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Europa ist und bleibt ein Staatenverbund

Europa

Europas Stärke liegt in der Unterschiedlichkeit und im Aufbau von unten nach oben, was auch von einer vertieften Europäischen Union respektiert werden muss. Dies wurde erst jüngst in den Dresdner Thesen zum 24. Deutschen Sparkassentag hervorgehoben.

Henneke2-300ppi-75Ein Beitrag von Prof. Dr. Hans-Günter Henneke,
Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages

 

 

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Europas Särke liegt in der Unterschiedlichkeit | ©rcx@Fotolia

Ausdrücklich wurde beim 24. Deutschen Sparkassentag eine konsequente Beachtung des Subsidiaritätsprinzips eingefordert, um den in der Unterschiedlichkeit liegenden Stärken in Europa, etwa der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, besser gerecht zu werden. Zudem wurde gefordert, in einem transparenten Verfahren einen breiten gesellschaftlichen Konsens und eine demokratische Legitimation in den Mitgliedstaaten darüber herzustellen, welche Art von Weiterentwicklung der Europäischen Union die Bürger wirklich wollen.

Auf dem Sparkassentag hat der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans- Jürgen Papier, diese Aspekte näher ausgeleuchtet und hervorgehoben, dass Demokratie auf europäischer Ebene erst wirklich funktionieren könne, wenn die Existenz eines gemeinsamen europäischen Staatsvolks und eines identitätsstiftenden gesamteuropäischen Nationalbewusstseins, ein Mindestmaß der Entwicklung einer gesamteuropäischen Zivilgesellschaft, eine gesamteuropäische Mediengesellschaft und eine gesamteuropäische Parteienlandschaft gegeben seien, um sodann festzustellen, dass alle diese Grundbedingungen einer wirksamen Demokratie staatlichen Zuschnitts derzeit fehlen. In der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU müsse es daher auch um einen Kompetenzrückbau auf nicht zwingend europäisch zu regelnden Politikfeldern gehen.

Von anderer Seite wurden dagegen zur Sicherung einer soliden Wirtschafts- und Währungsunion gänzlich andere Akzente gesetzt und eine Weiterentwicklung der EU auf der Grundlage des Demokratieprinzips hin zu einer Politischen Union durch Stärkung des Europäischen Parlaments und die Einrichtung einer Regionenkammer gefordert. Die Vertreter dieser Auffassung gehen offenkundig vom Bestehen einer europäischen Bürgerschaft im Sinne einer gesamteuropäischen Zivilgesellschaft aus und leiten daraus ab, dass Europas Bürger der Politik nur vertrauten, wenn sich die politischen Instanzen als handlungsfähig erweisen. Es wird die Ansicht vertreten, dass mit der Übertragung von Zuständigkeit an die EU die Mitgliedstaaten ihr gemeinsames Gewicht stärkten und einem Bedeutungsverlust vorbeugten. Dies sei auch zur Stärkung des Standorts Deutschlands in Europa und zur Wahrnehmung der Interessen in allen weiteren Politikfeldern zukunftsweisend. Die EU müsse bei Stärkung des Europäischen Parlaments Schritte hin zu einer Politischen Union vollziehen. Bei alledem soll allerdings das Subsidiaritätsprinzip weitergelten. Zur Umsetzung wird die Einsetzung eines EU-Konvents 2014 erwogen.

Ich halte diesen Weg für falsch und gefährlich, politisch aber auch für nicht durchsetzbar. Dafür sind folgende Gründe maßgeblich:

Die EU ist kein Staat

Die Europäische Union ist kein Staat, sondern ein Staatenverbund. Sie leitet ihre Kompetenzen nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung von den 27 Mitgliedstaaten ab. Allein diese sind die „Herren der Verträge“. Die EU verfügt ungeachtet der Fülle der auf sie übertragenen Kompetenzen, insbesondere der Währungshoheit, nicht über die Kompetenz-Kompetenz im Verhältnis zu den 27 Mitgliedstaaten.

Demokratische Legitimation bleibt notwendig | ©-ferkelraggae

Demokratische Legitimation bleibt notwendig | ©-ferkelraggae@fotolia

Für die Europäische Union in der Gestalt, die sie durch den Vertrag von Maastricht erfahren hat, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese Charakterisierung entwickelt, der von den Mitgliedstaaten getragen wird und der deren nationale Identität achtet. Das BVerfG hat entschieden, dass der EU-Vertrag einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der – staatlich organisierten – Völker Europas begründet, nicht dagegen einen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Bundesstaat. Im Staatenverbund der Europäischen Union erfolgt demokratische Legitimation notwendig durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzu tritt – im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend – innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament. Ein Übergewicht von Aufgaben und Befugnissen in der Verantwortung des europäischen Staatenverbundes würde die Demokratie auf staatlicher Ebene nachhaltig schwächen, so dass die mitgliedstaatlichen Parlamente die Legitimation der von der Union wahrgenommenen Hoheitsgewalt nicht mehr ausreichend vermitteln könnten.

