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Gemeinsam dem Wasser trotzen

Umwelt

Hochwasser macht nicht vor Ländergrenzen halt und wirkt auf die gesamte Volkswirtschaft. Das hat das Hochwasser im Jahr 2013 eindrücklich vor Augen geführt. Wir müssen daher die Vorsorgestrategien der Länder besser aufeinander abstimmen und gemeinsame Schutzprojekte angehen. Deshalb haben wir Anfang September in Berlin die Erarbeitung eines gemeinsamen nationalen Hochwasserschutzprogramms beschlossen.

Wir Umweltminister sind uns einig, dass wir mehr Raum für Flüsse benötigen und die Umsetzung von Hochwasserschutz-Projekten beschleunigen müssen. Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) soll zusammen mit den Flussgebietsgemeinschaften bis Herbst 2014 Vorschläge zur Harmonisierung des Hochwasserschutzes unterbreiten und bundesweit die wichtigsten Schutzprojekte nach Rangfolge identifizieren. Zum Beispiel gelten bislang in den Bundesländern unterschiedliche Meldestufen, oder Deichhöhen werden unterschiedlich bemessen.

Minister-Reinholz-thueringenEin Beitrag von Jürgen Reinholz MdL,
Umweltminister in Thüringen und Vorsitzender
der Umweltministerkonferenz der Länder 2013

 

Ebenso erwarte ich, dass sich auch der Bund an der Finanzierung der länderübergreifenden Schutzprojekte beteiligt. Wir wollen, dass die Bundesregierung einen eigenen Förderbereich Hochwasserschutz in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ einrichtet oder ein eigenständiges Förderprogramm aufstellt. Auch für den Bund ist es langfristig wirtschaftlicher, in die Verhinderung von Hochwasser anstatt in die Beseitigung von Schäden zu investieren. Hochwasserschäden werden sich nie zu hundert Prozent verhindern lassen. Aber wenn wir stärker über Ländergrenzen hinweg ganze Flussgebiete betrachten und den Hochwasserschutz daran orientieren, können wir viel erreichen. Diese Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinaus muss auch innerhalb Europas gelten. Ich plädiere außerdem eindeutig für eine Kombination aus technischem und ökologischem Hochwasserschutz. Das heißt, wir benötigen neben sicheren Deichen und technischen Hochwasserbauwerken auch ausreichenden Raum für die Flüsse. Ein Wettlauf um die maximale Deichhöhe zwischen den Orten kann nicht die Lösung sein. Wenn wir jedoch dem Wasser zwischen den besiedelten Gebieten mehr Raum geben, kann der Hochwasserscheitel wieder gekappt werden. Wir werden also weitere Möglichkeiten zur Rückhaltung von Wasser – ob in Hochwasserrückhaltebecken, Hochwasserpoldern, durch die Rückverlegung von Deichen oder natürliche Überschwemmungsflächen– schaffen müssen.

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Ein gutes Beispiel ist der im Jahr 2012 fertiggestellte Hochwasserschutz in Nordhausen an der Helme. Dort haben wir innerhalb der Ortslage den Hochwasserschutz mit technischen Maßnahmen, wie z. B. Deichen und Mauern, ertüchtigt. Außerhalb der Ortslage wurden Teile des Gewässers renaturiert und somit ökologisch aufgewertet. Zusätzlich wurde ein Hochwasserpolder geschaffen, der bei bestimmten Hochwasserabflüssen die Abflusswelle kappt und somit auch den erforderlichen Umfang des technischen Hochwasserschutzes in der Ortslage reduziert. Das Ganze mit Entschädigungsregelungen für die betroffenen Landwirte, wenn der Polder genutzt wird. Eine runde Sache – und Vorbild für andere Orte.

