Was heute schon möglich ist im Bereich Autonomes Fahren und was wohl Zukunftsmusik bleibt, darüber hat die KOPO mit Prof. Sax vom Karlsruher Institut für Technologie gesprochen:
KOPO: Wie ist der Stand beim autonomen Fahren? Steigen wir morgen ins „Robotaxi“ oder handelt es sich in Wahrheit heute noch um Fahrzeuge mit einem besseren Assistenzsystem?
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Was wir heute sehen, sind Showcases. Jede Stadt hat inzwischen ihr eigenes Projekt mit einem sogenannten Peoplemover. Hier in Karlsruhe fährt beispielsweise ein kleiner Shuttle in einem Wohngebiet. Diese Showcases sind sehr wichtig, um Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen und um aus dem Elfenbeinturm herauszukommen. Aber: Der Variantenreichtum im Straßenverkehr, gerade in Wohngebieten, denken Sie an spielende Kinder oder die Mülltonne, die halb auf der Straße steht. An das schief geparkte Fahrzeug oder Kreuzungen, an denen von vier Seiten ein Fahrzeug kommt, überall gilt die Rechtsvor- links-Regelung, etc. Sie sehen, mit ein bisschen Brainstorming fallen uns zahlreiche Situationen ein, wo wir sagen müssen: Das können wir noch nicht automatisieren. Wir sind durch diesen Variantenreichtum im Feld heute weniger euphorisch als noch vor drei bis vier Jahren. Stattdessen befinden wir uns in einer Phase der Konsolidierung: Was sind sinnvolle Anwendungsfälle? Wir müssen ja nicht gleich alles automatisieren.
KOPO: Welche Trends zeichnen sich im Moment ab? Sie begleiten selber ja ein sehr interessantes Projekt in München im Bereich Platooning. Dort sollen mehrere Busse mit Hilfe einer elektronischen Steuerung hintereinanderfahren. Was hat es mit dieser neuen Form des Kolonne-Fahrens auf sich?
„Es gab die Idee des Geschäftsmanns, der auf der Autobahn an seinem Laptop arbeitet. Jetzt stehen Anwendungen im Nutzverkehr stärker im Fokus.“
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Was die Trends angeht: Wir haben uns anfangs sehr stark auf den Individualverkehr konzentriert. Es gab die Idee des Geschäftsmanns, der auf der Autobahn an seinem Laptop arbeitet. Jetzt stehen Anwendungen im Nutzverkehr stärker im Fokus. Gerade im LKW-Bereich sind die Personalkosten sehr hoch, gleichzeitig finden Speditionen kaum Personal. Das Frachtvolumen nimmt zu. Hier können wir mit Platooning ansetzen. Allerdings nicht wie ursprünglich gedacht beim Thema Kraftstoff. Die Einsparungen durch Verringerung des Luftwiderstandes durch den geringeren Abstand in der Kolonne sind überschaubar. Interessant wird es, wenn wir die Fahrerzeiten des hinteren Piloten im zweiten oder dritten Fahrzeug als Pausenzeiten anrechnen können. Wenn wir über Platooning in der Stadt sprechen, so handelt es sich beim angesprochenen Beispiel in München um eine Sondersituation. Hier fahren Busse mit einer massiven Deichsel. Verbrenner verfügen über genügend Leistung, um einen schweren Anhänger zu ziehen. Bei E-Bussen sieht das anders aus. Wieso dann noch eine reale, massive Deichsel? Das kann ich doch auch mit einer elektronischen Deichsel bewerkstelligen. Wir haben es mit zwei identischen Fahrzeugen zu tun, wo – und jetzt kommt das Spannende – das hintere Fahrzeug, die Trajektorie, also den Fahrweg des Vorderen Fahrzeugs, übergeben bekommt. Wir bekommen so ein Höchstmaß an Flexibilität für Stoßzeiten im Berufs- und Schülerverkehr sowie für nachfrageschwache Zeiten am Nachmittag oder Wochenende. Langfristig – und ich betone ausdrücklich langfristig – möchten wir auf einen Sicherheitsfahrer verzichten und können so mit einem Fahrer viel mehr Fahrgäste transportieren.
KOPO: Langfristig heißt?
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Ich bin Wissenschaftler und kein Entwickler. Es geht hier auch um Sicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz. Ich begebe mich als Fahrgast sozusagen in eine Gondel und muss sicher sein, dass diese auch am Ziel ankommt. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit einem Sicherheitsfahrer 2025 mit solchen Platoons unterwegs sind und ohne Sicherheitsfahrer in ausgesuchten Bereichen Ende dieses Jahrzehnts. Aber das ist eine vage Aussage.
KOPO: Welche Auswirkungen hat das autonome Fahren auf das Verkehrsaufkommen und die Qualität des Verkehrs?
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Bei einigen der gängigen Heilsversprechen bin ich skeptisch, wie zum Beispiel der Verkehr werde flüssiger und wir könnten Staus vermeiden. Wenn wir Sicherheit zum höchsten Gebot machen – was wir zweifelsfrei auch müssen – und wir uns dann folgendes Szenario im Mischverkehr vorstellen: Ein Fußgänger überquert die Straße, weiß aber, dass die automatisierten Fahrzeuge ohnehin halten. Wird er dann einfach loslaufen? Nach meiner Überzeugung wird der Verkehr, zumindest solange wir einen Mischverkehr haben, nicht flüssiger. Noch ein Aspekt: Normalerweise nimmt ein Fußgänger, wenn er die Straße überqueren will, Blickkontakt zum Autofahrer auf, der im Idealfall mit einer Geste reagiert. Ich betreue Doktorarbeiten, wie diese soziale Interaktion zukünftig durch ein automatisiertes Gefährt abgebildet werden kann, etwa durch Blinkzeichen oder über Text im Kühlergrill, um dem Passanten am Straßenrand zu signalisieren, dass jetzt ein günstiger Moment wäre, die Straße zu überqueren. Wir haben es also erst einmal mit Herausforderungen zu tun, die sich negativ auf den Verkehrsfluss auswirken können. Ein anderer Aspekt ist die Parkplatzsituation. Bei Parkhäusern gibt es ja bereits Projekte wie etwa beim Stuttgarter Flughafen zusammen mit Daimler. Aber wenn es darum geht, dass das Fahrzeug selbstständig einen Parkplatz sucht, kann nicht das Ziel sein, dass alle Fahrzeuge stundenlang selbstständig durch die Stadt kreiseln. Also nochmals: Das sind alles Probleme, die wir selbstverständlich in den Griff bekommen, wir müssen aber noch etwas Gehirnschmalz reinstecken. Langsam, behutsam und Schritt für Schritt.
KOPO: Welche technischen Voraussetzungen müssen die Städte erbringen, Stichwort 5G?
„In Gegenden, in denen nur zweimal am Tag der Bus fährt, ergeben sich gerade für Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, neue Chancen. Wir können die Frequenz bei kleinen Einheiten erhöhen. Bisher stand dem häufig der Kostenfaktor Personal entgegen.“
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Flächendeckende Verfügbarkeit von 5G oder zumindest einer sehr hohen Bandbreite für Kommunikation sind natürlich Voraussetzung. Genauso eine noch zu schaffende Standardisierung über die Fahrzeuge hinweg. Außerdem müssen wir weiterhin für Akzeptanz in der Bevölkerung werben: 50 Prozent der Menschen sagen, sie haben Angst vor automatisierten Fahrzeugen. Es gibt aber auch viele Chancen, etwa für den ländlichen Raum. In Gegenden, in denen nur zweimal am Tag der Bus fährt, ergeben sich gerade für Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, neue Chancen. Wir können die Frequenz bei kleinen Einheiten erhöhen. Bisher stand dem häufig der Kostenfaktor Personal entgegen. Das würde für Jugendliche und ältere Menschen neue Perspektiven der Teilhabe eröffnen und den ländlichen Raum attraktiver machen. Die Aktivierung des ländlichen Raumes ist ein sehr wichtiges Thema und hier gibt es viele spannende Projekte.
KOPO: Wie sieht die rechtliche Situation aus? Im Sommer wurde das Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet. Ein Meilenstein oder ist die Technik schon viel weiter als der Gesetzgeber?
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax: Es ist tatsächlich ein Meilenstein. Durch die Gesetzeslage sind wir im sogenannten Level 4 des autonomen Fahrens angekommen. Das heißt, wir müssen immer noch sicherstellen, dass ein Fahrer oder eine technische Vorrichtung das Fahrzeug in einen sicheren Zustand bringen kann. Die Fahrzeuge dürfen sich nur in bestimmten betrieblichen Bereichen, die genehmigt werden müssen, bewegen. Das können bestimmte Pendelstrecken sein, wie der Weg zwischen einem Bahnhof und einer Schule oder im Cargo-Bereich von einem Postamt zu einer Verladestation. Die Haftungsfrage liegt jetzt anders als 2017 angedacht nicht beim Hersteller, sondern erst einmal wie bisher beim Halter. Eine wichtige Frage für Versicherungen. Was noch eine Herausforderung darstellt, ist das Thema Datenschutz. Wir haben Kameras im Fahrzeug und wir hatten ja anfangs das Beispiel mit der Kommunikation zwischen Fußgänger und autonomen Fahrzeug. Kameras müssen dafür das Gesicht des Passanten an der Bordsteinkante aufnehmen. Jetzt müssen wir nachweisen, dass wir die aufgenommen Daten nicht speichern und nicht zur Personifizierung verwenden und dass wir die Daten wieder löschen. Die richtige und wichtige Sicherstellung, dass wir die DSGVO-Richtlinie einhalten, ist in der Entwicklung – anders als in China – im Moment ein Riesenthema.
KOPO: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview erschien in der KOPO 11/2021. Zum Abonnement geht es hier.