächlich eine generische Lesart besitzt, kann man an Beispielen wie Hans und Maria sind Lehrer oder Ein Staatssekretär hat viele Aufgaben zeigen. Zu erkennen, dass die Wörter Lehrer und Staatssekretär im gegebenen Kontext geschlechtsabstrahierend zu interpretieren sind, gehört sowohl zum sprachlichen Wissen als auch zum Weltwissen. Aus beidem schöpfen wir, wenn wir Sprache verarbeiten und produzieren.
Mehrdeutigkeit und Sprachwandel
Natürlich könnte sich Staatssekretär im obigen Beispiel auf eine männliche Person beziehen. Genauso, wie das ein in ein Staatssekretär zahlenmäßig (z.B. im Sinne von nicht zwei) verstanden werden könnte. Welche Interpretation die wahrscheinlichere ist, determiniert der Kontext – größere Probleme bereitet das meistens nicht: Selten wohl sorgt es für Verwirrung, dass Bank sowohl Geldinstitut als auch Sitzgelegenheit bedeuten kann. Mehrdeutigkeiten sind der Sprache inhärent und sie sind auch nicht schädlich, sondern – ganz im Gegenteil – sehr nützlich, weil sie Sprache ökonomischer und somit effektiver machen. So ist nicht nur die Tatsache, dass es eine generische Form im Deutschen gibt, ein großer Vorteil, sondern auch, dass es gerade die unmarkierte, kürzere und maskuline Form ist, die über eine generische Bedeutung verfügt und nicht die abgeleitete, komplexere feminine Form. Das ist auch kein Zufall, sondern folgt einem auf Ökonomie bedachten Strukturprinzip, das wir nicht nur in der deutschen Sprache finden. Bezeichnend für die Komplexität des Genderns ist (absurderweise), dass es gerade dort ein Ende findet, wo es um praktische und nicht nur um theoretische Inklusion geht, nämlich bei der Leichten Sprache.
Dass Sprache sich verändert wird wohl niemand sinnvoll bestreiten können. Ab und zu stößt man jedoch auf Aussagen, wo gesagt wird, man solle sich entspannen und das Gendern akzeptieren, es wäre Ausdruck eines aktuell stattfindenden Sprachwandels. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber doch irreführend, denn natürlicher Sprachwandel ist absichtslos, er passiert mehr oder weniger unbewusst. Meistens werden dabei komplexere Formen zu Gunsten von einfacheren zurückgebaut oder ersetzt (z.B. beim Tempus). Beim Gendern ist es jedoch genau andersrum: weg von der schlichten, hin zur komplexen Form, von den Ministern zu den Minister*innen. Dem Gendern liegt kein natürlicher, sondern ein künstlicher Sprachwandel zugrunde, vergleichbar mit der Rechtschreibreform. Doch wer solch einen künstlichen Sprachwandel initiieren kann, der besitzt naturgemäß eine gewisse Macht und Deutungshoheit – es geht also auch um Sprachpolitik.
Mitgemeint vs. sichtbar
Das generische Maskulinum wird oft mit dem Argument kritisiert, Frauen und diverse Menschen seien nur „mitgemeint“. Doch trifft das nicht den Kern: Es ist falsch, zu sagen, das generische Maskulinum beziehe sich vor allem auf männliche Personen und „der Rest“ sei mitgemeint. Richtig ist, dass mittels generischer Maskulina wie Minister keine Aussage über das Geschlecht der Bezeichneten gemacht wird, da hierüber gar keine Spezifizierung des biologischen oder sozialen Geschlechts vorgenommen wird. Im Gegensatz dazu bezeichnen gegenderte Formen wie Minister*innen Personen aller biologischen oder sozialen Geschlechter, die ein Ministeramt innehaben. Im Bedeutungsinhalt unterscheiden sich die beiden Formen, im Bedeutungsumfang jedoch nicht: Ob Unterspezifikation von Geschlecht oder Spezifikation aller Geschlechter – beide Ausdrucksmöglichkeiten erfassen die gleichen Individuen.
Nun scheint es, unabhängig von der linguistischen Klärung des Sachverhalts, Menschen zu geben, die sich von generischen Maskulina nicht angesprochen fühlen. Ein bisschen ketzerisch könnte man einwenden: Gibt es die wirklich oder wollen die das einfach nicht? Das sei mal dahingestellt. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kann hier kaum Abhilfe geleistet werden, denn das Maskulinum hat nachweislich eine generische Lesart. Deshalb nur so viel: Je mehr gegendert wird, desto eher verliert das Maskulinum seine generische Bedeutung. Und das gilt auch für den „Einzelfall“ – wer ein Minister*innen einstreut, macht alle nachfolgenden Minister zu Männern.
Gendern ohne Ende (?)
Entscheidet sich jemand für das Gendern, muss er sich zwangsläufig die Frage stellen, wo es seine Grenzen findet. Dafür lohnt ein Blick in die Geschäftsordnung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Hier finden wir u.a. das Bürgerbegehren, die Einwohner/innenanfragen und den Einwohner*innenantrag, sogar kurz hintereinander, in den §§32, 33 und 34. Nicht nur, dass hier keine einheitliche Regelung greift, auch hinterlässt dieses Nebeneinander ein Durcheinander. Wer in Wortzusammensetzungen gendert, sollte wenigstens konsequent sein und weder das Bürger*inbegehren (oder doch Bürger*innenbegehren?), noch den Zuschauer*innenraum auslassen. Gegenderte Ableitungen wie Genoss*innenschaft und unleser*inlich fehlen (bisher), zum Glück: Nichtsdestotrotz fragt man sich, warum hier nicht gegendert wird, bei Erstgliedern von Komposita aber schon. Es bleibt ein mehr oder weniger willkürlicher Entschluss.
Sprache und Denken
Eines der Hauptargumente für das Gendern sind sogenannte Assoziationsstudien. Dadurch soll gezeigt werden, dass bei generischen Maskulina überwiegend an männliche Personen gedacht wird. Diese Studien sind jedoch problematisch – unter anderem, weil sie die Bedeutung eines Wortes auf den Kontext, in dem die Wörter abgefragt werden, limitieren. Auch können weitere Wortarten wie Adverbien oder Konjunktionen kaum sinnvoll mit Assoziationen belegt werden – was z.B. assoziiert man mit endlich oder dass? Damit ein Bedeutungsbegriff anwendbar ist, muss er schon universal einsetzbar sein. Auch dass Sprache das Denken bestimmt wird immer wieder, ohne kritisches Hinterfragen der streitbaren Sapir-Whorf-Hypothese, vorgebracht. Dass diese angezweifelt werden darf, zeigt z.B. die Bezeichnung DDR: Ob die DDR als demokratischer Staat empfunden wurde, weil es der Name suggerierte? Wohl kaum.
Ideologie, Identität und Commitment
Über die Autorin: Ewa Trutkowski ist promovierte Sprachwissenschaftlerin und forscht zu verschiedenen Schnittstellenphänomenen des Deutschen. Sie ist mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main assoziiert und arbeitet als Forscherin an der Freien Universität Bozen.
Der Beitrag ist erschienen in der Februar-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO)
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