Die neue Digitalstrategie der Bundesregierung soll die Potenziale von digitalen Technologien zielgerichtet erschließen. Viele der Handlungsfelder und Hebelprojekte betreffen die kommunale Ebene – insbesondere, wenn es darum geht, notwendige Entwicklungen schnell und flächendeckend umzusetzen. Das kann jedoch nur gelingen, wenn die kommunale Kompetenz wesentlich stärker eingebunden wird – sowohl strategisch als auch in der fachlichen Umsetzung.
Denn nur wo Menschen gemeinsam leben und arbeiten, werden Herausforderungen konkret und befördern Ideen, Mut und Leidenschaft bei der Suche nach neuen Lösungen. Diese Erkenntnis gilt auch für die Gegenwart mit ihren zahlreichen und vielfach miteinander verwobenen Herausforderungen. Die Aktivitäten der Städte, Kreise und Gemeinden sind folglich entscheidend dafür, ob und wie die Bewältigung des Klimawandels, die Umsetzung der Energiewende, eine umweltgerechte Mobilität, die Entwicklung von neuen Bildungs- und Kulturlandschaften oder/und die nachhaltige Sicherung eines solidarischen und demokratischen Gemeinwesens gelingt. Dabei kommt auf allen föderalen Ebenen der gezielten Erschließung der Potenziale digitaler Technologien aktuell eine Schlüsselrolle zu. Dementsprechend haben Kommunen, Länder sowie der Bund in den vergangenen Jahren bereits Milliardenbeträge in die digitalen Ausrüstungen von Rathäusern und Kreisverwaltungen, Stadtwerken, Schulen, Krankenhäusern und Verkehrsinfrastrukturen investiert. Und dennoch rangiert die deutsche Verwaltung im europäischen Digitalranking nach wie vor nur im hinteren Mittelfeld.
Hebelprojekte – mehr als nur neue Leuchttürme?
Um den erheblichen digitalen Entwicklungsrückstand der Bundesrepublik Deutschland nun endlich ressortübergreifend anzugehen, hat die Bundesregierung in ihrer jüngst vorgelegten Digitalstrategie ein Zielbild für den digitalen Fortschritt formuliert und 18 sogenannte „Hebelprojekte“ definiert. Die Euphorie über das vorgelegte Dokument hält sich in Grenzen – vermutlich auch weil die meisten Akteure im Bereich der IT-gestützten Staats- und Verwaltungsmodernisierung aktuell vor allem noch mit dem längst nicht mehr zu gewinnenden „Finale“ der OZG-Umsetzung beschäftigt sind. Dennoch erscheint es angezeigt, sich die vorgelegte Strategie gerade aus kommunaler Perspektive mal etwas genauer anzuschauen.
Um definierte strategische Leitlinien möglichst schnell konkret werden zu lassen, hat jedes Ressort der Bundesregierung mindestens ein sogenanntes Hebelprojekt beigesteuert. Sie sollen bis 2025 umgesetzt werden.
Daten und Infrastruktur
Bei näherer Betrachtung handelt es sich um Förderprojekte mit sehr vielen Schnittstellen zur kommunalen Ebene – beispielsweise im Themenbereich Daten und Infrastruktur: So spricht viel dafür, dass wir digitale Daten in Zukunft auch auf kommunaler Ebene wie einen „Rohstoff“ beziehungsweise eine wertvolle „Ressource“ bewirtschaften werden. Vergleichbar mit den uns gut bekannten Infrastrukturen für Strom, Gas, Wasser beziehungsweise für Verkehr und Mobilität benötigen wir auch für digitale Daten zukünftig die entsprechenden Infrastrukturen. Solche Dateninfrastrukturen entstehen derzeit insbesondere im Bereich der vernetzten Mobilität sowie in Modellprojekten im Kontext von Smart City beziehungsweise Smart Region. Sie unterscheiden sich fundamental von den heutigen IT-Infrastrukturen im Bereich der öffentlichen Verwaltung.
Denn wenn beispielsweise alle Daten eines raumbezogenen Genehmigungsvorhabens (Hochbau, Tiefbau, Anlagen, etc.) zukünftig automatisiert in einer gemeinsamen Dateninfrastruktur gespeichert werden, entsteht nach und nach ein digitales Abbild der Realität (ein sogenannter Digitaler Zwilling), mit dem wiederum jeder weitere Planungs- und Genehmigungsprozess interagieren kann. Es lässt sich erahnen, welcher Nutzen sich daraus für eine Kommune erschließen ließe. Diese wüsste so „auf Knopfdruck“ sehr genau, wo welche Versorgungsleitungen liegen, welche Baumaterialien wo verbaut sind, wo welche Baustellen geplant sind beziehungsweise welche Auswirkungen eine halbseitige Straßensperrung auslösen wird.
Solche daten- und plattformbasierten Infrastrukturen werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu einem anderen Verständnis der laufenden Raumbeobachtung und auch der kommunalen Steuerung führen. Kommunale Cockpits und Dashboards auf der Grundlage valider Daten und wissenschaftlich fundierter Analysen können Diskussionen erheblich versachlichen sowie Ausgangssituationen und Entwicklungsfortschritte (z.B. in der Energieeffizienz, bei den SGDs, etc.) motivierend visualisieren. Diese Entwicklung wiederum wird langfristig erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Verwaltungsinformatik haben (Datenzentrierte Verwaltung/Data Driven Government).
Verwaltung und Gesellschaft
Im Themenfeld Verwaltung und Gesellschaft finden sich neben infrastrukturell bedeutenden Themen wie der Einführung eines Ökosystems für sicherere digitale Identitäten zwei Hebelprojekte im Bereich der Aus- und Weiterbildung, einem auch aus kommunaler Perspektive fundamental wichtigen Handlungsfeld. Denn die vielfältigen bereits bestehenden beziehungsweise noch vor uns liegenden Herausforderungen werden ohne motivierte und gut ausgebildete Menschen in den kommunalen Verwaltungen nicht zu bewältigen sein. Dabei gilt es vor dem Hintergrund des demographischen Wandels jedoch zusätzlich auch das bestehende Aufgabenprofil der kommunalen Ebene auf den Prüfstand zu stellen. Dies betrifft beispielsweise den dezentralen Vollzug von Aufgaben der Bundes- beziehungsweise der Landesebene. Auf der Basis zeitgemäßer cloudbasierter Portal-, Prozess- und Dateninfrastrukturen können und sollten solche Aufgaben heutzutage weitgehend zentralisiert und automatisiert werden.
Hinsichtlich dieser auf kommunaler Ebene u.a. unter dem Stichwort „Dresdner Forderungen“ (siehe KOPO-Ausgabe 05/2022) längst diskutierter Vorschläge finden sich in der neuen Digitalstrategie der Bundesregierung leider nur wenige Ansätze. Daher muss befürchtet werden, dass auch die kommenden Projekte im Bereich der IT-gestützten Staats- und Verwaltungsmodernisierung eher dem Paradigma der „Elektrifizierung“ (wie beim OZG sogar nur der „Zugangswege“) folgen, statt hier die weiter reichenden Potenziale der digitalen Transformation noch stärker ins Visier zu nehmen („Daten statt Dokumente“, Echtes OnceOnly, „Staat als Plattform“, usw.).
Die Bundesländer sind entscheidend
Wenn es gilt, den digitalen Entwicklungsrückstand aufzuholen, ist eine ressortübergreifende Digitalstrategie auf Bundesebene notwendig, aber nicht hinreichend. Ob die strategischen Leitlinien oder die Hebelprojekte ihre angestrebten Wirkungen entfalten, wird auch davon abhängen, wie die Bundesländer bestimmte Vorhaben unterstützen, insbesondere hinsichtlich der Einbindung der kommunalen Ebene. Denn signifikante Entwicklungsfortschritte zum Beispiel im Bereich der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung oder der öffentlichen Infrastrukturen werden sich nur erreichen lassen, wenn innovative Lösungen möglichst schnell flächendeckend und zugleich intelligent vernetzt zur Anwendung kommen. Dazu haben sich Bund und Länder vor zwei Jahren grundsätzlich auf das sogenannte EfA-Prinzip („Einer für Alle“) verständigt, deren konkrete Umsetzung und Anwendung aktuell jedoch noch vor einigen Herausforderungen steht. Dabei geht es sowohl um technische als auch um finanzielle Fragestellungen.