Vermitteln die Staatsvölker – wie gegenwärtig in der EU der Fall – über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation, sind mithin der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Union vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Jedes der Staatsvölker ist Ausgangspunkt für eine auf es selbst bezogene Staatsgewalt. Den Staaten müssen daher Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben. Die Wahrnehmung von Hoheitsgewalt durch einen Staatenverbund wie die Europäische Union gründet sich auf Ermächtigungen souverän bleibender Staaten, die im zwischenstaatlichen Bereich regelmäßig durch ihre Regierungen handeln und dadurch die Integration steuern.

Maßgeblich ist für das BVerfG mithin, dass der Europäischen Union ungeachtet der Fülle der auf sie übertragenen Kompetenzen, insbesondere der Währungshoheit, die Kompetenz-Kompetenz fehlt. Der Vertrag von Lissabon stellt ausdrücklich auf den Gesichtspunkt der „Übertragung“ ab und betont die tragende Rolle der Mitgliedstaaten, wenngleich es gerade durch diesen Vertrag zu erheblich erweiterten Kompetenzen der Europäischen Union gekommen ist. Das BVerfG stellt ausdrücklich heraus, dass der „Systemwechsel“ von einem Staatenverbund in einen europäischen Bundesstaat von Art. 23 GG nicht gedeckt ist und der Entscheidung des Verfassungsgebers „Volk“ gemäß Art. 146 GG und nicht lediglich des verfassungsändernden Gesetzgebers bedarf.

Demokratische Legitimation bleibt notwendig

Solange die Europäische Union kein Staat ist, kann auch das Europäische Parlamentssystem bedingt nicht voll dem Parlament eines Staates entsprechen, woraus folgt, dass die demokratische Legitimation über die nationalen Parlamente notwendig bleibt. In der Direktwahl zum Europäischen Parlament kommt allerdings ebenso wie in der unmittelbaren Berechtigung und Verpflichtung von Individuen zum Ausdruck, dass die Europäische Union nicht nur eine Union der Staaten, sondern auch der Bürger ist. Bezieht man diesen Aspekt der Repräsentation der Bürger ein, so gibt der Begriff des Staatenverbundes den besonderen Charakter der Europäischen Union zutreffend wieder.

Eine ausschließliche Zuständigkeit hat die EU nach dem Lissabon-Vertrag nur in den Bereichen Zollunion, Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln, die Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sowie für die Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik und eine gemeinsame Handelspolitik. Bei diesen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung übertragenen ausschließlichen Kompetenzen der EU gilt das Subsidiaritätsprinzip nicht.

Bei nicht auf die EU übertragenen Kompetenzen bedarf es umgekehrt des Subsidiaritätsprinzips nicht, da die EU hier gar keine Zuständigkeiten hat. Nur in Bereichen, in denen eine geteilte Zuständigkeit besteht, ist das Subsidiaritätsprinzip von Bedeutung.

Die Wirtschaftspolitik ist – anders als die vorgenannten ausschließlichen Zuständigkeiten – auch nach dem Vertrag von Lissabon weiterhin in der Verantwortung der Mitgliedstaaten verblieben, die dabei allerdings unionsrechtlichen Vorgaben zur Koordinierung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu beachten haben, deren Einhaltung einem Kontrollverfahren der Union unterworfen wurde.

Angesichts der großen politischen Anstrengungen, derer es bedurfte, um den Lissabon-Vertrag überhaupt in Kraft zu setzen, erscheint es weder wünschbar noch realistisch, die Statik dieses so errichteten Hauses wieder verändern zu wollen. Schritten hin zu einer Politischen Union durch Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU bzw. sogar die Übertragung einer Kompetenz-Kompetenz ist mithin für die nächste Zeit eine klare Absage zu erteilen.

Vielmehr erscheint es zur Kompensation der ausschließlichen Zuständigkeiten der EU geboten, bei den geteilten Zuständigkeiten dem Subsidiaritätsprinzip wieder verstärkte Beachtung zu schenken und Wirksamkeit zu verleihen. Einer Modifikation der Verträge bedarf es insoweit nicht.

Wenn die EU aber kein Bundesstaat ist, sondern nur materienspezifisch über abgeschichtete, von Seiten der Mitgliedstaaten verliehene Kompetenzen verfügt und sich dies in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird und ändern soll, ist es weder verfassungsrechtlich möglich noch politisch angezeigt, das Europäische Parlament als „Vollparlament“ im Sinne des Gewaltenteilungsprinzips auszugestalten. Im Übrigen wäre der gleiche Zähl- und Erfolgswert jeder Stimme bei der Wahl des Europäischen Parlaments eine zwangsläufige Folge. Malta mit gut 400.000 Einwohnern stellte dann in der EU der 500 Mio. Einwohner gerade noch einen, Deutschland dagegen 121 von 736 Abgeordneten. Eine derartige Umgewichtung erscheint gegenwärtig völlig unvorstellbar.

Das BVerfG hat in einer Serie von Entscheidungen völlig zu recht hervorgehoben, dass die zentrale Verantwortung und demokratische Legitimation auch für Maßnahmen der Europäischen Union nach wie vor bei den nationalen Parlamenten liegt und die europäische Integration nicht zu einer Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland führen darf. Daran gilt es festzuhalten.

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