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Komfort gegen Daten: Ein Beispiel aus Japan

Digitalisierung

Die sogenannten „Smart Cities“ bilden einen wichtigen Pfeiler des japanischen Konzepts „Gesellschaft 5.0“. Diese Vision für Japans Zukunft ist im Grunde eine konsequente Weiterentwicklung des deutschen Dialogs zu „Arbeit 4.0“ und „Industrie 4.0“. Ein geschicktes Zusammenspiel aus künstlicher Intelligenz, Automatisierung und integrativer Datenverarbeitung soll helfen, die wirtschaftliche Entwicklung auszubalancieren und gleichzeitig die sozialen Herausforderungen der alternden Gesellschaft zu lösen.

Während die Welt auf eine der tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte zurückblickt und möglicherweise in eine ernsthafte Energiekrise gerät, werden die Konzepte zu der Stadt der Zukunft wichtiger denn je. Folglich sind die Metropolen Japans angehalten, neue Technologien und Konnektivität effizient einzusetzen, um energetische Nutzung, Transport- und Logistikinfrastruktur, Katastrophenschutz, Gesundheit und Resilienz, Recycling und Kriminalprävention zu stärken und vor allem zu vernetzen.

Da fossile Ressourcen in Japan knapp sind, ist das Land seit jeher bestrebt, seine Energieeffizienz zu verbessern, um Energie effektiv zu nutzen. Kurz vor dem 10. Jahrestag der Nuklearkatastrophe von Fukushima beschloss die Regierung paukenschlagartig, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dafür hat sie im Oktober 2020 angekündigt, Japans Energiepolitik neu zu definieren. Allerdings lässt die Abhängigkeit Japans von russischem Erdgas und australischer Kohle dieses Ziel als schwer realisierbar erscheinen. Umso intensiver forscht Japan daher an alternativen Energien und nachhaltigen Lösungen.

Stadt der Zukunft

Nur eine Stunde Zugfahrt vom Zentrum Tokios entfernt liegt die Stadt Fujisawa und in ihr die Fujisawa Sustainable Smart Town. Fujisawa SST, wie sie genannt wird, ist eine beispielhafte Siedlung für die Stadt der Zukunft, die von einem Konsortium aus Konzernen, Organisationen und Körperschaften (so der Stadt Fujisawa) auf einem 19 Hektar großen Gelände zwischen 2012 und 2014 errichtet wurde. Initiiert hat die Siedlung der Großkonzern Panasonic; auf dessen ehemaligen Fabrikgelände ist sie auch errichtet. Mit seinen rund 440.000 Einwohnern ist die Stadt Fujisawa ein gewöhnlicher Pendlervorort der Hauptstadt Tokio und dem Handelszentrum Yokohama. Fujisawa SST zählt heuer 3.000 Einwohner, wächst jedoch beständig. Als Modellstadt demonstriert sie eindrucksvoll die Bedeutung von „Smart Cities“ für das Erreichen der Klimaneutralität.

Auf jedem Dach der Fujisawa SST-Siedlung sind großflächige Solarmodule installiert, die nahezu 100 Prozent des Energiebedarfs der Haushalte decken. Moderne Batteriesysteme sorgen für die Speicherung der tagsüber von Solarmodulen erzeugten Energie. In Katastrophenfällen kann die Siedlung zusätzlich Gebiete der Stadt Fujisawa versorgen. Ein hochintelligentes Informationssystem, auf das jeder Bewohner per Tablet, Smartphone oder Smart-TV zugreifen kann, überblickt den eigenen sowie gesamten Energieverbrauch. Das hilft der Steuerung und Verteilung der Energie. Dasselbe Informationssystem regelt den umweltfreundlichen Verkehr mit Hilfe des „Total Mobility Services“.

Foto: © KAS

Shared Economy

Eigene Autos sind nur in Ausnahmefällen erlaubt, den Bewohnern werden daher mehrere bequeme Alternativen geboten. Über ein Mobilitätsportal können die Bewohner innerhalb von Sekunden ein Fahrrad, ein e-Bike oder ein Elektroauto reservieren. Abgerechnet wird nach Zeit, nicht nach Kilometern. Die Siedlung setzt auf das Konzept der „Shared Economy“. Man kauft nicht, sondern teilt. Fast alle Lieferdienste werden von kleinen, höchst niedlichen Roboterautos durchgeführt. Elektrisch und autonom, versteht sich. Sie sind nicht nur die unumstrittene Hauptattraktion auf den Straßen, sie liefern auch alles aus: Briefe und Pakete, Sushi und Pizza, ja sogar die verschreibungspflichtigen Medikamente aus der integrierten Apotheke. Auf alle diese Dienste wird durch das gleiche Informationssystem zugegriffen.

Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie nützlich diese Liefer-Roboter tatsächlich sein können. Wer seine Lieferung unbedingt verfolgen möchte, kann per Tablet auf eine der 50 Überwachungskameras zugreifen, die fast jeden Zentimeter des öffentlichen Raums abdecken. Die Kameras sind in das benannte Informationssystem eingebunden und helfen insbesondere Eltern, die ihre Kinder auf den diversen Spielplätzen vom Wohnzimmer aus im Auge behalten wollen. Fujisawa SST bezeichnet sich stolz als „virtually gated town“ – als virtuell bewachte Stadt – mit einer Kriminalitätsrate nahe Null. Nun muss man wissen, dass Japan ohnehin zu den sichersten Ländern dieser Erde gehört. Gestohlen werden höchstens Regenschirme oder Fahrräder, und auch die werden mitunter zurückgebracht.

George Orwell lässt grüßen

An Fujisawa SST scheiden sich folglich die Geister. Während auf der einen Seite hohe Sicherheit, Konformität, Bequemlichkeit und Nachhaltigkeit locken, sieht man sich auf der anderen Seite mit einer unerbittlichen Totalüberwachung konfrontiert. Wer die Stadt besucht, hat schnell George Orwell im Kopf oder die „Truman Show“ vor Augen. Diese „Smart City“ verarbeitet ständig persönliche Daten: wie viel Energie die Einwohner verbrauchen, wohin sie fahren, was sie essen, welche Medikamente sie bestellen und wann sie die Häuser wohin verlassen. Es würde ein hohes Maß an staatlicher Regulierung erfordern, um das Recht einer jeden Person auf Schutz des Privat- und Familienlebens einzuräumen. Während man natürlich argumentieren könnte, dass sich die Einwohner, allesamt aus der gehobenen Mittelschicht, höchst freiwillig den möglichen Verletzungen der Privatsphäre aussetzen und dafür die Vorteile genießen, ist es aus deutscher Sicht doch fraglich, wie diese enorme Datenerfassung in größeren Gemeinden oder Städten sicher verwaltet werden kann.

Den Daten gehört zwar die Zukunft und Vernetzung kann es nicht ohne Datenverarbeitung
geben, jedoch muss dem Schutz der Daten ein ungleich höherer Stellenwert eingeräumt werden. Wahrscheinlicher ist, dass die generierten Datenmengen einen Teil des Geschäftsmodells des Konsortiums darstellen. Abseits der Datenproblematik bietet die Modellstadt dennoch zukunftsfähige und nachhaltige Lösungen. Neben der vollständigen Deckung des eigenen Energiebedarfs hat die Stadt für Katastrophenlagen umfangreich vorgesorgt und kann in diesen Fällen autark agieren. Die Lebensqualität ist insbesondere für Familien unbestritten hoch und so ist Fujisawa SST in vielerlei Hinsicht ein wichtiges, lebendiges Labor für die Stadt der Zukunft.

Fotos: © KAS

Autoren: Jeroen Kohls, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Auslandsbüro Japan der Konrad-Adenauer-Stiftung und Rabea Brauer, Leiterin des Auslandsbüros Japan der Konrad-Adenauer-Stiftung

Dieser Beitrag ist in der Mai-Ausgabe der kommunalpolitischen blätter (KOPO) erschienen.

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