Der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments hat gestern grundsätzlich dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zugestimmt, für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen europaweit einheitliche Vergaberegelungen zu schaffen.
Trotz des Engagements deutscher Abgeordneter konnten nur punktuelle Verbesserungen für die kommunalwirtschaftlichen Strukturen in Deutschland entschieden werden. Der in Europa angelegte grundsätzliche Konflikt zwischen der Durchsetzung von Wettbewerbsstrukturen auch in den Kernbereichen kommunaler Daseinsvorsorge, zum Beispiel der Trinkwasserversorgung, und der Achtung bewährter kommunaler und bürgernaher Organisationstrukturen in den Mitgliedstaaten durch Brüssel (Subsidiaritätsgedanken), wurde erneut eindeutig zu Gunsten des reinen Wettbewerbsgedankens entschieden.
„Das gestrige Abstimmungsergebnis belegt, dass einheitliche Festlegungen aus Brüssel zur Organisation der Daseinsvorsorge und insbesondere der Trinkwasserversorgung in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Bürger in die falsche Richtung führen“, sagt Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Die jetzt geplante Verschärfung des Vergaberechts für Konzessionen greift aus VKU-Sicht tief in die kommunalen Strukturen einer „sehr gut organisierten und funktionierenden Wasserwirtschaft ein“, so Reck. „Die Wasserver- und die Abwasserentsorgung müssen deshalb aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgehalten werden. Mit punktuellen Nachbesserungen, die auf alle Mitgliedstaaten passen müssen, ist es nicht getan. Wir haben in Deutschland eine funktionierende kommunale Wasserwirtschaft, die von den Bürgern hoch geschätzt wird.“ Reck weiter: „Die Bürger in Deutschland setzen bei ihrem wichtigsten Lebensmittel auf kommunale Verantwortung und kommunalwirtschaftliche Leistungserbringung. Die kommunalwirtschaftlichen Strukturen bei der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung genießen höchste Wertschätzung.“ Das belegt auch eine repräsentative Umfrage, die Forsa im Auftrag des VKU durchgeführt hat. Danach sind 90 Prozent der deutschen Verbraucher mit der Qualität ihres Leitungswassers zufrieden, 86 Prozent zählen es zu den saubersten im europäischen Vergleich. Vor diesem Hintergrund darf eine mögliche Richtlinie insbesondere für Dienstleistungskonzessionen in der Wasserwirtschaft nicht gelten.
Reck: „Die Bundesregierung muss jetzt die kommunale Wasserwirtschaft in den weiteren Beratungen der Richtlinie schützen, ansonsten kommt sie unter die Räder der Gleichmacher aus Brüssel.“ Bereits im März 2012 hatte der Bundesrat eindeutig gegen die von der EU-Kommission vorgelegte Richtlinie votiert. „Die Bundesländer haben richtigerweise eine Ausnahme für die Wasserwirtschaft gefordert“, so der VKU-Hauptgeschäftsführer. Auch der Parteitag der CDU hat sich eindeutig gegen die Richtlinie und für die kommunale Wasserwirtschaft positioniert. Reck weiter: „Außerdem muss das Europäische Parlament in seiner Positionierung zu dem Richtlinienentwurf eine Ausnahme für Wasser beschließen.“ Parlamentspräsident Martin Schulz hat dazu gestern einen ersten Schritt getan, indem er die Achtung des Subsidiaritätsgedankens für eine wieder steigende Zustimmung der Bürger zu Europa als unabdingbar erklärt hat.
Auch der Deutsche Städtetag appelliert an die Bundesregierung, die von der EU-Kommission geplante Liberalisierung der Wasserwirtschaft zu verhindern. Städtetagspräsident Christian Ude sagte am Freitag im Saarländischen Rundfunk: «Wir appellieren an die Bundesregierung, hier ihren Einfluss geltend zu machen.» Es sei nicht einzusehen, warum hier Zwang erzeugt werden solle, obwohl die Bevölkerung mit der Qualität und dem Preis des Wassers zufrieden sei. Die Hürden für eine kommunale Wasserwirtschaft würden aber so hoch gelegt, dass sie nicht von jeder Kommune erfüllt werden könnten, sagte der Münchner Oberbürgermeister.
Protest der Bevölkerung wird lauter
Auch die Bürger und Bürgerinnen in der EU sehen die neuen Vergaberichtlinien sehr kritisch. Sie wollen, dass Wasser ein öffentliches Gut bleibt und nicht privatwirtschaftlichen Interessen dient. Eine Initiative hat sich bereits gegründet und sammelt fleißig Unterschriften gegen dasVorhaben der EU. Die Initiative fordert eindeutige Regelungen seitens der EU und ihren Mitgliedsstaaten.
- Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Bürger und Bürgerinnen das Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung haben.
- Die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen darf nicht den Binnenmarktregeln unterworfen werden. Die Wasserwirtschaft ist von der Liberalisierungsagenda auszuschließen.
- Die EU verstärkt ihre Initiativen, einen universellen Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung zu erreichen.
Bis zum heutigen Tag wurden bereits über 591.000 Unterschriften gesammelt. Mitmachen und seine Stimme abgeben kann man auf der Seite der Initiative.
Hintergrund
Die Europäische Kommission hat am 20. Dezember 2011 einen Vorschlag für eine Konzessionsrichtlinie veröffentlicht. Die geplante Richtlinie würde die Ausschreibungspflichten für Kommunen erheblich ausdehnen. Dies hätte einschneidende Auswirkungen auf die kommunalen Strukturen in Deutschland.
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