Die geplante Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist bei einer Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschuss im Deutschen Bundestag überwiegend auf Kritik gestoßen.
Die beiden Gesetzespakete der Bundesregierung sehen – neben umfangreichen weiteren Vorhaben – zahlreiche Änderungen im Grundgesetz, im Maßstäbegesetz und im Finanzausgleichsgesetz vor. Der bisherige Umsatzsteuervorwegausgleich soll ebenso wie der direkte, horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern („Geber- und Nehmerländer“) wegfallen. Stattdessen soll die Finanzkraft der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung sowie über Bundesergänzungszuweisungen ausgeglichen werden. Die Vorschläge gehen auf eine Einigung der Länder untereinander sowie zwischen Bundesregierung und Länderchefs zurück.
Die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und CSU Deutschlands (KPV) hatte sich frühzeitig insbesondere gegen einen neuen Grundgesetzartikel zur Ausweitung der Mitfinanzierungskompetenz des Bundes bei der kommunalen Bildungsinfrastruktur ausgesprochen.
Entschieden gegen das Reformvorhaben sprach sich nun auch der Rechtswissenschaftler Stefan Korioth (LMU München) aus. „Die Normen des Entwurfs sollten […] nicht geltendes Verfassungsrecht werden“, schrieb Korioth in seiner schriftlichen Stellungnahme zu den geplanten Grundgesetzänderungen. Der Verzicht auf einen direkten Ausgleich der Länder untereinander wäre grundsätzlich eine „äußerst unglückliche Entscheidung“, dokumentiere sich darin „das bündische Element des gegenwärtigen Finanzföderalismus dadurch, dass die Länder finanziell füreinander finanziell einstehen“. Korioth zeigte sich auch im Detail nicht von der vorgeschlagenen Neuregelungen überzeugt. Der Neufassung des Artikel 107 Grundgesetz, der den eigentlichen Finanzausgleich regelt, sei „hochgradig unklar“. Die Normen zu den Bundesergänzungszuweisungen (Artikel 107 Absatz 2 Satz 5 und 6) seien „fast vollständig missglückt“. Korioth warnte zudem vor „unabsehbaren Folgen für den kommunalen Finanzausgleich in den Ländern“ durch die geplanten Ergänzungszuweisungen für leistungsschwache Länder mit besonders schwach ausgestatteten Kommunen (Gemeindesteuerkraftzuweisung). Durch die Neuregelung würde der Bund erstmals in die „Garantenstellung für die Finanzausstattung der Gemeinden einrücken“, was bisher Aufgabe der Länder ist.
Thomas Lenk (Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management, Universität Leipzig) warnte, dass das verfassungsrechtliche Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse mit dem neuen System nicht erreicht werde. Schon jetzt sei ein Auseinanderdriften zwischen einnahmestarken und einnahmeschwachen Ländern aufgrund des Auslaufens des Solidarpakets sichtbar. Im neuen System werde dieser Trend nur abgeschwächt. Damit entstehe künftig ein Risiko für den Bund, der für den Ausgleich sorgen müsse, sagte Lenk. Um grundsätzlich an das Problem ranzugehen, schlug der Finanzwissenschaftler vor, die Steuerzuordnung neu zu regeln. Aktuell würden finanzstarke Länder überproportional „belohnt“, finanzschwache Länder wiederum „bestraft“.
Weniger kritisch mit Blick auf die vermeintliche Entsolidarisierung der Länder äußerte sich Ulrich Häde vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Der Länderfinanzausgleich bleibe quasi bestehen, werde aber nun woanders „reingestopft“, sagte Häde. Warum das nötig sei, verstehe er aber nicht. Kritisch beurteilte der Rechtswissenschaftler, dass der Umsatzsteuervorwegausgleich wegfalle. Dieser sei gerade für die ostdeutschen Bundesländer gut gewesen und „im Ergebnis“ durch die Übertragung von Umsatzsteuerpunkten durch den Bund finanziert worden, führte Häde in seiner Stellungnahme aus. Diese Umsatzsteuerpunkte bekomme der Bund nun aber nicht zurück.
Joachim Wieland (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) bewertete die Reformvorschläge positiver. Die Solidarität zwischen den Ländern im bisherigen System sei „an ihre Grenzen gestoßen“. „Die Neuregelung verspricht die Reduzierung von Komplexität, Solidaritätsanforderungen und Streitanfälligkeit. Der Preis dafür ist ein Erstarken der Rolle des Bundes“, schrieb Wieland in seiner Stellungnahme. Wie auch andere Sachverständige kritisierte Wieland, dass die kommunale Finanzkraft beim Ausgleich mit nur 75 Prozent einbezogen werde. Das sei „systematisch nicht überzeugend“.
Wolfgang Voß (Finanzminister des Freistaates Thüringen a.D.) wies ebenfalls die Kritik zurück, dass es unter dem neuen System keine Solidarität mehr unter den Ländern gebe. Voß drückte allerdings auch seine Wertschätzung für das alte Ausgleichssystem aus, betonte aber, dass es politisch nicht mehr durchsetzbar gewesen sei. Das neue System stelle aus „fiskalischer Perspektive insgesamt einen gangbaren Weg“ dar, schrieb der ehemalige Finanzminister in seiner Stellungnahme.
Die kommunalen Spitzenverbände bewerteten die Reformvorschläge unterschiedlich. Der Deutsche Landkreistag kritisierte in seiner Stellungnahme unter anderem den Wegfall des direkten Ausgleichs der Länder untereinander.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) betonte in seiner Stellungnahme, dass die Neuregelung für „finanzpolitische Planungssicherheit für die Zeit nach 2019“ sorge. Die Gemeindesteuerkraftzuweisungen sollen nach Ansicht des DStGB aber „vollumfänglich den Gemeinden zu Gute kommen“.
Der Deutsche Städtetag hob in seiner Stellungnahme ebenfalls die Planungssicherheit hervor. Der Kommunalverband verwies zudem darauf, dass die Gemeindesteuerkraftzuweisungen keine „Fördermaßnahmen zugunsten finanzschwacher Kommunen“ darstellten, sondern in die Länderhaushalte fließen würden.
Der Bundesrechnungshof warnte in seiner Stellungnahme vor Fehlanreizen in Hinblick auf die finanzielle Eigenverantwortung der Länder durch die Stärkung des vertikalen Finanzausgleiches. Zudem übte der Rechnungshof Kritik an den geplanten Bundeszuweisungen zum Forschungsförderungsausgleich und den Sonderbedarfszuweisungen für politische Führung.