Thüringen wird immer vom Hochwasser betroffen sein

Thüringen zählt wasserseitig zu den sogenannten Oberliegern. Das heißt im Ernstfall: rasch ansteigende, aber in ihrer Dauer oft kürzere Hochwässer. Den Oberlieger-Regionen kommt neben dem eigenen Schutz auch große Verantwortung für die Menschen an den unteren Gewässerabschnitten zu. Gerade der Rückhalt von Hochwasser durch Talsperren, Polder und in natürlichen Rückhalteräumen außerhalb unserer Siedlungen trägt entscheidend zur Verringerung der Hochwasserwelle in den Städten und Siedlungen bei. So konnten durch die gezielte Steuerung der Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken zum wiederholten Male noch größere Schäden in den unterhalb liegenden Kommunen verhindert werden. Allein in den Saale-Talsperren wurden beim diesjährigen Hochwasser circa 53,5 Millionen m³ Wasser zwischengespeichert. Dadurch war es möglich, den maximalen Abfluss der unterhalb der Talsperren liegenden Nebengewässer (Loquitz, Schwarze, Elster etc.) erst abfließen zu lassen und danach die Abgabe aus der Talsperre Hohenwarte zu erhöhen. Durch das Hochwasserrückhaltebecken Straußfurt konnte der maximale Zufluss aus Gera und oberer Unstrut von 250 m³/s auf 100 m³/s reduziert werden. Bezogen auf den Pegel Oldisleben im Kyffhäuserkreis bedeutete dies eine Scheitelreduzierung von mehr als einem Meter! Die entlastende Wirkung auf Städte wie Halle an der Saale und im weiteren Flussverlauf der Saale und Elbe kann sich jeder gut vorstellen. Teil des vereinbarten Nationalen Hochwasserschutzprogramm von Bund und Ländern wird es auch sein, zu regeln, wie die Finanzierung solcher für den gesamten Flussverlauf strategischer Hochwasserschutzeinrichtungen erfolgen soll. Hochwasserschutz darf kein kurzfristiges Handeln nach Hochwasserkatastrophen sein. So arbeitet Thüringen bereits seit 2011 an einem Landesprogramm Hochwasserschutz. In Abstimmung mit den Kommunen wurden Ende 2011 74 Gewässer mit einem Gesamtschadenspotential von drei Milliarden Euro als Hochwasserrisikogebiete eingestuft. Für alle Risikogebiete werden aktuell Gefahren- und Risikokarten unter Zuhilfenahme der neuesten Daten und Modelle erarbeitet. Mit deren Veröffentlichung Ende 2013 wird landesweit einheitlich für alle betroffenen Bürger, Unternehmen und Kommunen erkennbar, wie hoch das eigene vorhandene Hochwasserrisiko ist. Gebiete, die bei einem Hochwasser mit 20, 100 und 200-jährigen Wahrscheinlichkeit auftreten, werden dort mit Wassertiefen und aktuellen Nutzungen sichtbar gemacht. Gemeinsam mit den Kommunen werden konkrete Hochwassermaßnahmen geplant und anschließend schrittweise umgesetzt.

Die Planungsphase hat längst begonnen

hochwaser-minister-reinholzGegenwärtig befinden sich 65 km Deiche in der Phase der konzeptionellen Bearbeitung. Die Sanierung von 23 km Deichen befindet sich in der Planungsphase oder steht unmittelbar vor der baulichen Umsetzung. Für über 70 Prozent der nun identifizierten Risikogebiete liegen bereits Überschwemmungsgebiete vor bzw. sind diese im Ausweisungsprozess. Diese Gebiete gilt es nun angesichts der neuen Ergebnisse und klimatischen Entwicklungen anzupassen und die bisherigen Lücken zu schließen, um neue Risiken für Bauherren und Unterlieger durch Sicherung der Überschwemmungsgebiete und Anpassung von Bauleitplanungen zu vermeiden. Dies wollen wir bereits bis Ende 2013 abschließen. Im November 2013 werden die geplanten Maßnahmen von Land und Kommunen dann auf Regionalkonferenzen vorgestellt und gemeinsam abgestimmt werden. Bis Ende 2014 wird der Entwurf des Landesprogrammes erstellt und sechs Monate öffentlich für Vorschläge und Stellungnahmen ausgelegt, um einen breiten Konsens zu erreichen. Maßnahmen und Ziele werden anschließend in nationale und internationale Hochwasserrisikomanagementpläne integriert. Unser Ziel ist bis 2021: Raum schaffen, Defizite an Anlagen beseitigen, Integrale Konzepte abschließen, Gefahrenabwehr unterstützen und Prognosen und Kommunikation verbessern. Land und Kommunen können das Hochwasserrisiko nicht flächenhaft für alle Gebiete reduzieren. Wichtig ist es daher, betroffene Bürger und Betriebe hinsichtlich der eigenen Risiken und insbesondere der eigenen Vorsorgemöglichkeiten, ob baulich, finanziell oder im eigenen Verhalten zu sensibilisieren. Hierzu wollen wir uns gemeinsam mit Bund und Ländern intensiv mit der Versicherungsbranche zusammensetzen, mit dem Ziel für alle Bürger und Betriebe in Hochwassergebieten Versicherungslösungen zu entwickeln. Hochwasserschutz gelingt nur mit den Menschen in den betroffenen Regionen, nicht gegen sie. Immer wieder werden Projekte durch Einzelne verzögert oder gar ganz ausgebremst. Auch die Klärung denkmal-, umwelt- und naturschutzrechtlicher Belange hat in einigen Fällen zu erheblichen Zeitverzögerungen im Projekt beziehungsweise sogar zur kompletten Einstellung von Projekten geführt.

Fazit

Nicht zuletzt hängen Hochwasserschutzprojekte von der Bereitschaft ab, private Grundstücke erwerben bzw. nutzen zu können. Zwangsenteignungen sollten aber nicht das Mittel zum Zweck sein, ich plädiere vielmehr für den Dialog. Wenn wir uns als Gemeinschaft schützen wollen, brauchen wir breite Unterstützung und Kompromissbereitschaft für Hochwasserschutzmaßnahmen. Hochwasserschutz ist eine Daueraufgabe, die nie ganz abgeschlossen ist. Auch bereits gebaute Anlagen müssen gepflegt und erhalten werden. Das ist und bleibt eine Generationenaufgabe.

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