Leider wurde auch im Prozess der OZG-Umsetzung viel zu spät erkannt, dass Deutschland nach wie vor keine verbindliche Rahmenarchitektur für das sichere informationstechnische Zusammenwirken von über 20.000 Verwaltungen an über 40.000 Standorten hat. Ganz zu schweigen von einer Konsolidierungsstrategie für das Zusammenführen von Portal- und Dateninfrastrukturen, Fachanwendungen sowie Rechenzentren. Diesbezüglich gibt es zwar in Bund und Ländern aktuell eine Vielzahl von ambitionierten Projekten (z.B. Portalverbund, Registermodernisierung, Deutsche Verwaltungscloud) – doch gerade für die kommunale Ebene ist es unmöglich, deren mögliches Zusammenwirken bzw. deren Synergien und/oder Unterschiede zu verstehen. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf!
Dennoch gibt es auch sehr erfreuliche Entwicklungen. So ist es dem im OZG-Themenfeld „Bauen und Wohnen“ federführenden Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gelungen, fast alle Bundesländer davon zu überzeugen, das OZG-EfA-Portal für die „Digitale Baugenehmigung“ bundesweit nachzunutzen und gemeinsam weiterzuentwickeln (siehe auch Seite 22). Doch um bundesweit noch mehr solcher gemeinsamen OZG/EfA-Lösungen in Betrieb nehmen zu können, benötigt die kommunale Ebene deutlich mehr technische, organisatorische, rechtliche und materielle Unterstützung – und hier sind vor allem die Bundesländer in der Verantwortung. Diese haben jedoch teilweise eigene landesweite EfA-Ideen verfolgt – mitunter vielleicht auch um den Einflussbereich sowie die Geschäftsgrundlage eigener IT-Dienstleister „zu sichern“. Aus Sicht einer dringend gebotenen Förderung von interkommunalen Kooperationen auf nationaler Ebene, die sich z.B. im Bereich Smart City/ Smart Region erfreulich gut entwickeln, ist diese „kleinstaatliche“ Haltung höchst kontraproduktiv – vor allem wenn es darum geht, gesamtgesellschaftliche Ziele Deutschlands und der EU so schnell als möglich anzugehen und flächendeckend umzusetzen (Klima, Nachhaltigkeit, etc.).
Zentrale Erfolgsfaktoren für die kommunale Ebene
Aus Sicht des Innovationsnetzwerks Kommune X.0 adressiert die neue Digitalstrategie der Bundesregierung die richtigen Handlungsfelder und plant bis 2025 vielversprechend konkrete Umsetzungsprojekte. Dennoch braucht es zur Umsetzung der vorgelegten Digitalstrategie nun dringend eine deutlich stärkere Einbindung kommunaler Expertise. Dafür will und wird sich auch das Innovationsnetzwerk Kommune X.0 engagieren. Handlungsleitend dafür sind die folgenden drei aus unserer Sicht fundamental wichtigen Querschnittsthemen, welche für alle fachlichen Handlungsfelder der kommunalen und regionalen Entwicklung (Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung, Infrastrukturen, etc.) gleichermaßen von Bedeutung sind:
1. Föderale IT- und Datenarchitektur verbindlich vereinbaren
Sichere digitale Identitäten, Nutzer- und Unternehmenskonten, Register, OZG/EfA-Anwendungen, FIM, FITKO, FLINK, XÖV, DVDV, INSPIRE, GDI, Elster, Portale, Plattformen, Daten- und Cloudinfrastrukturen, Sensornetze, SmartCity-Anwendungen, Apps, Digitale Zwillinge, Künstliche Intelligenz usw. – die kommunale Ebene braucht dringend mehr als technische, organisatorische und mentale „Wimmelbilder“. Um die Akteure in den unterschiedlichen kommunalen Aufgabenbereichen wirkungsvoll unterstützen zu können, ist eine konsistente Ebenen-übergreifende technisch-organisatorische Architektur erforderlich, mit der sämtliche staatlichen und kommunalen Daten- und Informationsflüsse koordiniert und vernetzt abgewickelt werden können. Nur so können wir den kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein digitales Arbeitsumfeld schaffen, um gemeinsam die von Bund und Ländern angestrebten ambitionierten Zielsetzungen auch zu erreichen.
2. Neue Kompetenzen und neue Allianzen in der Aus- und Weiterbildung und in Projekten
Alle, die in einem der Digitalisierungslabore der OZG-Umsetzung aktiv mitgearbeitet haben, werden die Erfahrung gemacht haben, welche unglaubliche Energie bei einer gemeinsamen kreativen und dennoch zielorientierten sowie hierarchiefreien und Akteurs-übergreifenden Zusammenarbeit entstehen kann. Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen werden wir nur im Verbund von Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bewältigen. Dafür gilt es gerade auf kommunaler Ebene gezielt die nötigen Kompetenzen aufzubauen sowie neue Führungskonzepte zu etablieren. Neue interkommunale Bildungsinfrastrukturen wie der KommunalCampus setzen genau hier an und bilden zugleich einen wichtigen Baustein im Prozess einer dringend erforderlichen grundlegenden Reform der Aus- und Weiterbildung im öffentlichen Sektor. Denn für die Gestaltung der digitalen Zukunft brauchen wir gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung die klügsten Köpfe und die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
3. „Entfesselung“ und Vereinfachung kommunaler Förderprogramme
Die Bereitstellung von Fördermitteln ist wichtig, führt jedoch nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen – insbesondere dann nicht, wenn für ein aufwändiges Antragsverfahren auf kommunaler Ebene genau die personellen Ressourcen benötigt werden, die nur sehr begrenzt verfügbar und/oder besonders ausgelastet sind. Der Zusammenführung, Vereinfachung und Flexibilisierung kommunaler Förderprogramme kommt daher eine steigende Bedeutung zu. Zudem gilt es in zentralen Handlungsfeldern der Zukunftsgestaltung nicht nur in Förderprogrammen, sondern auch in Investitionsprogrammen zu denken. Die öffentliche Finanzierung und Förderung von Projekten muss so umgebaut werden, dass Fördermittel nicht in „Strohfeuer“-Projekten verpuffen, sondern zwingend bereits zur Laufzeit von Projekten eine Anschlussfinanzierung und/oder Verstetigung gewährleistet ist.
INNOVATIONSNETZWERK KOMMUNE X.0 E.V.
Die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Kommune X.0 e.V. beleuchten nachhaltige Werte des Verwaltungshandels im Kontext der Digitalisierung. Kernziel ist es, Lösungen aufzuzeigen, wie Netzwerke tragfähig wirken können, wenn Akteure aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft interdisziplinär und auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
->Digitalstrategie der Bundesregierung
Autoren:
Marco Brunzel, Vorstand des Kommune X.0 e. V.
Dr. Stefan Ostrau, Digitalisierungsbeauftragter Kreis Lippe und Vorstand des Kommune X.0 e. V.
Max Schulze-Vorberg, Geschäftsführer des Kommune X.0 e. V.
Matthias Selle, Kreisrat des Landkreises Osnabrück, Vorsitzender des Kommune X.0 e. V. und Vorsitzender des KPV-Bundesfachausschuss Soziales, Bildung und Gesundheit
Dieser Beitrag erscheint in der Oktober-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO).
Sie besitzen noch kein Abo der KOPO? Das können Sie hier gleich ändern.