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EU-Impfstoffversorgung: Für Nachschub ist gesorgt

Corona

Das Impfdebakel – was wirklich hinter dem schleppenden Impfstart steht und worauf es jetzt ankommt:

Die Corona-Pandemie hat Deutschland und Europa nach wie vor fest im Griff. Gerade die Kommunen leisten bei der Pandemiebekämpfung einen entscheidenden Beitrag: von der Durchführung der Coronaverordnungen und die damit verbundene deutliche Ausweitung der Überwachungs- und Beratungsaufgaben bis hin zur Organisation der Impfzentren. Gleichzeitig sind die Kommunen auch Leidtragende dieser Jahrhundertpandemie etwa durch ausbleibende Einnahmen der geschlossenen öffentlichen Einrichtungen und des Wegbrechens der Steuereinnahmen. Die einzige Lösung, aus dieser globalen Krise herauszukommen, sind Impfungen.

Schleppender Impfstart – gegenseitige Schuldzuweisungen helfen nicht weiter

Grundsätzlich festzustellen ist, dass die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Corona innerhalb von weniger als zwölf Monaten in Europa ein großer Erfolg ist. Doch der Start der Impfungen in Deutschland läuft schleppend und viele Menschen sind darüber, ebenso wie die verantwortlichen Politiker, frustriert. Auch ich würde mir wünschen, dass es sehr viel schneller geht. Dennoch müssen wir bei allem Frust auch die Fakten sehen und sollten nicht einseitig mit dem Finger auf andere staatliche Ebenen zeigen. Die Ursachen für die Probleme beim Fortschritt der Impfungen liegen vor allem bei der Produktion der Impfstoffe und den Lieferungen.

Selbstverständlich hätte aus heutiger Sicht bei der Bestellung der Impfstoffe einiges anders laufen können, aber vieles an der Kritik, die in Deutschland geäußert wird, ist falsch. Die Europäische Union hat gemeinsam mit den Mitgliedstaaten 30 Milliarden Euro investiert, um sich Impfstoffe zu sichern. Insgesamt ist mit diesen Verträgen dreimal mehr Impfstoff gesichert worden, als man braucht, um alle EU-Bürger zu impfen. Leider sind aber weltweit die Produktionskapazitäten knapp und vor allen Dingen leiden wir unter Exportverboten.

Gemeinsame EU-Beschaffung der Impfstoffe bleibt aus meiner Sicht richtig

Dass Deutschland, als Land im Herzen Europas, seinen Nachbarn, Partnern und Verbündeten aufgrund seiner Marktmacht die Impfstoffe weg kauft, seine Bevölkerung durchimpft und womöglich seine Grenzen schließt bis im Anschluss daran alle anderen EU-Länder auch mit den Impfungen durch sind, ist schlicht unvorstellbar. Die Fehler einer nationalen Abschottung haben wir zu Beginn der Pandemie gemacht, als wir Grenzen für Medizinprodukte und Schutzausrüstung geschlossen haben und Europa vor dem Zerbrechen stand. Die gemeinsame Beschaffung ist aber nicht nur eine Frage der Solidarität und eines vorausschauenden Handelns, sondern hat auch praktische Vorteile: Eine gestärkte Verhandlungsposition gegenüber den Pharmaunternehmen hat zu deutlich niedrigeren Preisen und einem besseren Haftungsregime geführt. Die Europäische Impfstoffstrategie vom Juni 2020, die von allen Mitgliedstaaten und allen wesentlichen Fraktionen im Europäischen Parlament mitgetragen wird, verteilt die Risiken breit und setzt nicht alles auf nur einen Impfstoffkandidaten. Daneben liegen weitere Kriterien wie Massenproduktion sowie Haftungs- und Logistikfragen wie beispielsweise sicherer Vertrieb, extrem niedrige Lagertemperatur und Kühlketten zugrunde. Bis heute hat sich die Europäische Kommission im Namen der Mitgliedstaaten 2,6 Milliarden Impfstoffdosen von sechs verschiedenen Herstellern mit unterschiedlichen Technologien gesichert. Davon haben wiederum schon vier Impfstoffe eine Zulassung für den europäischen Markt erhalten. 2,6 Milliarden Impfdosen sind viel mehr als wir eigentlich brauchen werden. Dennoch müssen wir besser werden und uns anschauen, was schiefgelaufen ist. Aber heute die handelnden Personen für Entscheidungen im Sommer 2020 zu kritisieren und heute zu sagen, man hätte es schon immer besser gewusst und anders machen sollen, ist wohlfeil.

Von anderen Ländern lernen

Viele blicken beim Thema Impfstofflieferung und -geschwindigkeit auch in andere Länder außerhalb der EU und wundern sich, warum auch dort viel schneller geimpft wird als in der eigenen Stadt oder ganz Deutschland. Die USA zum Beispiel sind beim Impfen auch deshalb so schnell, weil schon von George W. Bush 2006 eine Institution namens BARDA gegründet wurde, die es der Regierung ermöglicht, unkompliziert riesige Mengen Geld zur Pandemiebekämpfung zu mobilisieren. Aus meiner Sicht ist es eine der wichtigsten Lehren aus der Pandemie, eine solche Institution in der EU so schnell wie möglich aufzubauen. Die EU-Kommission hat dieses Vorhaben unter dem Stichwort HERA angekündigt.

Europa versorgt die Welt

Das Kernproblem fehlender Impfstofflieferungen in die EU besteht allerdings in weltweiten Exportverboten und der Tatsache, dass Europa die Impfstoffe in die ganze Welt liefert, während wir aus den USA und Großbritannien nichts erhalten. Der ehemalige US Präsident Donald Trump hatte am 8. Dezember ein quasi-Exportverbot für Impfstoffe erlassen. Dieses Exportverbot ist bis heute in Kraft und wurde von Präsident Joe Biden bis Juni verlängert. Dies führt heute zu der Situation, dass die ganze Welt mit dem BioNTech/Pfizer Impfstoff aus Werken in der EU versorgt wird. Selbst Kanada und Mexiko, direkte Nachbarländer der USA, werden ebenso wie „Impfweltmeister“ Israel aus Europa versorgt. Wenn wir Europäer aber die ganze Welt versorgen und die USA mit ihrem Pfizer-Werk nur die USA, kann die Rechnung nicht aufgehen. Darüber hinaus legt auch Großbritannien eine Politik an den Tag, die zwar ermöglicht, dass Impfstoff vom Kontinent auf die Insel kommt, aber nicht von der Insel auf den Kontinent. Das Vereinigte Königreich hat in ihrem Vertrag mit der Firma AstraZeneca eine „UK first“ Klausel verankert, die besagt, dass die Werke in Großbritannien zuerst ihre eigene Bevölkerung versorgen sollen und im zweiten Schritt erst andere Staaten. Während also mindestens in den ersten Januarwochen Lieferungen mit AstraZeneca Impfstoff aus Europa nach Großbritannien geliefert/ wurde, haben wir bis heute aus den AstraZeneca Werken in Großbritannien keine Impfdose erhalten. In anderen Worten: sowohl Großbritannien als auch die USA handeln nach dem Prinzip „UK first“ / „America first“ und Europa versorgt die Welt.

Die Europäische Union muss deshalb jetzt gemeinsam mit sehr viel härteren Bandagen kämpfen. Daher meine Forderung: Entweder das Vereinigte Königreich und die USA exportieren Impfstoffe und wir versorgen gemeinsam die Welt, oder die Europäische Union muss auch Exportbeschränkungen verhängen, nachdem ja bereits ein Exportkontrollmechanismus innerhalb weniger Tage eingeführt wurde. Dies ist nach den WTO-Regeln möglich. Es ist nicht die bevorzugte Lösung, aber wenn die beste Lösung, nämlich internationale Kooperation mit allen Beteiligten, nicht funktioniert, müssen wir andere Wege gehen, um zunächst die Impfgeschwindigkeit in Deutschland und der EU zu beschleunigen. Dies hätte die Kommission früher und deutlicher unseren Partnern in Washington und London klarmachen müssen. Hier waren die Verantwortlichen eindeutig zu blauäugig was den Kooperationswillen unserer Partner angeht.

Jetzt kommt es aufs Impfpersonal an

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Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass wir nach schweren Monaten in wenigen Wochen in Deutschland und der EU so viel Impfstoff haben werden, dass die Frage der Knappheit nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Frage, wie wir den Impfstoff dann schnellstmöglich verimpfen können. Ich halte unser europäisches Impfziel weiterhin für erreichbar, wenn alle Verträge eingehalten werden. Nicht nur eine deutliche Erhöhung der Produktionskapazitäten wird uns in diese Lage versetzen, sondern auch die Zulassung weiterer Impfstoffe, die in Europa entwickelt und produziert werden. Zu nennen wäre hier unter anderem der Impfstoff der Tübinger Firma CureVac. Wenn dann ausreichend Impfstoff vorhanden sein wird, müssen wir vorbereitet sein, dass jeder, der kann, mithilft zu impfen, um den Wettlauf gegen die Mutation zu gewinnen. Dies muss Hand in Hand aller staatlichen Ebenen geschehen. Schnell, professionell und unbürokratisch. Im Anschluss muss und wird eine Fehleranalyse erfolgen, die uns auf zukünftige Pandemien besser vorbereitet.

Autor: Dr. Peter Liese MdEP, Sprecher der EVP im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit